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Der Streaming-Podcast „Kack & Sachgeschichten“ von Tobi Aengenheyster, Fred Hilke und Richard Hansen erreicht 400.000 Fans.

© Youtube/Tsp

Hilfen im Streaminggestöber: Von Western über Westeros bis White Lotus

Der wachsenden Zahl neuer Filme und Serien steht ein zunehmendes Angebot von einordnenden Podcasts gegenüber.

Spaziergänge durch Deutschlands Städte und Gemeinden sind von Föhr bis Füssen oft Spießrutenläufe lustiger Sprachverirrung – wenngleich weniger, weil es hierzulande vor Orten von Krätze bis Kotzfeld nur so wimmelt. Nein, oft liegt es am Frisiergewerbe. Haareszeiten, Haarmonie, Sahaara und, auweia, Hairreinspaziert – der toupierten Wortspielbesessenheit kann nur ein Handwerk das Wortwitzwasser reichen: Fernsehpodcasts.

Wer online über Serien und Filme redet, verspürt offenbar den Drang, seine Sendung drollig zu betiteln. Es suppt daher „Serienweise“ so viel „Freiwillige Filmkontrolle“ kritischer „Bingenweisheiten“ im „Streamgestöber“ der „Schaulustigen“ aus Apps und Browsern, dass „Wiedersehen Freude macht“. Aber auch Wiederhören? Angesichts all dieser Podcast-Namen ist das zwar Geschmackssache, aber eine vielvernommene.

Seit Katrin Fricke alias Coldmirror 2015 in ihrem „5 Minuten Harry Podcast“ 300 Kinosekunden ihres liebsten Zauberlehrlings pro Folge auf Fehler abgeklopft hat und damit ein wachsendes Publikum gefunden, sind Bewertungsformate handelsüblicher Fiktionen omnipräsent. Und während das Themenfeld naturgemäß auf Film oder Fernsehen begrenzt bleibt, waren der Titelschöpfungskreativität keine Grenzen gesetzt außer denen des verarbeiteten Metiers. Bestes Beispiel: „Kack & Sachgeschichten“.

Kurz nach Coldmirrors Dammbruch vor der heranrollenden Podcast-Welle entstanden, hat sich das Trio dahinter anno 2016 in Hamburg zur ersten Folge getroffen und allenfalls das Interesse einiger Dutzend fernsehaffiner Poetryslam-Nerds geweckt. Jetzt lauschen Woche für Woche gut 400.000 Fans dem Mix aus Talkradio, Medienkritik und Pennälerwitzen von Fred Hilke, Richard Hansen und Tobi Aengenheyster, die als selbsterklärte PoMiBi längst kleinere Mehrzweckhallen der Spaßgesellschaft füllen.

Für die eine die liebste Freizeitbeschäftigung

Drei Podcaster mit Bier also, die nie gendern und sehr gerne sehr laut über sich lachen, die sich 208 Folgen ohne Aktualitätsanspruch durch Fantasiewelten von Western bis Westeros, Weißer Hai bis „White Lotus“ gefaselt und ihr Hobby inklusive Merchandising zum lukrativen Beruf gemacht haben. Motto laut Jingle: „Total banale Themen/werden hier seziert/scheißegal wie albern/hart analysiert“. Klingt grob, ist grob und damit beispiellos. Ansonsten nämlich übt die Szene zwar den Spagat zwischen Analyse und Entertainment vorwiegend locker im Tonfall, nimmt ihr Medium aber ziemlich ernst.

Unsere „Sehnsucht nach dem gesprochenen Wort“, die der Stuttgarter Kommunikationsforscher Oliver Zöllner in Zeiten visueller Reizüberflutung erkennt, trifft hier schließlich auf eine ebenso große Sehnsucht nach sehenswerter Fiktion. Dank HBO und Netflix, Disney oder Apple wurde das neue Kino Serie ja nicht nur zur wichtigsten Freizeitbeschäftigung der halben Welt; es ist ein Milliardenbusiness, das allenfalls inhaltlich, nicht ökonomisch auf Entspannung setzt – was sich auch im Sound der digitalen Nachbereitung spiegelt.

Für andere ein Milliardenbusiness

Dass „Die Schaulustigen“ Sophie Passmann und Matthias Kalle im Auftrag des „Zeit-Magazins“ ab 2017 um elaborierte Lässigkeit bemüht waren, lag noch in der Natur des gehobenen Feuilletons. Auch Podcasts tiefkulturellerer Medien wie Bingeweisheiten („TV Spielfilm) oder Streamgestöber („Moviepilot“) aber sind feierlicher als ihre Titel.

Die freiwilligen Filmkontrolleure des „Rolling Stone“ Sassan Niasseri und Arne Willander etwa setzen sich alle 14 Tage 60 Minuten so nüchtern mit alten „007“- oder neuen „GoT“-Folgen auseinander, als säßen sie im „titel, thesen, temperamente“. Obwohl die Serien-Nerds Daniel Schröckert und Donnie O’Sullivan zur Gaming-Guerilla „Rocket Beans“ zählen, neigt „Bada Bing“ seit 2017 faktenversessen zur Erbsenzählerei.

Wenn ihre (meist männlichen) Kollegen mal episoden-, meist staffelweise Neuerscheinungen sezieren, wird also schon gelacht. Allerdings mehr miteinander als übers Besprochene. Atmosphärisch verstehen sich die Gesprächsformate dennoch als Gegenpol zum Thrill der True Crime und liefern zudem messbaren Mehrwert.

Im Film- und Seriendschungel wildwuchernder Mediatheken und Streamingdienste ordnen die Kuratoren ein explodierendes Angebot, das Flatrate-Portale wie Spotify und Podigee jederzeit günstig verfügbar machen, wenigstens ein wenig ein. Am Ende aber bleiben Fernsehpodcasts in der Regel das, wonach es sich anhört: öffentliches Gelaber.

Disclaimer: Der Autor betreibt mit dem Medienjournalisten Eric Leimann ebenfalls einen TV-Podcast mit dem Titel „Och eine noch!“, alle zwei Wochen werden neue Folgen veröffentlicht.

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