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Schlaraffenland Buch: Blick in die Ausstellung „Read“ von Elmgreen & Dragset.

© Kunsthalle Praha/Vojtěch Veškrna

Eine Bibliothek von Elmgreen & Dragset in Prag: Bücher zum Bergsteigen auf den oberen Regalen

Das skandinavische Künstlerduo widmet sich in Prag humorvoll einem Auslaufmodell und spiegelt es nostalgisch in Kunstwerken, von den Dadaisten bis zu Isa Genzken.

Von Alexandra Wach

Im ersten Saal wird man von einem Empfangstresen mit einem Informationsschild begrüßt, hinter dem eine Bibliothekarin an einem Computer sitzt. Und die Bücher in den Regalen sind tatsächlich echt. Anders hat man es auch nicht erwartet, schließlich haben Elmgreen & Dragset bereits in die Londoner Whitechapel Gallery ein Schwimmbad installiert, aus der New Yorker Bohem Foundation Gallery eine verlassene U-Bahn-Station gemacht und nun aus die seit 2022 von der Pudil Family Foundation betriebenen Kunsthalle Praha in eine Bibliothek transformiert.

Zu lesen gibt es fünfzig im Bundesstaat Texas an Schulen verbotene Titel, von Toni Morrisons „The Bluest Eye“ bis zu Brendan Kielys „All American Boys“ und von Jason Reynolds ein Jugendbuch, das den Rassismus in den USA thematisiert.

Dazu gesellen sich Judith Butler, Donna J. Haraway, Angela Y. Davis, Michel Foucault, Silvia Federici, Vaclav Havel, Jean Genet oder Édouard Louis. Dessen autobiografischer Debütroman „Das Ende von Eddy“ , in dem er von seiner Kindheit und Flucht aus prekären Verhältnissen in einem nordfranzösischen Dorf erzählt, sorgte 2015 für Aufsehen.

Das gedankliche Fundament

Wer also schon immer wissen wollte, auf welchem gedanklichen Fundament das Werk der beiden Skandinavier fußt, kann hier Stunden mit Zehntausenden von Büchern verbringen, die von der Stadtbibliothek in Prag und dem Französischen Institut zur Verfügung gestellt wurden.

Wieder treten Michael Elmgreen und Ingar Dragset nicht nur als Künstler, sondern auch als Kuratoren auf. Für ein halbes Jahr stehen auf zwei Etagen Bücherregale, flankiert von Werken aus der Sammlung der Pudil Family Foundation, die einen Bezug zur Literatur haben. Fünfzehn Arbeiten wurden von dem Künstlerduo für die Ausstellung mit dem Titel „Read“ geschaffen. Ausgangspunkt dafür war Giorgio de Chiricos Gemälde „Verbotenes Spielzeug“ von 1916. Das Stillleben stellt in einem eigenen Raum Bücher mit einem leeren Rücken ins Zentrum. Wird hier einem Medium nachgetrauert, das im digitalen Zeitalter an Bedeutung verloren hat?

Bei der Bibliotheksdichte ganz vorn: Tschechien. Das Schlusslicht bildet Großbritannien.

© Kunsthalle Praha/Vojtěch Veškrna

Die Bibliotheksdichte der Länder

Eine Karte an der Wand informiert über die Bibliotheksdichte. Auf 1682 Einwohner kommt in Tschechien eine Bibliothek. Damit rangiert das Land ganz oben. Schlusslicht ist Großbritannien mit 18.160, nachdem Boris Johnson massenhaft Bibliotheken geschlossen hat.

Bücher zum Thema Bergsteigen findet man ausschließlich oben in den Regalen. Schaut man in die Zwischenräume, muss man bei Ornithologie über ein Vogelnest schmunzeln, in dem ein Büchlein mit dem Titel „How to become a bird“ liegt. Mit jedem Schritt mutiert man zum Detektiv, der nach Artefakten, Gemälden und Multimedia-Installationen fahndet: etwa ein mit Atlasbrühe gefülltes Einmachglas, eine lustige Auflistung des Für und Wider Kinder zu bekommen, unzählige Buchcover mit Caspar David Friedrichs „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ oder besondere Objekte indigener Völker.

„Zu der Zeit, als wir aufwuchsen, zeigten achtzig Prozent der skandinavischen Museen nur Werke weißer Männer europäischer Abstammung“, so Michael Elmgreen. Die Auswahl der Werke in ihrer Ausstellung sei in puncto Diversität vielfältiger. Dazu gehört auch ein langer Tisch, an dem junge Tschechen ihre Tagebücher vollkritzeln. „Diaries“ ist ein Langzeitprojekt, das seit 2003 an Orten wie Istanbul, Hongkong oder Dallas fortgeführt wird. Elmgreen & Dragset sind damit der sich verändernden Identität junger Männer auf der Spur.

Marx und Engels verkehrtherum

Fluxus-Werke aus der Sammlung von Marie und Milan Knížák, welche die Kunsthalle gekauft hat, treffen in den Bücherschluchten auf Dada, Chiharu Shiota oder Isa Genzken. Der Tscheche Pavel Büchler porträtiert sich auf einem Foto mit einem roten Buch von Marx und Engels, das er verkehrt herum liest, ganz im Sinne von Marx, der verkündete, dass Hegels Philosophie funktioniert - nur umgedreht.

Der Rettungsschwimmer hat seinen Platz auf dem Hochstuhl in der Philosophie-Abteilung eingenommen.

© Dawn Blackman

Die Abteilung Philosophie hat einen eigenen Bereich, allerdings sind die Treppen dorthin weggebrochen. Das scheint weder den Rettungsschwimmer, der mit einem Buch eine Pause verbringt, noch den Beobachter, der auf den Bibliothekssaal hinunterblickt, zu stören. Am Fenster mit Blick auf die Prager Burg steht eine weitere weiße Skulptur. Ein Junge schreibt mit dem Finger Buchstaben auf das beschlagene Glas. Der Beginn einer literarischen Karriere?

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