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Die Forderung nach Aufklärung wird immer mehr zur Geduldsprobe.

© dpa/Christian Ender

Weil Senat Akten nicht bereitstellt: Untersuchungsausschuss zu rechtsextremem Terror in Neukölln droht Arbeitsunfähigkeit

Monatelang blieben Aktenanfragen unbearbeitet, so Ausschlussmitglieder bei der letzten Sitzung am Freitag. Eine Betroffene kritisiert Polizei und Justiz scharf.

Der Mitte Juni nach einiger Verzögerung konstituierte Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur rechtsextrem motivierten Terrorserie in Berlin-Neukölln steht nach Darstellung mehrerer Mitglieder vor der Arbeitsunfähigkeit. Wie die Sprecher der Fraktionen von Grünen, Linke, CDU und FDP im Anschluss an die Sitzung am Freitag kritisierten, liegen dem Ausschuss bislang „nur sehr wenige“ der bei Innen- und Justizverwaltung angeforderten Akten vor.

„Ich erwarte, dass die beteiligten Senatsverwaltungen ihrer Pflicht nachkommen, dem Ausschuss die entsprechenden Akten zur Verfügung zu stellen“, erklärte Vasili Franco (Grünen), der den größten Teil der Sitzung in Vertretung des verhinderten Florian Dörstelmann (SPD) geleitet hatte. Er ergänzte: „Auf absehbare Zeit wird die Weiterarbeit in diesem Ausschuss nicht möglich sein, wenn die Akten nicht vorhanden sind.“

Während Linke-Sprecher Niklas Schrader von einer „sehr unbefriedigenden Situation“ sprach, schlossen sich die Vertreter von CDU und FDP der Kritik an. Stephan Standfuß (CDU) bezeichnete es als „wirklich ärgerlich“, dass teilweise vor Monaten über Beweisanträge beschlossene Aktenanfragen auch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bedient worden seien. „Ich würde mir wünschen, dass die Akten schnell zur Verfügung gestellt werden“, erklärte Standfuß.

Der genau wie Standfuß bereits dem in der vergangenen Legislatur eingesetzten Amri-Untersuchungsausschuss angehörende FDP-Abgeordnete Stefan Förster ergänzte: „Offenbar wurde aus den vorhergehenden Untersuchungsausschüssen nichts gelernt.“ Mit Blick auf die ersten, zu Beginn des Jahres 2023 planmäßig anstehenden Befragungen von Zeugen aus den Sicherheitsbehörden, sagte Förster: „Uns läuft die Zeit davon.“ Die Zeugen zu konfrontieren sei ohne Einblick in die Akten kaum möglich. Franco und weitere stimmten ihm zu.

Innenverwaltung braucht vier Monate für die Prüfung

Besonders verärgert zeigten sich die Abgeordneten über ein Anfang November an die Ausschussmitglieder verschicktes Schreiben der Innenverwaltung. Darin stellte diese übereinstimmenden Darstellungen zufolge Rückfragen zu einem Anfang Juli vom Ausschluss beschlossenen Beweisantrag. Was in der Zwischenzeit passiert ist und warum die Rückfragen erst jetzt – vier Monate später – kommen, sei ihnen unklar, erklärten die Sprecher übereinstimmend.

Orkan Özdemir, Sprecher der SPD-Fraktion im Ausschuss mit besten Verbindungen in die Innenverwaltung, der er vor seinem Einzug ins Abgeordnetenhaus selbst angehörte, zeigte sich zuversichtlich, dass die angeforderten Akten bald eintreffen.

Diese Terrorserie hat unser Leben als Familie komplett verändert.

Christiane Schott, Betroffene der Anschlagsserie

Inhaltlich widmete sich der Ausschuss am Freitag der Anhörung einer weiteren Betroffenen der Anschlagsserie. Christiane Schott, die sich seit Jahren gemeinsam mit der von ihr gegründeten Initiative „Basta“ für die Aufklärung der Pannen bei den Sicherheitsbehörden im Zuge der Anschlagsserie einsetzt, schilderte vor dem Ausschuss ausführlich die über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg gegen sie gerichteten Taten. „Diese Terrorserie hat unser Leben als Familie komplett verändert“, erklärte Schott mit Bezug auf ihre Töchter, von der eine bis zum heutigen Tage traumatisiert sei.

Wie vor ihr bereits andere Betroffene sprach Schott von einem massiven Vertrauensverlust in die Sicherheitsbehörden und die Justiz. Diese hätten weder die gegen sie gerichteten Taten, noch die dadurch entstandenen Ängste und Sorgen ernst genug genommen, bemängelte Schott.

Rechter Angriff. In der Nacht zum 1. Februar 2018 brannte in Neukölln das Auto des Linken-Politikers Ferat Kocak. Der Anschlag ist bis heute nicht strafrechtlich geahndet
Die wohl bekannteste Tat der Serie: Das Auto des Linke-Politikers Ferat Kocak wurde bei einem Brandanschlag zerstört.

© Foto: dpa/Ferat Kocak/Die Linke Berlin

So hätten diese wiederholt Tatwerkzeuge wie etwa durch die Fensterscheiben geworfene Steine nicht oder erst verspätet zur Spurenentnahme mitgenommen. Eine angeblich von der Polizei zur Überwachung ihres Grundstücks installierte Videokamera habe nicht funktioniert – eine wenige Tage nach der Installation durchgeführte Attacke blieb so unbeobachtet und für die Täter folgenlos.

Opfer vermutet, Tatverdächtiger könnte V-Mann gewesen sein

Für Aufsehen sorgten die Ausführungen Schotts zu wiederholten direkten Aufeinandertreffen mit verschiedenen Tatverdächtigen der gegen sie verübten Anschläge. Mit einem von ihnen, Christian S., habe Schott zwei Stunden lang im Garten gesprochen – unter anderem über die 2011 verübten Steinwürfe in mehrere Fenster des Hauses.

S. habe seine Beteiligung an dem Angriff gestanden, ihr gegenüber jedoch damit geprahlt, keine Konsequenzen befürchten zu müssen. Schott vermutet, S. könne zum damaligen Zeitpunkt ein sogenannter V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen sein. Belangt wurde er für den Angriff auf das Wohnhaus nicht.

Die nächste Sitzung des Untersuchungsausschusses ist für den 25. November terminiert. Dann sollen als Sachverständige zu der mehr als 70 Straftaten umfassenden Anschlagsserie Vertreter:innen der Initiativen „ReachOut“ und „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ angehört werden.

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