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Die bisherige Bildungsstadträtin Stefanie Remlinger soll neue Bezirksbürgermeisterin von Mitte werden.

© Doris Spiekermann-Klaas

Update

Grüne diskutieren über von-Dassel-Affäre: Stefanie Remlinger soll Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Mitte werden

Die Affäre um Stephan von Dassel fördert die tiefen Gräben innerhalb der Grünen in Mitte zu Tage. Die bisherige Schulstadträtin könnte nun sein Amt übernehmen.

Kurz vor dem Beginn werden noch zusätzliche Stühle herangeschafft. Der Raum im Hotel Rossi in Berlin-Moabit ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Dort haben sich am Dienstagabend rund 150 Personen für die Mitgliederversammlung des Kreisverbands Mitte der Grünen zusammengefunden.

Es ist kein reguläres Treffen. Die Versammlung war vom Kreisvorstand erst gut eine Woche zuvor kurzfristig einberufen worden. Nötig gemacht hat sie die Affäre um Mittes wohl scheidenden Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) und ein Stellenbesetzungsverfahren im Bezirksamt, auf das er Einfluss genommen haben soll.

Doch das ist nurmehr der Ausgangspunkt. Längst hat sich das Thema innerhalb der Partei verselbstständigt und die tiefen Gräben zwischen den Flügeln und Lagern im größten Kreisverband der Grünen in Deutschland zu Tage gefördert, seit die eigene Grüne-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte (BVV) von Dassel zum Rücktritt aufgefordert hat. Seither tobt in der Partei ein Kampf um Macht und die Deutungshoheit in einem Fall, in dem jede Seite der anderen schwere Vorwürfe macht, die Grünen mit ihrem Vorgehen zu schädigen.

Schon im Vorfeld schien von Dassels nahes Ende durch die Mitgliederversammlung nicht mehr zu verhindern zu sein. Einige Parteimitglieder erwarteten daher ein „Tribunal“ des mit von-Dassel-Getreuen besetzten Kreisvorstands gegen die eigene Fraktion, die das politische Ende des Bezirksbürgermeisters mitzuverantworten habe.

Die Eskalation auf offener Bühne schien möglich. Auch prominente Grüne aus anderen Kreisverbänden schienen das live miterleben zu wollen, wie die frühere Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Monika Herrmann oder Katrin Schmidberger, ebenfalls aus Kreuzberg und Koordinatorin des linken Flügels der Partei.

„Das sind nicht die Umgangsformen, für die wir stehen“

„Die letzten zwei Wochen waren für uns alle sehr schwierig“, beschrieb Kreisvorstandsmitglied Florian Maaß die Lage. „Das sind nicht die Umgangsformen, für die Bündnis 90/Die Grünen stehen.“ Dem Vertrauen der Wähler sei man nicht gerecht geworden. Verantwortlich machte der Kreisvorstand dafür einmal mehr die Fraktion und ihren Beschluss, von Dassel zum Rücktritt aufzufordern und dessen Abwahl mitzutragen.

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Dem widersprach Fraktionsmitglied Shirin Kreße. Seit der ersten Meldung über den Fall in den Medien sei klar gewesen: „Aus der Nummer gehen wir alle nicht als Gewinner raus.“ Der Schaden durch von Dassels SMS an einen klagenden Bewerber um eine Stelle sei riesig. „Wir dulden keine private Einflussnahme auf Stellenbesetzungen. Die Unabhängigkeit der Verwaltung ist eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf.“ Es habe einen „grünen Tabubruch“ gegeben, den die Fraktion nicht habe hinnehmen können.

