zum Hauptinhalt
Rishi Sunak und Liz Truss während der TV-Debatte über die Führung der Tories. Die BBC ist dabei.

© picture alliance/dpa/PA Wire

Streit um die Rolle der BBC: „Verschwörung gegen die Öffentlichkeit“

Gibt es in der berühmtesten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt zu wenig Widerstand gegen die Einflussnahme der Johnson-Regierung?

Das Dauerfeuer der Kritik durch rechte Medien und aus der konservativen Regierung des Noch-Premiers Boris Johnson sind die Verantwortlichen der BBC gewohnt. Am Mittwoch Abend aber bekam die berühmteste öffentlich-rechtliche Anstalt der Welt heftigen Zunder von einem ihrer Ex-Stars: Allzu häufig gebe die Sender-Spitze der Kritik aus der Downing Street nach, glaubt Emily Maitlis, die vor ihrem Ausscheiden im Frühjahr Jahrzehnte lang führende BBC-Magazine moderiert hatte.

Für die vermeintliche Ausgewogenheit sei neuerdings „ein aktiver Agent der konservativen Partei“ zuständig. Die 51-jährige Journalistin warnte ihren Ex-Arbeitgeber auch davor, beim Thema Brexit eine „kauernde Haltung“ einzunehmen: „Das wirkt wie eine Verschwörung gegen die Öffentlichkeit.“

Die Rundfunkgebühr wurde für zwei Jahre eingefroren

Maitlis hielt ihre Rede auf dem TV-Festival von Edinburgh, wo die wichtigsten Medien-Macher zusammenkommen. Dementsprechend hohe Aufmerksamkeit wird ihrer Kritik geschenkt. Zudem zählt die Moderatorin zu den zahlreichen prominenten Namen, die in den vergangenen Monaten die BBC verlassen haben. Der erhebliche brain drain hat zum Einen mit dringend nötigen Einsparungen zu tun.

Von der Kulturministerin Nadine Dorries wurde dem Sender ausgerechnet zum 100. Geburtstag eine brutale Schrumpfkur verordnet, die Rundfunkgebühr für zwei Jahre eingefroren, zukünftige Förderung von Vorgaben in der Personalstruktur abhängig gemacht.

Zum Anderen ist die politische Unzufriedenheit im Unternehmen weit verbreitet. Sowohl Chairman Richard Sharp wie Generaldirektor (Intendant) Tim Davie stehen den Konservativen nahe. Wie Maitlis haben viele BBC-Journalisten den Eindruck, die Senderspitze mache sich zu sehr mit den Herrschenden gemein.

Maitlis’ Kritik an der „Mauer des Schweigens“ zum Thema Brexit findet großen Widerhall, entspricht sie doch einem weitverbreiteten Gefühl vieler Briten: Medien und Politik, nicht zuletzt die oppositionelle Labour-Party, drücken sich vor einer offenen Diskussion darüber, welche Folgen der von 52 Prozent der Wahlbevölkerung 2016 herbeigewählte EU-Austritt zeitigt. Dazu zählen ein massiver Exportrückgang in die EU sowie lange Schlangen am Ärmelkanalhafen von Dover, die Unterbrechung wichtiger Forschungszusammenarbeit sowie der Tiefststand britisch-irischer Beziehungen seit einem Vierteljahrhundert, hervorgerufen vom Streit um Nordirland.

Pikiert reagierte die Intendanz auf den Vorwurf konservativer Einflussnahme. Der von Maitlis etwas melodramatisch als „Agent“ bezeichnete Robbie Gibb gehört dem derzeit 13-köpfigen Aufsichtsrat (Board) seit gut einem Jahr an. Zuvor war der 57-Jährige Jahrzehnte lang für die BBC tätig, zuletzt als Abteilungsleiter Politik, ehe er zwei Jahre lang der Premierministerin Theresa May als Kommunikationsdirektor diente.

