zum Hauptinhalt
Eine alleinerziehende Mutter sitzt mit ihrem Kleinkind auf dem Schoß am Computer.

© Andreas Arnold/dpa

Lehren aus der Pandemie in Berlin: „Unterstützungen kommen oft nicht bei denen an, die sie am dringendsten benötigen“

Der Berliner Beirat für Familienfragen fordert mehr Sicherheit in Krisenzeiten. Laut einer Studie sind vor allem Mütter unzufrieden mit der Situation seit Corona.

Der Berliner Beirat für Familienfragen fordert von der Politik, Lehren aus der Pandemie zu ziehen und Familien für Krisenzeiten besser abzusichern und zu unterstützen. In einer Stellungnahme veröffentlichte der Beirat jetzt einen Katalog mit Verbesserungsvorschlägen. „Wir müssen feststellen, dass wir weiterhin in krisenhaften Zeiten leben und sich die Gesellschaft besser darauf einstellen muss“, sagt Kazım Erdoğan, Vorsitzender des Berliner Beirats für Familienfragen. „Viele Familien konnten sich noch nicht von der Pandemiezeit, wo sie Mehrfachbelastungen ausgesetzt waren, erholen. Unterstützung muss zum Beispiel gezielter bei den Familien ankommen, Familienangebote müssen in den Wohngebieten gestärkt und der Austausch untereinander verbessert werden.“

Versorgungslücken in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Der Beirat will etwa, dass die Jugend- und Gesundheitsdienste, die bislang Familien nur einmalig nach der Geburt eines Kindes aufsuchen, auch weitere „Regelbesuche durchführen“. Dafür müssten die Dienste zusätzliche Mitarbeiter bekommen. Außerdem müssten die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, die Erziehungs- und Familienberatungen sowie psychosoziale Angebote „ausgebaut werden“, ebenso müssten die Defizite in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behoben werden.

Der Beirat beklagt die Versorgungslücken und Wartezeiten, die es dort gebe. Auch zusätzliche Anlaufstellen zur Beratung und Begleitung für Familien mit Migrationshintergrund sowie für Familien in prekären Lebenslagen müssten eingerichtet werden.

Familienarmut müsse beseitigt werden, fordert der Beirat weiter. Angebote des Programms „Stark trotz Corona“ müssten weitergeführt werden.

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie kündigte unterdessen an, Berlins Erziehungs- und Familienberatungsstellen zusätzlich mit 5,3 Millionen Euro und 36 Beraterstellen ausstatten zu wollen.

Das Gremium kritisiert, dass Unterstützungsmaßnahmen oft zu komplizierte Anträge erforderten. „Die Unterstützungen kommen daher oft nicht bei denen an, die sie am dringendsten benötigen. Maßnahmen müssen zielgerichtet, niedrigschwellig, kurzfristig umsetzbar und ohne langwierige Beantragung und Bürokratie gestaltet sein.“ Nach Corona seien auch „weitere gezielte Angebote vor allem für Kinder und Jugendliche nötig, um die negativen Folgen und Verluste aus der Lockdown-Zeit auszugleichen und aufzuholen.“

Damit sei vor allem der „Ausfall von Schul- und Schwimmunterricht, Schuleingangsuntersuchungen, Praktika und Ausbildungen, Lernangebote für benachteiligte Kinder, Angebote in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der vorhandene Bewegungsmangel“ gemeint. „Den Kindern und Jugendlichen muss mehr Zeit gegeben werden, um die Lernrückstände nachzuholen. Die Daten aus den Schuleingangsuntersuchungen sollten für die gezielte Unterstützung der Kinder aufbereitet werden.“ Überhaupt müssten zuverlässige Daten zur Kompetenz von Schüler:innen erfasst werden, „um die Auswirkungen der Schulschließungen auf Bildungschancen abzuschätzen“. Das sei die Voraussetzung für wirksame Ausgleichsprogramme.

Viele Familien konnten sich noch nicht von der Pandemiezeit erholen.

Kazım Erdoğan, Vorsitzender des Berliner Beirats für Familienfragen

Nicht nur der Beirat für Famlienfragen ist unzufrieden mit der Behandlung von Familien in den immer noch andauernden Krisenzeiten. Laut einer gerade veröffentlichten Auswertung einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung unter Erwerbstätigen sind es vor allem Mütter. „Die Mütter sind deutlich unzufriedener mit dem Krisenmanagement als der Rest der Bevölkerung“, sagt Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut WSI, die Aussagen der Umfrage ausgewertet hat. Rund 5000 Deutsche waren dafür mehrmals seit Frühjahr 2020 befragt worden, zuletzt im November 2022. Dadurch lässt sich ablesen, wie sich die Meinungen der Befragten in der Zwischenzeit veränderten.

„40 Prozent der Mütter berichteten von ex­tremen finanziellen Belastungen, im Durchschnitt aller Befragten taten dies 27 Prozent“, teilt die Hans-Böckler-Stiftung mit. Zwischen 2020 und 2022 wurden die Mütter vor allem immer unzufriedener mit der Politik: „Während im Oktober 2021 gut 16 Prozent von ihnen sagten, sie hätten ,überhaupt kein Vertrauen’ in die Bundesregierung, waren es ein Jahr später 34 Prozent“, teilte die Stiftung mit. 

„Betreuungsausfälle zu kompensieren und die psychosozialen Folgen der Pandemie aufzufangen, bleibt überwiegend eine Aufgabe der Mütter. Mehr Unterstützung durch die Männer erhalten sie offenbar nicht“.  63 Prozent der befragten Mütter gaben an, den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung zu leisten, aber nur sechs Prozent der befragten Väter . „Hier lässt sich also eine Verstetigung der schon vor der Krise sehr ungleichen Verteilung der Sorgearbeit feststellen“, sagt sagt Bettina Kohlrausch. Damit werde deutlich, dass es keine „Egalisierung der Geschlechterverhältnisse während der Pandemie“ gegeben habe.

.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false