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Leuchten im Museum. Für alte Schätze wie diese Gaslaternen ist im "normalen" Berliner Getriebe häufig kein Platz mehr.

© dpa

Veränderungswütiges Berlin: Laaaaangsamer!

Gaslaternen, Theater, Traditionscafés: Was in Berlin Geschichte atmet, verschwindet heute oft allzu schnell. Das mag im Einzelnen ökonomischen Zwängen geschuldet sein. Insgesamt zeugt es von einer grundnervösen Geisteshaltung, die einer Metropole unwürdig ist.

W as habe ich mich gefreut, als es am Potsdamer Platz wieder ein Café Möhring gab. Der Traditionsname war ja völlig aus dem Stadtbild verschwunden, die Filialen am Kurfürstendamm, am Schloss Charlottenburg, am Gendarmenmarkt – alle weg. Jetzt plötzlich, ausgerechnet in diesem an vielen Stellen so kalt und künstlich wirkenden Viertel: ein Lichtblick. Angenehme Kaffeehausatmosphäre, klassisches Interieur, zurückhaltend ausgeleuchtet, leises Murmeln, entspannt und uneitel, nicht mit der Brechstange gewollt, die Preise auch in Ordnung. Eine Möglichkeit zum Innehalten. Und endlich ein richtiges Café in Philharmonie-Nähe, ein Basislager für Klassikfans, für angeregte Unterhaltungen und einen Imbiss vor dem Konzertbeginn. Die Stadt kann sich doch selbst heilen von ihrer übertriebenen Hektik, dachte ich.

Und dann? Vergangene Woche gehe ich wieder am Potsdamer Platz vorbei – und das Möhring ist schon wieder geschlossen! Blinde Scheiben starren mich an. Kümmerliche drei Jährchen hat das Café existiert. Das gibt’s doch nicht, dachte ich. Da entdecke ich einen Ort, drehe mich einmal um, und „puff!“ ist er schon wieder weg. Die Berliner Krankheit: Wieso kann in dieser Stadt nicht mal etwas bleiben, wieso verflüchtigt sich alles nach kurzer Zeit, als hätte es nie existiert? Dauer gilt hier als verdächtig und uncool, Lokalitäten, die älter als 20 Jahre sind, sind selten, ab 30 muss man sie mit der Lupe suchen.

An den Cafés zeigt sich das besonders deutlich. Möhring ist verloren, das Kranzler bis auf einen kleinen Stummel auch. Das Café Wellenstein, auch dies ein angenehmer, großstädtischer Ort am Kurfürstendamm mit richtig viel Raumtiefe, wie das für ein Kaffeehaus sein muss, wich vor einigen Jahren dem Showroom eines Autoherstellers. Sobald in Berlin etwas Jahresringe anlegt, wird es weggeholzt. Egal, ob einst das Schloss oder der Anhalter Bahnhof, ob jetzt aktuell die Gas-Straßenbeleuchtung, für die sich der Autor dieser Zeilen auch als Aktivist einsetzt, oder künftig die beiden Ku’damm-Bühnen: Berlin hat nur wenig Geschichte, und das wenige, was es hat, reißt es auch noch ab: Lust an der Selbstverstümmelung. Es ist eben doch eine auf Sand und eiszeitlichem Geschiebemergel errichtete Stadt, die einfach keine Gravitation ausbildet, nichts festhält.

Um interessant zu werden, brauchen die Dinge Zeit!

Leuchten im Museum. Für alte Schätze wie diese Gaslaternen ist im "normalen" Berliner Getriebe häufig kein Platz mehr.
Leuchten im Museum. Für alte Schätze wie diese Gaslaternen ist im "normalen" Berliner Getriebe häufig kein Platz mehr.

© dpa

Ja, natürlich entsteht auch Neues. Gerade haben das Romanische Café im Waldorf Astoria Hotel und das Café Grosz im Haus Cumberland eröffnet. Aber für wie lange? Es macht keinen Spaß, solche Institutionen ins Herz zu schließen, wenn man ständig fürchten muss, dass sie schon bald wieder schließen. Für jeden Einzelfall mag es ökonomische Gründe geben. Aber zusammengenommen entsteht das Gefühl, dass Berlin in einer umfassenden Wurschtigkeit gefangen ist: Ist doch egal. Was in die Jahre gekommen ist, ist eh nicht wichtig, uninteressant.

Dabei ist es genau umgekehrt. Um wirklich interessant zu werden, brauchen die Dinge Zeit. In Wien sind 80 Jahre für ein Kaffeehaus nicht viel. Man muss es ja nicht gleich machen wie das Café Frauenhuber, wo Mozart noch selbst sein letztes Klavierkonzert gespielt hat. Das Café Prückel am Stubentor hat eben sein 100-jähriges Bestehen gefeiert. Auch die Atmosphäre im Bräunerhof, gleich um die Ecke der Burg, verlängert sich von Thomas Bernhards Zeiten bruchlos in die Gegenwart. Natürlich sind das Extrembeispiele. Aber es wäre schön, wenn Berlin sich etwas abgucken würde – um langsam zu einer richtigen europäischen Metropole zu werden, weg von einer Stadt, die Urbanität nur simuliert.

Nicht falsch verstehen: Ich plädiere nicht für Erstarrung. Aber das ist ja genau das Missverständnis: Wien oder Paris sind nicht erstarrt. Im Prückel sitzen sie alle: Studenten, Touristen, Verleger, Politiker, Burgschauspieler reden und arbeiten und essen Topfenstrudel, viele klappen ihre Laptops auf, das Café hat natürlich W-Lan. Das Alte schließt das Neue überhaupt nicht aus, sondern faltet sich ins Neue hinein. Berlin hingegen kommt nicht über eine Grundnervosität hinaus, die auf den ersten Blick cool wirkt, letztlich aber nur in leerem Formenspiel mündet.

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