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Angeklagt wegen Weingummi. Patrick S. aus Hamburg wurde am 16. Januar 2024 in Sankt Petersburg verhaftet. Jetzt wird ihm der Prozess gemacht.

© IMAGO/Pond5 Images/Gestaltung: Tagesspiegel/Achilles; AP, IMAGO/Pond5 Images

Deutscher in Russland vor Gericht: Patrick S. droht wegen Cannabis-Gummibärchen eine Haftstrafe

In Sankt Petersburg muss der Deutsche Patrick S. mit einer harten Strafe rechnen, weil er bei seiner Einreise vor vier Monaten ein Tütchen mit sogenannten Cannabis-Gummibärchen bei sich hatte. Jetzt wird das Urteil erwartet.

Die Geschichte beginnt mit einer Internet-Romanze. Patrick S., 38-jähriger Haustechniker aus Hamburg, lernt im Netz eine Frau kennen und macht sich auf den Weg zu ihr nach Russland. Angeblich wollen beide das Land bereisen – mitten in einem Krieg, den das Putin-Regime gegen seinen Nachbarn Ukraine führt, und mitten in einer Zeit verschärfter Maßnahmen, mit denen es seine Macht nach innen zu festigen versucht.

Doch S. denkt sich offenbar nichts dabei. Ihn lockt das amouröse Abenteuer und vielleicht auch die Hoffnung, mal etwas anderes zu erleben als das, was er als Handwerker kennt. Ein kräftiger Mann in seinen besten Jahren, kurze Haare, gestutzter Bart und Tattoos am Hals, der in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung lebt. Er ist einer von 55.000 Deutschen, die Russland im vergangenen Jahr besucht haben.

Das ist verdammtes Weingummi.

Patrick S. zu einem Zollbeamten

Als S. am 16. Januar auf dem Flughafen von Sankt Petersburg eintrifft, wird er vom Zoll kontrolliert und die romantische Geschichte verwandelt sich in einen Horrortrip.

Der Beamte fischt ein Tütchen mit Gummibärchen aus Schöbels Rucksack, auf dem noch blass die aufgedruckten Umrisse von Cannabisblättern zu erkennen sind. Weil der Zoll die Szene filmt und später veröffentlicht, weiß man, dass der Beamte den Touristen fragt, ob es sich um ein medizinisches Produkt handele. Das sei „verdammtes Weingummi“, antwortet S., und vielleicht denkt er sich wirklich nichts dabei.

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Der Beamte will es genauer wissen. Ob das Weingummi mit Cannabis versetzt sei, fragt er.

Der Passagier erklärt daraufhin, dass er Ende letzten Jahres in einem Fachgeschäft in seinem Heimatland zehn Gummibärchen mit Marihuana gekauft habe. Demnach aß er diese auf langen Flügen „für einen erholsamen Schlaf“, wie die Behörde mitteilt. Zuvor habe er nie Probleme mit anderen Zollbehörden gehabt.

Die Packung mit den zunächst unverdächtig erscheinenden THC-Bärchen.

© REUTERS/RUSSIAN FEDERAL CUSTOMS SERVICE

Sechs schwarz-braune Gummibärchen fingert der Zollmitarbeiter aus der Tüte. Geruch stechend, Gewicht 19,35 Gramm, wie das Protokoll vermerkt, aus dem der „Spiegel“ zitiert. Ein Schnelltest bringt Gewissheit: Inhalt Tetrahydrocannabinol, kurz THC, der Hauptwirkstoff von Cannabis.

Das ist jetzt mehr als vier Monate her. Die Zeit hat S. in U-Haft verbracht. Obwohl das Auswärtige Amt seinen Fall bereits Mitte Februar bestätigte, erregte sein Schicksal kaum Aufsehen. Erst jetzt, da man ihm den Prozess macht wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, gelangen sein vollständiger Name und Bilder an die Öffentlichkeit, die ihn in einem grauen Trainingsanzug hinter Gittern auf der Anklagebank zeigen.

Wie eine Trophäe vorgeführt

In Russland wird die illegale Einfuhr von Rauschmitteln besonders drakonisch geahndet. Berühmt geworden ist der Fall der US-Basketballerin Brittney Griner, die im Februar 2022 mit einer Vape-Kartusche Haschischöl erwischt wurde. Auch sie habe sich nichts dabei gedacht, beteuerte die Profisportlerin, in deren Heimat Arizona der Konsum solcher Minidosierungen von Cannabis erlaubt ist. Sie habe eilig gepackt und das Fläschchen übersehen. Trotzdem wurde sie zu neun Jahren Haft verurteilt.

Der Fall fiel in die Anfangstage des russischen Angriffs auf die Ukraine. Putin ließ die Masken fallen, so der verbreitete Eindruck im Westen damals, wozu seither auch das unverhältnismäßig harte Vorgehen gegen Ausländer zählt, die sich einer Lappalie schuldig machen.

Wie mehrere Medien übereinstimmend berichten, könnte das Urteil gegen S. an diesem Mittwoch gefällt werden.

Dass die russischen Behörden den Fall des unbedarften Deutschen auch politisch ausnutzen, legt die Veröffentlichung der Videos sowie von Beweisfotos nahe. Er werde „wie eine Trophäe“ präsentiert, findet der „Spiegel“. Auf diese Weise verbreitet das autoritäre Regime seine Vorstellung von Recht und Ordnung auch über russische Grenzen hinaus. Und es treibt den Preis für einen Austausch in die Höhe.

Braucht Putin wieder einen Austausch?

Zwar ist S. kein Star wie Brittney Griner, die zwei olympische Goldmedaillen gewonnen hatte und für ein Liga-Team in Jekatarinburg spielte, aber auch sein Fall dürfte hinter den Kulissen zu einem diplomatischen Geschacher führen. Denn ganz oben auf der russischen Wunschliste steht ein Mann, der eine lebenslange Haftstrafe in Deutschland absitzt.

Bevor Griner im Gegenzug für den in den USA inhaftierten russischen Waffenhändler Wiktor But freikam, hatte Moskau auf einen Austausch mit Wadim Krassikow gedrängt. Der FSB-Agent hatte 2019 im Kleinen Tiergarten in Berlin einen Landsmann ermordet. Im Fall Griner konnten deutsche Behörden das Ansinnen noch abwehren, da die USA mit eigenen Angeboten am Zug waren.

Nach Schätzungen der Bundesregierung sollen etwa 30 Deutsche in russischer Haft sein. Ob Krassikow nun der Preis ist, um S. vor dem Straflager zu bewahren?

Und alles nur wegen fünf Gummibärchen. Auch nach der Cannabis-Legalisierung ist der Vertrieb von THC-Gummies und anderen essbaren Cannabis-Produkten auch in Deutschland nicht freigegeben. Man darf sie selbst herstellen, der Konsum ist nicht strafbar. Ihre Wirkung hält sechs bis acht Stunden an.

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