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Nahaufnahme: Über ein Jahr lang haben die Autoren der Langzeitreportage das Wirken von US-Präsident Donald Trump beobachtet und den Wahlkampf zwischen Republikanern und Demokraten verfolgt. Foto: N

© NDR/ECO Media TV-Produktion

Trump-Doku „Im Wahn“: Düstere Prophezeiung

Die Langzeitbeobachtung „Im Wahn – Trump und die Amerikanische Katastrophe“ geht über eine Reportage zur Lage in den USA weit hinaus.

Wie haben die Anhänger von Donald Trump wohl die Bilder auf der Empore des Weißen Hauses aufgenommen? Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist nach seiner Corona-Infektion gerade aus dem Walter-Reed-Krankenhaus ins Weiße Haus zurückgekehrt, nestelt sich seine Maske vom Gesicht und steht dort schwer atmend, aber entschlossen dreinblickend. Später spricht er von göttlichen Wundern bei seiner Heilung.

Mit diesen Bildern endet der Vorspann zur Langzeitreportage „Im Wahn – Trump und die Amerikanische Katastrophe“, die von der ARD am Montagabend ausgestrahlt wird. Trumps Umgang mit der Corona-Pandemie, er wird in dem Film des Ex-„Spiegel“-Chefredakteurs Klaus Brinkbäumer und des Dokumentarfilmer Stephan Lamby, auch im weiteren Verlauf eine hervorgehobene Rolle spielen.

[„Im Wahn – Trump und die Amerikanische Katastrophe“, ARD, Montag, 22 Uhr 50. In der Mediathek ab 18 Uhr.]

Seit Juni 2019 haben die beiden Autoren den wohl umstrittensten Präsidenten der letzten Jahrzehnte aus der Nähe beobachtet und den Wahlkampf von Republikaner und Demokraten begleitet. Brinkbäumer und Lamby haben vom Kisch- bis zum Nannen-Preis und vom Fernsehpreis bis zur Goldener Kamera viele der angesehensten Auszeichnungen erhalten, die in diesen Bereichen vergeben werden. Dass sie die „Amerikanische“ Katastrophe groß schreiben, ist somit kein Zufall. Üblicherweise wird so nur bei Ereignissen wie der „Großer Depression“ oder dem „Zweiten Weltkrieg“ verfahren, die in ihrer Tragweite von historischer Dimension sind.

Ein neues Bild? Nein

Auch Trump stellt eine solche Zäsur dar: Nach ihm werden die USA nie wieder sein wie zuvor. Die Frage lautet: Zeichnen Brinkbäumer und Lamby, die ihre Beobachtungen auch in Buchform (C.H.Beck Verlag) veröffentlich haben, ein neues Bild von Trump und dem Zustand der USA? Nimmt man allein die Fakten, lautet die Antwort: Nein.

Doch die „Amerikanische Katastrophe“ ist keine reine Zustandsbeschreibung, sondern mehr noch eine indirekte Vorhersage, logisch abgeleitet aus den vorgefundenen Fakten. Ein Faktum lautet: Der Graben, der durch die amerikanische Gesellschaft geht, er ist inzwischen unüberbrückbar. Ein anderes: die Gewalt hat bereits bürgerkriegsähnliche Züge angenommen.

Preisgekrönte Autoren: Klaus Brinkbäumer (l.) und Stephan Lamby.
Preisgekrönte Autoren: Klaus Brinkbäumer (l.) und Stephan Lamby.

© NDR/ECO Media TV-Produktion/

Von faschistischen Tendenzen ist nicht nur die Rede, es gibt auf der rechtsextremen Seite bis auf die Zähne bewaffnete paramilitärische Einheiten. Und gewalttätige Schläger, die hemmungslos auf Demonstranten des anderen politischen Lagers einschlagen. Und mittendrin einen US-Präsidenten, der statt zu schlichten und auszugleichen Öl ins Feuer gießt, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Egal, was aus dem Land wird.

Ihre Gewährsmänner und -frauen haben sich Brinkbäumer und Lamby in beiden politischen Lagern gesucht. Sie haben mit dem geläuterten Ex-Trump-Kommunikationschef Anthony Scaramucci gesprochen und dies auch mit dem aktiven Trump-Berater Sebastian Gorka versucht. Bis dieser Stephan Lamby vorwirft, er sei kein Journalist und solle aufhören, ständig den Präsidenten mit seinen Fragen anzugreifen.

Von den George-Floyd-Bildern traumatisiert

Ihre Gesprächspartner bei den Medien waren der CNN-Reporter Jim Acosta, der sich mit Trump im Weißen Haus heftige Wortgefechte geliefert hat, und Susan Glasser von „The New Yorker“ und der Blogger Judd Legum. Die Harvard-Historikerin Jill Lepore ist von den George-Floyd-Bildern schwer traumatisiert und kämpft vor laufender Kamera mit ihren Emotionen. Bundesaußenminister Heiko Maas fällt es schwer, die gebotene diplomatische Zurückhaltung aufrechtzuhalten.

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Die Bilder von George Floyds qualvollem Tod unter dem Knie eines Polizisten, aber auch die Plünderungsszenen im Gefolge der Black-Lives-Matter-Proteste sind erschreckend. Das gilt aber auch für die ausführlichen Einstellungen, in denen die Republikanische Partei ihrem politischen Führer anscheinend überall hin folgt. Wie sie andächtig seinen Worten lauscht, ihm nach seinen Reden frenetisch Beifall zollt und vor Ehrerbietung kaum zu bremsen ist. Diese Partei scheint sich damit abgefunden zu haben, auf Gedeih und Verderb an Trump gekettet zu sein.

Ein neues Bild? Nein. Es ist ein Schreckensgemälde, das Brinkbäumer und Lamby zeichnen. Der Film lässt wenig Hoffnung, dass sich nach dem 3. November etwas zum Besseren wendet. Die düstere Prophezeiung des Films, der auf eine Off-Kommentierung komplett verzichtet, wird zwar nicht ausgesprochen, sie steckt zwischen den Bildern, ergibt sich aus den Zitaten der Interviewten. Und sie lässt Schlimmstes befürchten.

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