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Nina Stahr, Vorsitzende der Berliner Grünen

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Update

Nach Eklat bei Parteitag: Nina Stahr und Philmon Ghirmai als Vorsitzende der Berliner Grünen gewählt

Nach der gescheiterten Wahl von Realo-Kandidatin Tanja Prinz steht die neue Grünen-Doppelspitze. Die neue Co-Landeschefin hätte laut Satzung jedoch gar nicht antreten dürfen.

| Update:

Die Bundestagsabgeordnete Nina Stahr ist neue Co-Landesvorsitzende der Berliner Grünen. Die 41-Jährige erhielt auf dem Parteitag der Grünen am Mittwochabend 88 Prozent der Stimmen. Sie folgt auf Susanne Mertens, die das Amt zwei Jahre lang innehatte. Stahr war bereits von 2016 bis 2021 Landesvorsitzende an der Seite des heutigen Fraktionschefs Werner Graf.

Im Amt bestätigt wurde am Mittwochabend Stahrs Co-Vorsitzender Philmon Ghirmai vom linken Flügel der Partei. Er setzte sich gegen die spontan kandidierenden Michael Fischer und Torsten Krischke durch. Auf Ghirmai entfielen 74 Prozent der Stimmen. Die Grünen-Doppelspitze wird traditionell von einer Person aus dem Realo- und einer aus dem Linken-Flügel besetzt.

„Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen viel zu klären haben“, sagte Stahr, die dem Realo-Flügel der Partei angehört, in ihrer Vorstellungsrede. „Diese Stadt, diese Welt hat genug Krisen, sie braucht nicht noch eine Krise in unserer Partei.“

Stahrs Wahl gingen teils chaotische Zustände bei den Grünen voraus. Der Parteitag begann bereits am Sonnabend, wurde aber unterbrochen, nachdem die eigentliche Kandidatin für den Realo-Posten, Tanja Prinz, in drei Wahlgängen keine Mehrheit erreicht hatte.

Prinz hatte sich zuvor in einer realo-internen Wahl bei den Grünen gegen Mertens durchgesetzt. Unterstützt wurde sie vor allem von einer Strömung innerhalb des Parteiflügels, die sich „Grüne Real@ Mitte“, kurz „GR@M“, nennt. Zu ihr zählen sich rund 100 Mitglieder aus dem Kreisverband Mitte.

Prinz und GR@M waren unzufrieden mit Mertens und der Aufarbeitung des Ergebnisses der Wiederholungswahl, bei der Grünen nur auf dem dritten Platz landeten und schließlich aus der Regierung flogen. Inhaltlich stehen sie für einen deutlich bürgerlicheren Kurs als der links dominierte Landesverband – etwa in der Innen- oder Wohnungspolitik.

Schwere Vorwürfe gegen Prinz und „GR@M“

Gegen die Kandidatur von Prinz formierte sich jedoch schnell Widerstand in der Partei. Gegen sie und die Gruppe GR@M wurden im Vorfeld schwere Vorwürfe erhoben. Sie würden Mitglieder psychisch unter Druck setzen, hieß es unter anderem. Einen Tag vor dem Parteitag am Sonnabend warfen neun von zwölf Kreisvorständen der Gruppierung vor, sie hätte eine „Atmosphäre des Misstrauens“ in der Partei geschaffen. Sowohl Prinz als auch GR@M bestreiten die Vorwürfe.

Das Scheitern von Prinz stürzte die Partei in eine Krise. Mit Nina Stahr einigte sich eine flügelübergreifende Findungskommission am Montagabend auf eine Kandidatin, die laut Satzung gar nicht hätte antreten dürfen. Diese sieht unter anderem vor, dass Parlamentarierinnen wie Stahr nicht dem Landesvorstand angehören dürfen. „Ich weiß, ich mute euch damit etwas zu“, sagte Stahr zu diesem Satzungsbruch in ihrer Rede. „Aber ihr mir schon auch.“

Linke und Realos betonen, bei Stahr handele es sich um eine Übergangslösung bis zum kommenden Parteitag im Mai 2024. Entweder würde dann eine neue Kandidatin gewählt oder – auch das ist denkbar – Stahr verliert bei der Wiederholung der Bundestagswahl, die im Februar stattfinden könnte, ihr Bundestagsmandat. In dem Fall könnte sie Landesvorsitzende bleiben.

„Wir stehen zur Trennung von Amt und Mandat, diese ist aber nur dann praktikabel, wenn wir den Betroffenen – wie in der Vergangenheit auch schon – einen Übergang ermöglichen“, erklärten führende Grüne beider Flügel im Vorfeld der Wahl von Stahr. „Dass dieser Übergang längstens bis zur nächsten regulären Landesdelegiertenkonferenz im Mai 2024 andauern wird, ist dabei ebenso selbstverständlich.“

Lara Liese, Mitglied im Kreisvorstand Berlin-Mitte, erklärte: „Es ist gut, dass Nina Stahr sich nach den Verletzungen der letzten Tage bereit erklärt hat, Verantwortung für die gesamte Partei zu übernehmen. Als Vorsitzende steht sie gemeinsam mit Philmon Ghirmai vor der Aufgabe, den Landesverband in seiner ganzen Breite zu vertreten und für ein respektvolles Miteinander zu sorgen.“

Andere Positionen müssten möglich sein, ohne dafür angefeindet zu werden, sagte Liese weiter. „Wir Grüne müssen unserer politischen Verantwortung gerecht werden, indem wir gemeinsam nach den besten Lösungen für Berlin suchen.“ Das sei in den letzten Wochen wenig der Fall gewesen. „Der Umgang miteinander wie die haltlosen Vorwürfe in dem offenen Brief haben bei sehr vielen Engagierten für Verunsicherung gesorgt und uns Grünen insgesamt kein gutes Zeugnis ausgestellt. Unter Demokratinnen und Demokraten sollten wir miteinander und nicht übereinander sprechen“, sagte Liese.

„Hinter uns liegen stürmische Tage“, sagte Co-Landeschef Philmon Ghirmai in seiner Rede. „Für die Werte, für die wir als Partei einstehen, müssen wir auch selbst leben.“ Ghirmai kündigte an, die Vorwürfe aus dem offenen Brief aufzuarbeiten.

Ebenfalls in den Landesvorstand der Grünen wurden am Mittwoch Jana Brix, Rania Al-Sahhoum, Can Aru, Enad Altaweel und Dara Kossok-Spieß gewählt. Letztere übernimmt dabei das Amt der Landesschatzmeisterin.

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