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Das Kurt-Schumacher-Haus in Berlin-Wedding: Hier residiert der SPD-Landesverband.

© imago images/Jürgen Ritter/Jürgen Ritter via www.imago-images.de

Mitten in Wedding: SPD Berlin legt jüdische Geschichte ihrer Geschäftsstelle frei

Wo heute das Kurt-Schumacher-Haus steht, lebten bis 1943 mehrere jüdische Familien. Studierende der Uni Potsdam haben ihr Schicksal erforscht, nun gibt es eine Ausstellung dazu.

Es ist ein Haus, wie es in vielen Berliner Straßen steht: Nachkriegsbau, modern anmutende Architektur, ansonsten weitgehend unspektakulär. Bekannt ist es in Berlin, weil drei große Buchstaben an der Fassade angebracht sind: SPD. In der Müllerstraße 163 in Wedding befindet sich die Landesgeschäftsstelle der Berliner Sozialdemokraten.

Das war allerdings nicht immer so. Studierende der Universität Potsdam haben die jüdische Geschichte des Grundstückes erforscht, auf dem heute das Kurt-Schumacher-Haus steht.

„Das ist ein Mosaikstein von vielen“, sagt Elke-Vera Kotowski, die Dozentin an der Uni Potsdam und Chefkuratorin sowie Vorstandsmitglied der Moses-Mendelssohn-Stiftung ist. In ganz Berlin habe es unzählige Häuser gegeben, in denen sich eine ähnliche Geschichte abgespielt habe.

Im Fall der Müllerstraße 163 liest sich die Geschichte so: Bis 1943 befand sich auf dem Grundstück ein Mietshaus mit 30 Wohnungen, das seit 1922 im Besitz des jüdischen Kaufmanns Salo Wolff war. Er zog, wie die Studierenden in monatelanger Quellenarbeit herausfanden, 1936 mit seiner Frau Lina selbst in das Haus ein. Drei Jahre später deklarierten die Nationalsozialisten ihre Wohnung zur sogenannten „Judenwohnung“ und das Ehepaar musste andere jüdische Untermieter bei sich aufnehmen.

Der Wedding als Arbeiterbezirk war, wie Wissenschaftlerin Kotowski im Gespräch erläutert, weniger jüdisch geprägt als etwa Charlottenburg oder Wilmersdorf. Trotzdem wurden im Frühjahr 1942 allein in Wedding 126 Wohnungen im jüdischen Grundbesitz gezählt. Eine von ihnen gehörte den Wolffs. Das Ehepaar wurde im April 1942 gezwungen, seine eigenen vier Wände zu verlassen. 1942 wurden die Wolffs in das Warschauer Ghetto gebracht, danach verliert sich ihre Spur. Ihr Haus ging in den Besitz des nationalsozialistischen Deutschen Reichs über.

Nicht nur die Geschichte der Wolffs, sondern auch das Schicksal zweier weiterer jüdischer Familien recherchierten die 30 Studierenden. Als die Wolffs schon nicht mehr in Berlin waren, wurde die Familie Freundlich im Juni 1942 in die Müllerstraße umgesiedelt. 1943 wurden das Ehepaar Freundlich und ihre Söhne Heinz und Erwin nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurden. Die Studierenden des Uni-Seminars haben bei ihren Forschungsarbeiten Nachfahren der erweiterten Familie Freundlich ausfindig gemacht, die inzwischen in den USA leben.

Ein weiteres Paar, Isidor und Margarete Gold – er jüdisch, sie evangelisch – lebte in der Müllerstraße 163, wurde dort aber 1943 herausgedrängt. Was danach passierte, ist nicht genau bekannt. Beide überlebten allerdings die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft.

Das Haus, in dem die Wolffs, Freundlichs und Golds gelebt hatten, wurde 1943 zerbombt. Nach dem Krieg reichte die Jewish Restitution Successor Organization einen Antrag auf Rückgabe des Grundstücks ein, dem sich aber ein jahrelanger Rechtsstreit mit dem damaligen Berliner Finanzsenator anschloss. Der Nichte der Wolffs wurde schließlich der Anspruch auf Restitution verwehrt. Wenig später bot der Senat der SPD Berlin das Grundstück zum Kauf an, die es Ende 1959 für 65.000 Mark kaufte. 1961 wurde das heutige Gebäude fertiggestellt, und der damalige SPD-Landesvorsitzende Willy Brandt bezog sein neues Büro.

Die Aufarbeitung der tieferliegenden Geschichte hat SPD-Landesgeschäftsführer Sven Heinemann 2022 angestoßen, nachdem er diesen Posten übernahm. Der SPD-Landesverband hat nun den Künstler Gunter Demnig gebeten, vor dem Haus sechs Stolpersteine zu verlegen. Ab 1. März wird die Ausstellung „Ausgegraben aus Ruinen – Eine Spurensuche jüdischen Lebens in der Weddinger Müllerstraße 163“ in der Geschäftsstelle zu sehen sein.

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