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775 Jahre Berlin: Schafhaut mit Alarmanlage

Berlins Geburtsurkunde wird zum 775. Jubiläum gut behütet gezeigt: gesichert im Halbdunkeln Am heutigen Sonntag feiert die Stadt zwischen Nikolaiviertel und Schlossplatz.

Das also ist Berlins historisches Kleinod Nummer 1. Es passt gerade so auf eine Schafhaut, ist noch bis Sonntag, 18 Uhr, bestens behütet in einer Ausstellungsvitrine im Ephraim-Palais in Mitte zu bewundern. Und es zieht Berliner, die sich für ihre Stadtgeschichte interessieren, in Scharen an. Denn auf diesem Pergament, das aus dem geschabten Rückenleder eines Schafes hergestellt wurde, taucht der Name „Cölln“ als Teil der damaligen Doppelstadt Berlin/Cölln erstmals aktenkundig auf. Es ist, wie es offiziell heißt, die „nachweisliche Ersterwähnung“ vom 28. Oktober 1237. Deshalb feiert Berlin am heutigen Sonntag – exakt 775 Jahre danach – groß sein Stadtjubiläum.

Bereits am Sonnabend waren Tausende beim Fest in der historischen Wiege Berlins zwischen Nikolaiviertel und Schlossplatz unterwegs und tauchten in die Vergangenheit ihrer Stadt ein. Am heutigen Sonntag wird der Ansturm wohl noch größer sein, zumal am Abend der feurige Höhepunkt naht: Straßenkünstler und Feuerpoeten illuminieren die Mitte Berlins. Schon am Sonnabend wurde dafür auf Straßen und Plätzen gewerkelt, Arbeiter errichteten Metallgestelle mit Fassungen für hunderte Töpfe, aus denen Flammen lodern sollen.

Es ist alles vorbereitet für eine unterhaltsame und nach Einbruch der Dunkelheit spektakuläre Zeitreise. Spätestens am Nachmittag sollte man dazu aufbrechen. Es wird jede Menge geboten – vom Mittelaltermarkt im Nikolaiviertel über den begehbaren Stadtplan am Schlossplatz bis zur Spurensuche „Das Mittelalter ist unter uns“ und der Ausstellung „Berlinmacher – 775 Porträts“ im Ephraim-Palais: der Ort, an dem Berlins Ersterwähnung unter dickem Sicherheitsglas liegt.

Diese handschriftlichen Zeilen in lateinischer Sprache sind dicht gedrängt – es blieb dem Schreiber ja nur der Platz, den das Rückenleder eines Schafes bietet. Darauf musste er einen kompliziert ausgehandelten Vergleich zwischen Brandenburgs Markgrafen und Bischöfen unterbringen, bei dem es um Macht, Abgaben und Pfründe in den „Neuen Ländern“ ging, zu denen auch Berlin/Cölln gehörte. Unterzeichnet wurde das Dokument im Domspital zu Brandenburg an der Havel auch von mehreren Zeugen, darunter dem Geistlichen Simeon aus Cölln, aufgeführt als als „Symeon plebanus de Colonia“, zu deutsch: Cölln.

Lage Zeit wurde die Originalurkunde im Kloster des Brandenburger Doms aufbewahrt, doch irgendwann ging sie im Lauf der Jahrhunderte aus ungeklärtem Grunde verloren – was blieb, ist eine 1238, also nur ein Jahr später, angefertigte Sicherheitskopie aus dem gleichen Material, die nun im Ephraim-Palais zu sehen ist. „Normalerweise lagert dieses Pergament in unserem Domarchiv in einem speziellen Pappkarton aus säurefreiem, ungebleichtem Papier“, sagt der Direktor des Brandenburger Dommuseums Rüdiger von Schnurbein. Ätzende Chemie halte man so von ihm fern. Außerdem die schädliche UV-Strahlung des Tageslichts. Deshalb ist auch der Ausstellungsraum des Berliner Palais abgedunkelt, und die Scheibe der alarmgesicherten Vitrine weist UV-Strahlen ab.

„Wir machen noch viel mehr, um dieses Kleinod zu bewahren“, sagt Restaurator Albrecht Henkys von der Stiftung Stadtmuseum. Ein elektronische Klimaüberwachungsgerät achtet darauf, dass die Luftfeuchtigkeit im Raum nicht die 55-Prozent-Marke überschreitet. Und zusätzlich habe man die Urkunde auf ein „Bett aus einem gelartigen Stoff gelegt, der Feuchtigkeit in der Umgebung je nach Bedarf absorbiert“, erklärt Henkys.

Vor der Vitrine bildet sich zeitweise eine kleine Schlange. „Das muss man gesehen haben“, sagt ein Betrachter. Berlins Geburtsstunde, mit sogenannter „Eisengallustinte“ festgehalten, damals gemixt aus Galläpfelsaft und Eisenoxid. Und gleich daneben liegt die Ersterwähnung des Namens Berlin aus dem Jahre 1244, ebenfalls auf Tierhaut dokumentiert.

Für viele ist diese Vitrine der Startpunkt. Vom Ephraimpalais sind es nur ein paar Schritte zum Mittelaltermarkt rund um die Nikolaikirche. Hier kann man auf zwei Bühnen Schwertkämpfe erleben, Pantomime, Gauklerkünste, Dudelsackkonzerte. Ein Schmied hämmert an seiner Bude, Kerzen werden gezogen, es wird geschnitzt und heißer Met ausgeschenkt. Und weil das Jubiläumswetter zwar trocken bis sonnig ist, aber ziemlich kalt ist, gibt es hier den allergrößten Andrang. Der Badezuber aus Holz, in dem aufgeheiztes Wasser dampft, hat am Sonnabend dagegen noch niemanden angelockt. Fünf Euro kostet der Spaß im mobilen mittelalterlichen Badehaus.

Auf dem begehbaren Stadtplan am Schlossplatz unternehmen unterdessen hunderte Familien einen ungewöhnlichen Spaziergang. Sie studieren die Schilder unter den riesigen Pinnnadelköpfen, die von der Luftbrücke, Migrantenschicksalen und vielem anderen, was sich an den jeweiligen Orten ereignete, erzählen. Es ist die letzte Chance. Am Montag wird alles abgebaut. Auch die Ausstellungen schließen. „Schade“, sagt ein Besucher. „Zumindest der riesige Stadtplan sollte an anderer Stelle in Berlin als Attraktion und zum Geschichtsunterricht dauerhaft bleiben.“

Mehr zum Jubiläum der Stadt auf den Seiten 1, 12 und 13

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