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Der Angeklagte hält sich zum Beginn des Prozesses eine Mappe vor sein Gesicht. Der heute 80-Jährige aus Leipzig soll 1974 einen polnischen Staatsbürger am damaligen Grenzübergang Bahnhof Berlin-Friedrichstraße aus einem Versteck heraus heimtückisch erschossen haben.

© dpa/Sebastian Gollnow

Update

Prozess um Tod am Bahnhof Berlin-Friedrichstraße: Ex-Stasi-Mitarbeiter bestreitet Mord vor 50 Jahren

Am DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße in Ost-Berlin wird ein Mann hinterrücks erschossen. Bis Anklage erhoben werden kann, vergehen Jahrzehnte. Nun hat der Prozess begonnen.

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Ein schlanker Mann mit grauem Haarkranz, angereist aus Leipzig. Ein biederer Rentner, so scheint es. Eigentlich keiner, der im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Nun aber waren im Moabiter Kriminalgericht Kameras auf den 80-Jährigen gerichtet. Manfred N. soll vor 50 Jahren als damaliger Stasi-Mitarbeiter am DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße, dem „Tränenpalast“, einen mörderischen Auftrag ausgeführt und einen polnischen Familienvater erschossen haben.

Späte Sühne für ein Verbrechen, bei dem es erst 2016 aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv einen Hinweis zur Identität des mutmaßlichen Schützen gab? Äußerlich regungslos hörte Manfred M. am Donnerstag die Anklage. Er ließ seine Anwältin sprechen: „Mein Mandant bestreitet die Vorwürfe. Weitere Angaben macht er derzeit nicht.“

Der damalige Oberleutnant soll am 29. März 1974 dem 38-jährigen Polen Czesław Kukuczka aufgelauert haben – verborgen hinter einer Sichtbelende, um ihn „unmittelbar nach dem Durchtreten des letzten Kontrollpunktes zu töten“, so die Anklage. Er sei als Mitarbeiter der Operativgruppe I des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit mit der „Unschädlichmachung“ des Polen beauftragt worden. Er habe geschossen, als sich das Opfer am Ziel wähnte, arglos war.

Kukuczka, ein Feuerwehrmann, soll kurz zuvor versucht haben, seine Ausreise in den Westen mit einer Bombenattrappe zu erzwingen. Zum Schein sei die Stasi darauf eingegangen, habe ihn mit Dokumenten ausgestattet und dann begleitet.

Gegen 13 Uhr beobachteten Schülerinnen einer 10. Klasse aus Hessen eine Szene wie aus einem Agententhriller. Martina S. gehörte zu den Jugendlichen, die damals nach einem Besuch in Ost-Berlin zurück in den Westteil wollten. „Wir standen in einer Schlange“, schilderte die Zeugin nun im Prozess. „Ein Mann mit Reisetasche hinter mir, wir sollten zur Seite gehen.“ Der Mann werde vorgezogen, hätten Uniformierte erklärt.

Der Mann mit Reisetasche, schlicht gekleidet, sei schnell durch die Kontrolle gekommen, der weitere Besucherverkehr umgeleitet worden. „Der Mann ging ein paar Meter in die Unterführung, hinter ihm von links trat ein Mann in dunklem Mantel heran, ein Schuss, der Mann mit Reisetasche brach zusammen.“ Dann hätten Uniformierte die Türen der Unterführung geschlossen.

Die heute 65-jährige Zeugin, eine Sozialpädagogin, hat die Szene nie vergessen. „Danach hatte ich wochenlang davon geträumt. Als ich dann im Oktober vorigen Jahres in der Zeitung über den Fall las, lief es wie im Film ab.“ Zurück im Westen hätten sie und zwei Mitschülerinnen von einem Schuss berichtet – „da ist jemand vor unseren Augen erschossen worden“. Zu Hause in Hessen informierten sie dortige Behörden.

Doch erst nach dem Fall der Mauer ergaben sich Ansätze für Ermittlungen. So soll N. einen „Kampforden“ in Bronze erhalten haben auf höchstem Stasi-Befehl mit der Begründung, er habe den Auftrag, einen „Angriff“ auf die DDR-Grenze zu verhindern, „mutig und entschlossen“ gelöst. Der Prozess, der als historisch bedeutsames Verfahren aufgezeichnet wird, geht am 4. April weiter.

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