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Karl Max Einhäupl (re.), Leiter der Charité und die Geschäftsführerin des Vereins "Innocence in Danger", Julia von Weiler bei der Pressekonferenz am Donnerstag.

© dapd

Sexueller Missbrauch: Charité verschreibt sich Therapie

Im Missbrauchsfall an der Charité ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Senatorin Scheeres prüft Konsequenzen - und fordert einen Bericht der Klinikleitung. Zudem soll ein unabhängiges Expertenteam interne Vorgänge klären, doch einem Pflegendenverband gehen die Schritte nicht weit genug.

Nach dem Übergriff eines Pfleger auf eine 16-Jährige ermittelt in der Charité die Staatsanwaltschaft. Die Klinikleitung selbst lässt interne Abläufe prüfen und kündigte Reformen an. In der Politik wurden Konsequenzen gefordert, die Informationspolitik der Universitätsklinik wurde scharf kritisiert. Der Missbrauchsfall ist innerhalb weniger Wochen das zweite Desaster: Zuletzt hatte die Charité spät über eine Keimausbreitung auf Frühchenstationen informiert. Am Donnerstag wurde bekannt, dass der Pfleger – anders als die Behörden angaben – schon aktenkundig gewesen war. Er soll sich 2011 der Mutter einer Patientin aufdringlich genähert haben, woraufhin diese die Polizei rief. Das Verfahren wurde wahrscheinlich eingestellt. Der 58-Jährige, der seit 40 Jahren an der Charité arbeitet, soll bei Kollegen außerdem wegen ähnlicher Vorfälle mit Patientinnen 2005 und 2009 im Gerede gewesen sein. Charité-Chef Karl Max Einhäupl hatte am Mittwoch zunächst gesagt, die Verdachtsfälle lägen mindestens fünf Jahre zurück.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt im aktuellen Fall wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen. Dies sei nicht einfach, da der Übergriff mehr als eine Woche zurückliege. „Beweismittel wie DNA-Spuren gibt es nicht mehr“, sagte ein Sprecher. „Es kommt vor allem darauf an, die Geschädigte zu vernehmen.“ Weder Behörden noch Klinik haben die Patientin bisher erreicht. Mittwoch vergangener Woche hatte der Pfleger sich beim Entkleiden der Jugendlichen an ihr vergriffen. Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD), die der landeseigenen Klinik politisch vorsteht, will bei der nächsten Aufsichtsratssitzung über Konsequenzen reden – auch personelle.

Am Donnerstagabend hat sie mit Einhäupl vereinbart, dass er bis Montag einen Bericht zu dem Fall vorlegt. Eine unabhängige Expertenkommission soll außerdem die internen Abläufe in der Klinik untersuchen. Noch sind viele Fragen ungeklärt: Wieso ist der Pfleger nicht früher – auch auf Basis von Vorwürfen – in eine andere Station versetzt worden? Warum findet sich laut Klinikleitung nichts in seiner Personalakte?

Wieso dauerte es Tage, bis Charité-Chef Einhäupl am vergangenen Freitag über den Vorwurf informiert wurde – und dann wie es hieß „nur vage im Vorbeigehen“? Warum entschied man sich nicht, den Pfleger auch ohne diesbezüglichen Wunsch der betroffenen Familie anzuzeigen? Und wieso vergingen noch fünf Tage, bis sich die Klinik zum Vorfall äußerte?

Das Expertenteam ist hochkarätig besetzt, es wird erwartet, dass es nach den Pannen der vergangenen Wochen deutliche Vorschläge für bessere Abläufe macht: Neben der früheren Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) gehören Julia von Weiler (Kinderschutzverein „Innocence in Danger“), Udo Nagel (Ex-Innensenator von Hamburg) sowie Sylvester von Bismarck (Kinderchirurg) und Günther Brenzel (Pflegeexperte) dem Gremium an. Einhäupl sagte, man brauche eine neue Fehler- und Kommunikationskultur. Vielleicht könne ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt werden, wonach immer zwei Mitarbeiter in der Nähe eines Kindes sind. „Die Charité sollte die Abläufe endlich besser organisieren“, sagte Personalratschef Carsten Becker. Womöglich müsse dazu mehr Personal geholt werden. Das sagte auch Einhäupl.

Der Klinikchef selbst erinnerte an den „Todesengel“, Pflegerin Irene B., die 2005 und 2006 fünf Schwerkranke mit überdosierten Medikamenten tötete. Auch damals hatten Kollegen einen Verdacht, griffen aber nicht ein. Die Charité richtete ein anonymes Vertrauenstelefon ein, bei dem im Jahr aber nur zwei bis drei Anrufe einlaufen. Der Pflegendenverband DBfK bekräftigte angesichts des Falles seine Forderung einer Pflegekammer. Eine solche berufsständische Institution könnte Ethikstandards festlegen und auch unter der Schwelle des Strafrechtes auffälliges Verhalten ahnden. Wie bei Ärzten könnte eine Kammer durch die ihr vom Staat verliehenen Rechte prüfen, ob ein Pfleger seinen Beruf noch ausüben darf. Berlins Ärztekammerpräsident Günther Jonitz sagte, Mitarbeiter dürften keine Angst haben, Missstände zu benennen.

Für mögliche weitere Opfer wurde eine Hotline der Charité geschaltet. Sie ist erreichbar unter: 030/450 550 500

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