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Das Teppich-Label Limala spielt mit Akzenten aus Marokko.

© Limala

Mehr als nur Knoten: Warum Teppiche noch immer Kostbarkeiten sind

Ein Teppich macht einen Innenraum oft erst wohnlich. Zwei Berliner Label spielen in ihren Designs kunstvoll mit traditionellem Handwerk und Moderne.

Ihre Liebe begann in Marokko. 2017 haben Samara Mahboub, in München aufgewachsen, und der aus Casablanca stammende Zaid Charkaoui geheiratet. Und hier entstand auch die Idee, ein eigenes Teppichlabel zu gründen. In einem Dorf nahe Marrakesch hatten sie einen kleinen Laden entdeckt und waren begeistert von all den bunten Teppichen, die vor dem Geschäft drapiert waren. Jedes Stück ein Unikat, dessen Farben um die Wette leuchteten.

Das Paar war sich sofort sicher: Solche Handwerkskunst würde doch auch Europäern gefallen. Charkaoui und Mahboub beschlossen, die Teppiche nach Deutschland zu bringen und dort zu vermarkten. In der traditionellen Webkunst sehen beide eine Verbindung zwischen den marokkanischen Wurzeln und dem Leben in der Wahlheimat Berlin.

Alte Muster, neue Farben. Wie gut das zusammenpasst, zeigt Zaid Charkaoui hier mit einem pinkfarbenen Hingucker.

© Limala

Ende 2019 gründeten sie das Teppichlabel Limala. Präsentiert werden die einzigartigen Stücke in einem Showroom an der Potsdamer Straße 91 in Tiergarten. Die Designs sind teils eigene Entwürfe, die in Marokko nachgewebt werden. Teils werden aber auch jene Muster übernommen, die sich die marokkanischen Teppichkünstler ausgedacht haben. Ideen werden ausgetauscht, für gut befunden oder wieder verworfen. Eine Win-win-Situation.

Vielleicht liegt es an den vielen fußkalten Altbauwohnungen, dass die deutsche Hauptstadt die Heimat vieler kreativer Teppichdesigner ist. Es könnte aber auch an der Reisefreudigkeit der Berliner liegen, ihrer Offenheit für andere Kulturen oder der Wertschätzung für Handarbeit.

Die Inspiration für Rug Star kam aus Nepal

So entdeckte Jürgen Dahlmanns, Jahrgang 1967, bereits als Architekturstudent in West-Berlin seine Liebe zu Teppichen. Mit 23 Jahren war er unterwegs auf einer Wanderung im nepalesischen Annapurna-Gebirge. Dort, bei einem Bergbauern, verguckte er sich in einen Teppich, kaufte ihn und brachte ihn mit nach Berlin. Sein Interesse an tibetischer Knüpfkunst wuchs, Dahlmann vertiefte sich in die Kulturgeschichte Nepals, wollte alles darüber wissen. Mehrfach kehrte er nach Nepal zurück und baute Kontakte zu Webereien auf. Dort und im indischen Bundesstaat Rajasthan entstehen nach seinen Entwürfen die Teppiche seines 2002 gegründeten Labels Rug Star.

Ein Teppich hat eine architektonische Dimension, denn er ermöglicht es uns, einen Raum zu schaffen, ohne Wände zu bauen.

Jürgen Dahlmanns, Designer und Gründer des Labels Rug Star

Seither gibt es auch das Geschäft in der Rosa-Luxemburg-Straße 27 in Mitte. In der Hauptstadt sind die außergewöhnlichen Teppiche begehrt, hier mag man Besonderes. Die Unikate liegen oft in modernen Lofts oder Ateliers. Auch manch ein Villenbesitzer hat sich so einen Hingucker in den Flur oder ins Wohnzimmer gelegt.

Zu den wichtigsten Materialien der Teppiche von Rug Star gehören tibetische Hochlandwolle, chinesische Seiden und Pflanzenfasern aus dem Himalaya. Die kreativen Muster reichen von blassen Farbverläufen bis zu kräftigen Kontrasten. Bei der Serie „Block“ etwa sieht es aus, als hätte jemand mit der Farbrolle über den Boden gewalzt. Dann wieder nehmen sich die Entwürfe in zarten Pastellfarben zurück wie es bei der Kollektion „Palm Springs“ der Fall ist. An Kunstwerke erinnern die Teppiche der Serie „Splash“ in asymmetrischen Formen.