Seine Kritik an tatsächlicher oder vermeintlicher politischer Korrektheit im journalistischen Herangehen der BBC wird von vielen Konservativen geteilt, darunter auch Kritikern der Johnson-Regierung. Ein BBC-Sprecher nahm Gibb in Schutz: Das Board sei kollektiv für die parteipolitische Unabhängigkeit des Senders verantwortlich. „Völlig falsch“ sei zudem der Vorwurf, Gibb habe die Berufung politisch missliebiger Journalisten auf BBC-Führungspositionen verhindert.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die alle zehn Jahre ausgestellte königliche Charta hebt den Sender ausdrücklich jenseits direkten politischen Einflusses. Andererseits gehört Einvernehmen mit der Regierung zu den wichtigsten Aufgaben der Sender-Verantwortlichen. Über die Jahre haben Chairman und Intendant den Einflüsterungen von Königshaus und Downing Street mehr oder weniger gut widerstanden.

Margaret Thatcher berief 1986 einen Vertrauten als Chairman mit dem expliziten Ziel, den Generaldirektor zu feuern; binnen weniger Monate war diese Aufgabe erledigt. Erspart geblieben ist dem Vorbild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die parteipolitische Besetzung wichtiger Funktionen, wie sie in Deutschland und Österreich üblich ist.

Bis 2026 muss eine neue königliche Charta vereinbart werden – Gelegenheit für die Konservativen, den Giganten stärker an die Kandare zu nehmen. An der Feindseligkeit dürfte sich auch nichts ändern, wenn Anfang nächsten Monats die Nachfolge von Premier Johnson geklärt ist. Besonders die Favoritin, Außenministerin Liz Truss, steht in spöttischen Bemerkungen über den vermeintlich unbotmäßigen Sender ihrem bisherigen Chef in nichts nach. Womöglich belässt sie sogar die Kulturministerin Dorries im Amt. Diese attackiert gern „das Gruppendenken“ und einen angeblichen „Mangel an Objektivität“ in der BBC.

Stärkere Berücksichtigung vernachlässigter Regionen

Mindestens ebenso groß ist die Herausforderung durch Amazon und Netflix, deren Serien und Filmen vor allem bei jungen Leuten gut ankommen. Hingegen wird das Publikum herkömmlicher TV-Sender immer älter. Da nützt es auch wenig, dass die Briten ihr „Tantchen Beeb“, wie der Sender im Volksmund genannt wird, noch immer zu 70 Prozent für glaubwürdig halten, weit mehr als vergleichbare Institutionen.

Wenn die Rundfunkgebühr weiterhin bei jährlich 159 Pfund (188,43 Euro) pro Haushalt bleibt, muss der Mediengigant bis 2027 bis zu 1,4 Milliarde Pfund einsparen. Davie hat harsche Sparmaßnahmen eingeleitet, stets begleitet vom Wutgeheul vieler seiner 17500 Mitarbeiter, aber auch der Öffentlichkeit. Verstärkt wurde der Versuch, Programme aus der Zentrale in London zu verlagern. Damit entspricht die Senderleitung dem Wunsch der Regierung: eine stärkere Berücksichtigung vernachlässigter Regionen.

Nun wird das Wissenschafts- und Klimateam ins walisische Cardiff verlegt, was einen Exodus des eingespielten Teams zur Folge hatte. Unter anderem nahmen die bekanntesten Gesichter, Chefreporter David Shukman und Klimawandel-Spezialist Roger Horrobin, ihren Hut Die bisher terrestrisch angebotenen Kultursender BBC4 sowie der Kinderkanal CBBC sollen von 2025 an nur noch online existieren. Die Nachrichten-Kanäle, bisher auf In- und Ausland aufgeteilt, werden fusioniert, was mit Dutzenden von Stellenstreichungen einhergeht.

Alle Jahre wieder gibt es auch Streit um die Gehälter. Verschämt wies die BBC bei der Vorstellung des Jahresberichts darauf hin, man befinde sich „in extrem hartem Wettbewerb um besteTalente“. Gerechtfertigt wurde die Liste von 70 prominenten Moderatoren und Spitzenmanagern, die mehr als 150.000 Pfund jährlich verdienen. Auf Platz Eins lag wieder einmal unangefochten der beliebte Fußball-Experte, Ex-Nationalmittelstürmer Gary Lineker, mit 1,6 Millionen Euro Jahresgehalt. Aber auch Sparmeister Davie muss nicht darben: Seine Bezüge stiegen im vergangenen Jahr um zehn Prozent auf 618.000 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false