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Ortstermin. Senatorin Dilek Kolat spricht vor der berüchtigten Kneipe „Zum Henker“ mit Engagierten.

©  Theo Schneider

Rechte Szene: Zu Besuch beim "Henker"

Die Berliner Integrationssenatorin Kolat lässt sich die Brückenstraße in Schöneweide zeigen. Der Kiez hat ein Problem mit Neonazis.

Der Mann bleibt gelassen, als die Besucher vor seinem Laden auftauchen. Ein paar Jacketträger, Polizisten, Fotografen und eine Senatorin schauen durch die Schaufenster. Als er kommt und die Ladentür aufschließt, starren sie ihn an; überrascht, ihm leibhaftig zu begegnen. Er trägt ein T-Shirt, weil in diesen Oktobertagen noch die Sonne scheint, und grüßt freundlich. Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) wundert sich sichtlich, dass dieser Mann spontan mit ihr plaudern will. „Kommen Sie doch rein und kaufen was“, sagt er auch noch.

Der Mann heißt Sebastian Schmidtke, Ende 20, und ist Chef der Berliner NPD. Sein Laden heißt „Hexogen“ – der Name eines Sprengstoffs – und bietet Klamotten mit eindeutigen Botschaften an. Hier in der Brückenstraße in Schöneweide verkauft er in bester Lage, nebenan wohnen viele Neonazis, man trifft sich zum Honigbier „Odin-Trunk“ in der einschlägig bekannten Kneipe „Zum Henker“. Am Mittwoch fahren Schmidtke und 50 Rechtsradikale aus Anlass der deutschen Einheit zum Breitscheidplatz.

Senatorin Kolat ist am Dienstag zum ersten Mal in der Brückenstraße. Begleitet wird sie von Anwohnern, Rechtsextremismus-Experten, Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) und dem neuen Abschnittsleiter der Polizei. Ein Streifenwagen fährt nebenher. Der Besuch fällt nicht nur NPD-Mann Schmidtke auf. René B., ein erfahrener Rechtsradikaler, stromert am Dienstag durch die Straßen und beäugt die Autos der seltenen Besucher. B. ist Ende 40, er war in Treptow in der NPD und in Kameradschaften aktiv, inzwischen soll er im Umland wohnen. Doch ganz scheint er von Schöneweide nicht zu lassen. So wie der Kiez die negativen Schlagzeilen nicht los wird.

Als Kolat im August den einst berüchtigten Weitlingkiez in Lichtenberg besuchte, erschien im Tagesspiegel ein Text über den mühevollen Kampf gegen Rechtsaußen – besonders in Schöneweide. Viele Leser meldeten sich, wünschten den Engagierten vor Ort viel Erfolg. Einige aber waren wütend, weil sie es durch die Berichterstattung schwerer hätten, ihre Eigentumswohnungen in der Brückenstraße zu vermieten. Andere sagten, der Kiez käme zu gut weg, „der Osten“ sei unverbesserlich. Unverbesserlich? Keine Fußminute vom „Henker“ entfernt trifft Kolat bei ihrem Rundgang einen türkischen Mieter. Er sei vor vier Jahren von Kreuzberg nach Schöneweide gezogen, erzählt er, die Wohnung habe gepasst. Drei Aufgänge weiter wirbt ein indisches Restaurant um Gäste.

Doch anders als in Lichtenberg fielen antifaschistische Aktionen in Schöneweide auf weniger fruchtbaren Boden. Erst vor einigen Wochen wurden wieder Linke durch die Straßen gejagt. Wie berichtet, war der Briefkasten der Privatwohnung von Nico Schmolke, Vize-Chef der Berliner SPD-Jugend, gesprengt worden – in der Nacht bevor die Jusos bei einem Kiezspaziergang rechtsradikale Aufkleber von den Wänden spachteln wollten. Am Dienstag erzählt Schmolke der Senatorin und dem Abschnittsleiter der Polizei, was sie so vielleicht nicht hören wollten: Dass sich viele Engagierte trotz des medialen Echos alleingelassen fühlten. Dass er den Backstein, den Neonazis durch sein Fenster geschmissen hatten, der Polizei auf die Wache habe bringen müssen; die Beamten hatten das Tatwerkzeug offenbar ignoriert. Und dass Stellen in Bezirkseinrichtungen gestrichen würden, während wöchentlich Neues zum NSU-Skandal bekannt wird. „Man kann sagen“, meint Schmolke, „das Vertrauen in den Staat nimmt ab.“

Dilek Kolat macht sich Notizen. Mit Bezirksbürgermeister Igel vereinbart sie, dass der Senat nun Wirtschaftsverbände und Unternehmen anspricht, sich vor Ort einzusetzen. In Lichtenberg hatte Kolat im August die Nachbarschaftshilfe gelobt: Vereine, Schulen und Einwanderer haben ein Netzwerk aufgebaut, und mit Politikern und Behörden klare Absprachen treffen können. In Schöneweide sagt sie: „Zivilgesellschaft und Engagement sind wichtig, man darf es aber nicht dabei belassen.“ Der Staat sei gefragt.

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