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The Arenstein family watches a video on their television.

© Bearbeitung: Tagesspiegel, Getty Images

70 Jahre TV im Nachkriegsdeutschland: Hat das lineare Fernsehen eine Zukunft?

Streaming-Dienste, Krise im Öffentlich-Rechtlichen – das Fernsehen steht unter Druck. Wie geht es weiter?

Vor 70 Jahren startete das Fernsehprogramm in Deutschland. Heute steht es durch Streaming-Dienste vor Herausforderungen. Wie kann es weitergehen. Eine neue Folge „3auf1“.


Das lineare Fernsehen ist nicht tot

Als Medienwissenschaftler, der seit 25 Jahren das lineare Fernsehen beforscht, Chefredakteur des „Jahrbuchs Fernsehen“ war und einige Jahre in der Jury des Adolf-Grimme-Fernsehpreises saß, bin ich bei einer solchen Frage befangen.

Das kaum zu bändigende Internet ist ein wenig erfreulicherer Forschungsgegenstand als die Berechenbarkeit des Fernsehens. Sie gibt uns Nutzern Struktur von Unterhaltung und Information. Obwohl viele Menschen in Krisenzeiten Halt durch feste Medienrituale brauchen, um nicht in permanentes „Doomscrolling“ zu verfallen, würde man vom realen Gebrauch hersagen: Das Fernsehen ist tot, toter geht’s nicht.

Und wenn man sich die Mediennutzung unter jungen Leuten anschaut, stimmt das. Die meisten haben keinen Fernseher mehr und kommen nicht auf die Idee, „Tatort“ oder „Tagesschau“ im linearen Programm zu sehen, sondern on demand.

Trotzdem glaube ich, dass die Linearität eine Zukunft hat. Es gibt Weltereignisse wie die Fußball-WM, die Trauerfeier der Queen oder die anstehende Landung auf dem Mars, die sich jeder im Live-Programm anschauen möchte. Warum? Linearität kann durch den Moment der Simultaneität ein verbindendes Element in unserer Gesellschaft schaffen, eine „Konnektivität“, die das diffuse Internet nicht zu leisten vermag.

Gerade jetzt ist für viele Menschen ein Gemeinschaftsgefühl wichtig. Die goldene Ära der Linearität ist nicht vorbei. Schon jetzt werden alte Röhrengeräte bei Ebay zu Höchstpreisen verkauft. Wer weiß ... 


Das Simultan-Erlebnis per Video-Chat

70 Jahre lineares Fernsehen … Ein guter Grund zum Feiern und Gratulieren. Und zum Erinnern. Denke ich ans Fernsehen, so denke ich als Kind der 1980er Jahre an große Fernsehshows mit blinkender Showtreppe, an die fulminante Eröffnungsfeier der Olympiade in Barcelona oder an Wahlabende, an denen nicht nur Balken- und Tortendiagramme mit Spannung erwartet wurden, sondern so manche Elefantenrunde unerwartet hohen Unterhaltungswert bot.

Fernsehmomente wie diese werden wir auch in Zukunft teilen – ja teilen: In Echtzeit, live und in Farbe. Neben globalen sportlichen Wettkämpfen, der Berichterstattung von Wahlen, ob regional oder international, und den großen Unterhaltungsshows sind es die Momente der Breaking News, die uns gleichzeitig vor die Bildschirme ziehen.

Und vielleicht erleben wir diese Ereignisse dann eher gemeinsam per Chat oder Video-Call als nebeneinander auf dem Sofa. Es bleibt aber ein gemeinsames Live-Ereignis. Ein Simultan-Erlebnis, ermöglicht durch das lineare Fernsehen. 


Wie wird es künftig valide Zahlen geben?

Das lineare Fernsehen ist eine feste Größe. Täglich schauen 56 Prozent der Fernsehzuschauer ab 14 Jahren das Programm, das ihnen das Schema vorgibt. Wahr ist auch, dass die Zahl sinkt, dass die Jungen sich vom Linearen mehr und mehr verabschieden, während die Senioren um 20 Uhr die „Tagesschau“ um 20 Uhr verfolgen.

Was das lineare TV neben der Gewohnheit (für viele heißt 20 Uhr: „Tagesschau“) und Bequemlichkeit (nichts suchen müssen) die nähere Zukunft sichern wird, sind vor allem zwei Faktoren. Noch immer gibt es keine gesicherte Forschung, die aus den Quoten für ein und dasselbe Programm, das im Linearen wie im Digitalen gezeigt wird, eine valide Zahl ergibt, die dem werbefinanzierten Fernsehen die Einnahmen sichert.

Zweitens: Live-Fernsehen als Event-Fernsehen. Eine WM-Finale muss auf allen Ausspielwegen laufen, dito die „Tagesschau“. Der „Tatort“ und „Wetten, dass..?“ kommen dadurch zu ihrer großen Resonanz, dass sie nicht vor und/oder während ihrer Ausstrahlung in der Mediathek, sondern erst danach im Digitalen zu sehen sind. Erfolgreiches Fernsehen lebt von der großen Zahl, solchen Erfolg will erst mal kein Sender riskieren.

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