Der Beschuldigte selbst gestand wie bei seiner Rede in der BVV einen Fehler ein. Zugleich verteidigte von Dassel sein Vorgehen damit, nur das Beste für den Bezirk gewollt zu haben. „Die Realität ist leider im Moment so, dass es keinen Fortschritt im Bezirk gibt, ohne großes politisches, rechtliches und manchmal auch persönliches Risiko.“ Dieses habe er zuletzt in vielen Fällen zum Wohle des Bezirks auf sich genommen. „Nur so kann ich meine Hybris erklären, auch noch die die Beschleunigung des Stellenbesetzungsverfahrens zur Chefsache gemacht zu haben.“

Bezirksbürgermeister schließt einen Rücktritt aus

Von Dassel schloss einen Rücktritt abermals aus. „Ich sehe nicht, dass dieser Fehler zwingend mit der größtmöglichen Sanktion geahndet werden muss.“ Zugleich gestand er erstmals, dass auch das Finanzielle dabei von Bedeutung sei. „Natürlich spielt es eine Rolle, dass ich bei einem Rücktritt sämtliche Ansprüche verlöre.“

Statt 7000 Euro monatlich wie nun in den kommenden Jahren erhielte er dann nur Arbeitslosengeld I. Nach den vielen Jahren im Bezirksamt, den Beleidigungen und Bedrohungen, die er habe aushalten müssen, habe er etwas anderes verdient.

[Mehr zum Thema: Machtkampf statt Kuschelkurs in Berlin-Mitte: Die Affäre um Stephan von Dassel lässt alte Konflikte der Grünen eskalieren (T+)]

In der anschließenden Aussprache äußerten sich viele Mitglieder zu dem Vorgang und seinen Folgen. Die einen kritisierten von Dassel, andere stärkten ihm den Rücken. Noch mehr forderten die Parteimitglieder auf, den offenen Streit der vergangenen Wochen beizulegen.

„Es demoralisiert Parteimitglieder, wenn man sowas lesen muss“, sagte einer. „Als Mitglied verfolge ich seit vielen Jahren mit Unbehagen, mit welch harten Bandagen hier gekämpft wird“, ein anderer. Diese Grabenkämpfe seien gerade für Neumitglieder „erschreckend“. Man könne stolz darauf sein, wie sehr die Partei gewachsen sei. „Aber müssen aufpassen, dass wir das nicht verspielen.“

Insgesamt verlief die Debatte weitgehend sachlich. Einige einzelne Mitglieder schafften es jedoch, diesen kontrollierten Eindruck zu sprengen. So verteidigte die frühere Senatorin Sybille Volkholz von Dassels vorgehen: „Was Stephan gemacht hat, ist gang und gäbe. Aber das macht man nicht selbst und das macht man nicht schriftlich.“

Indirekter Vergleich mit dem Dritten Reich

In einem Antrag verglich ein Parteimitglied die Rücktrittsforderung aus der eigenen Fraktion indirekt mit dem Dritten Reich. Knapp 19 Prozent der Mitglieder lehnten ihn in der Abstimmung dennoch nicht ab.

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Nach der parteiinternen Aufarbeitung der vergangenen Wochen war es Stefanie Remlinger, die für die Grünen den Blick in die Zukunft richtete. Die bisherige Bildungsstadträtin soll neue Bezirksbürgermeisterin von Mitte werden. „Wenn ihr es mit mir machen wollt, dann will ich das auch“, schloss sie ihre Rede.

Zuvor appellierte sie noch an die Mitglieder. Es handele sich um den heterogensten Kreisverbands der Grünen. Dennoch man dafür sorgen, dass kein Flügel versuche, den anderen herauszudrängen. „Ich glaube, dass diese Gesellschaft diese Partei nach wie vor mit all ihren Strömungen und Flügeln braucht“, sagte Remlinger.

Dem Vernehmen nach haben sich die Grünen intern auf Remlinger verständigt. Dafür spricht auch, dass die Partei zwei der bisherigen Aufgabenbereiche der Bildungsstadträtin, Weiterbildung und Kultur, in den Verhandlungen mit dem Zählgemeinschaftspartner SPD, künftig an den Posten des Bezirksbürgermeisters übertragen will.

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