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Artemis-Bordell

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Update

Bordell-Betreiber wollen volle Summe spenden: Berlin muss nach Razzia im „Artemis“ über 100.000 Euro zahlen

Das Berliner Kammergericht hat den Bordell-Betreibern jeweils 50.000 Euro nebst Zinsen zugesprochen. Die Justizverwaltung hätte das Urteil verhindern können.

| Update:

Nach einer Razzia im Berliner Großbordell „Artemis“ muss das Land Berlin Schadenersatz an die beiden Betreiber bezahlen. Das hat das Berliner Kammergericht am Dienstag im Berufungsprozess entschieden und den beiden Klägern jeweils 50.000 Euro nebst Zinsen zugesprochen. Die Zinsen würden sich bei sofortiger Zahlung auf 10.941 Euro belaufen.

Hintergrund sind Äußerungen der Staatsanwaltschaft bei einer Pressekonferenz im April 2016. Diese seien zum Teil unzutreffend und vorverurteilend gewesen, begründete das Gericht. Die Behörde hatte unter anderem von Verbindungen zur organisierten Kriminalität gesprochen. Die Vorwürfe waren jedoch in sich zusammengefallen, eine Anklage wurde 2018 nicht zugelassen. Die Justizverwaltung hätte das Urteil verhindern können – mit einer Spende in Höhe von 25.000 Euro an das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef). 

Uns ging es nie um Geld, sondern immer um unser Recht. 

„Artemis“-Betreiber Hakkı und Kenan Şimşek

Die beiden „Artemis“-Betreiber Hakkı und Kenan Şimşek haben nach dem Urteil entschieden, die Entschädigung samt Zinsen in voller Höhe zu spenden. Die 110.941 Euro sollen für die Erforschung von Grundlagen und für die Behandlung von an Krebs erkrankten Kindern in Berlin eingesetzt werden. „Uns ging es nie um Geld, sondern immer um unser Recht. Wir wollten, dass jemand anerkennt, dass das, was uns durch das unzulässige Vorgehen von Polizei und Ermittlungsbehörden widerfahren ist, nicht rechtens war. Das haben wir mit dem heutigen, klaren Urteil des Kammergerichts Berlin erreicht“, sagten Hakkı und Kenan Şimşek. „Die Entschädigung nehmen wir auch dankbar an, aber kranken Kindern ist damit mehr geholfen. Deshalb geben wir diese Geldsumme gern weiter.“

Nach Ansicht des Gerichts waren die bei der Pressekonferenz von der Staatsanwaltschaft geäußerten Vorwürfe wie die Zuordnung der „Artemis“-Betreiber zur organisierten Kriminalität nicht von den Ermittlungsergebnisse gedeckt. Die Staatsanwaltschaft habe den Grundsatz der Unschuldsvermutung grundlegend verletzt. Der Vergleich mit dem Gangsterboss Al Capone sei unzulässig gewesen. Dadurch sei der Eindruck massiver Straftaten erweckt worden.

„Ein Alarmsignal für den Rechtsstaat“

Die Höhe der Entschädigung begründete das Kammergericht damit, dass Vertreter des Landes Berlin die Rechte der „Artemis“-Betreiber in der Verhandlung erneut und vertiefend verletzt hätten und nicht zu einer Richtigstellung bereit gewesen seien. „Das Land Berlin hat die Chance verpasst, im Rahmen eines Vergleichs die offensichtlichen und schweren Fehler der Staatsanwaltschaft einzugestehen“, sagte Artemis-Rechtsanwalt Ben M. Irle. Die Verweigerung einer Distanzierung von schweren Amtspflichtverletzungen sei „Zeugnis einer erschütternden Ignoranz sowie eines Mangels von angezeigter Selbstreflektion“, sagte Irle. „Ein derart durch Dickfelligkeit und Selbstgefälligkeit geprägtes Verhalten der Justizverwaltung ist ein Alarmsignal für den Rechtsstaat.“

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Die zuständige Zivilkammer hatte dem Land Berlin nach langen Verhandlungen in dem Berufungsverfahren einen Vergleich nahe gelegt. Darauf war die Senatsjustizverwaltung jedoch nicht eingegangen. Hintergrund des Streits ist eine Razzia im April 2016 mit Hunderten Polizisten, Zollfahndern und Staatsanwälten in dem Bordell. Danach hatte die Staatsanwaltschaft unter anderem von Verbindungen zur organisierten Kriminalität gesprochen. Doch die Vorwürfe fielen in sich zusammen.

25.000
Euro hätten an Unicef gehen können

Nachdem das Berliner Landgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft Ende 2018 nicht zugelassen hatte, klagten die zwei Betreiber des Bordells. Sie fordern Schadenersatz von mindestens 200.000 Euro und verlangen eine Entschuldigung. Das Kammergericht hatte in den zurückliegenden Monaten deutlich gemacht, dass seitens des Landes Fehler gemacht wurden – und eine Entschuldigung samt Entschädigung angebracht sei. Das Gericht schlug vor, 25.000 Euro an Unicef zu zahlen – statt Schadenersatz an die Bordellbetreiber zu leisten.

Die Senatsjustizverwaltung hatte bereits im Vorfeld angekündigt: „Ein Urteil des Kammergerichts in dieser Sache wird die SenJustVA sorgfältig daraufhin überprüfen, ob das einschlägige Rechtsmittel eingelegt wird. Wenn hier Erfolgsaussichten gesehen werden, wird die SenJustVA selbstverständlich gegen ein etwaiges Urteil des Kammergerichts vorgehen.“ Weil das Kammergericht keine Revision zuließ, da der Fall keine grundsätzliche Bedeutung habe, sind die Hürden noch höher. Die Justizverwaltung müsste eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. Um ein geplantes zweites „Laufhaus“ des Artemis streiten sich die Betreiber mit dem Bezirksamt derzeit vor dem Verwaltungsgericht. (mit dpa)

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