Als solche inszenierte sie Jürgen Dahlmanns auch kürzlich in der Zitadelle Spandau. Dort sind in der permanenten Ausstellung „Enthüllt: Berlin und seine Denkmäler“ alte Skulpturen aufgestellt, die einst an unterschiedlichen Plätzen in der Stadt standen und die jeweilige Staatsmacht repräsentierten. Inmitten dieser Statuen fotografierte er die Teppiche für den ersten Teil der Rug Star-Kampagne „Epic Berlin“.

Splash Galileo hat Jürgen Dahlmanns dieses futuristische Muster genannt. Die in Indien hergestellten Teppiche bestehen aus 40 Prozent Wolle und 60 Prozent Seide. 

© Rug Star

Als Architekt ist er sich der räumlichen Wirkung seiner Produkte bewusst: „Ein Teppich hat eine architektonische Dimension, denn er ermöglicht es uns, einen Raum zu schaffen, ohne Wände zu bauen“, sagt Jürgen Dahlmanns. „Es reicht nicht immer aus, einen Stuhl und einen Tisch zusammenzustellen, um das Gefühl eines Esszimmers zu erzeugen.“ Aber ein Tisch in Kombination mit einem Teppich werde zu einem Raum. Hinzu kommt die schalldämmende Wirkung. Nicht nur die Bewohner selbst spüren das, auch die Nachbarn, gerade in Altbauten, danken es. Geräusche von Schritten und Stimmen werden deutlich gemildert.

Alexander der Große brachte erste Teppiche von seinen Eroberungen nach Europa

Ihren Einzug nach Europa hielten Teppiche bereits im dritten Jahrhundert vor Christus. Alexander der Große brachte sie von seinen persischen Eroberungen mit. Auch Handelsreisende verbreiteten die kostbaren Bodenbeläge in Europa, die ursprünglich von Nomadenvölkern hergestellt wurden und oft ihr wertvollster Besitz waren.

Marokkanische Teppiche erhielten in Europa später ihre Wertschätzung als die dickeren, vermeintlich wertvolleren Perserteppiche. Samira Mahboub und Zaid Charkaoui verzichten bewusst auf den Begriff „Berber“, eine koloniale Fremdbezeichnung der diversen nordafrikanischen Urbevölkerung. Für die Limala-Gründer sind sie „Amazigh“, was übersetzt „freier Mensch“ bedeutet. So nennen sich die indigenen nordafrikanischen Ethnien, die in Algerien, Libyen, Mauretanien, Marokko und Tunesien leben.

Etwa drei Wochen dauert die Arbeit an einem handgeknüpften Teppich von Limala. Hochwertige Exemplare erkennt Samira Mahboub gerade nicht an glatter Perfektion wie sie nur Maschinen liefern können. Gerade leichte Unregelmäßigkeiten seien ein Qualitätsmerkmal. Das Gleiche gilt für eine hohe Knotendichte: Je enger der Teppich geknüpft ist, desto mehr Arbeit steckt darin. „Wir betonen gern, dass man Nachhaltigkeit und bewussten Konsum fördert, indem man in das Prinzip der Slow Manual Labour investiert, also in langsame zeitintensive Handarbeit“, unterstreicht die Gründerin.

In der Zusammenarbeit mit marokkanischen Familien im Atlas-Gebirge, die seit Generationen Teppiche herstellen, ist Mahboub und Charkaoui die persönliche Verbindung und der Kontakt auf Augenhöhe wichtig. Die beiden sprechen sogar von einer „Dekolonialisierung“, zu der sie beitragen wollen.

All das erscheint jetzt nebensächlich. Das Erdbeben vom 9. September hat die Region mit voller Wucht getroffen, Tausende sind gestorben, viele sind obdachlos geworden. „Wir hatten unfassbar viel Glück“, sagt Mahboub, „unsere Dörfer wurden verschont“, alle Familien seien wohlauf. Die Produktion, die den Menschen ihr Auskommen sichert, kann weitergehen.

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