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Die Abtrennungen sollen die Verbreitung des Treibstoffs verhindern.

© AFP

21.000 Tonnen Treibstoff in der russischen Arktis: Eine Katastrophe, wegen der Putin einen Gouverneur abwatschte

Mit überraschender Offenheit berichten russische Medien über das Versagen der Verantwortlichen. Der gigantische Austritt von Treibstoff in der russischen Arktis ist kaum in den Griff zu bekommen.

Das Wasser des Flusses Ambarnaja in der russischen Arktis ist tiefrot gefärbt. Auch auf Satellitenbildern sieht man das gut. Schwimmende Barrieren können das verschmutzte Wasser nicht aufhalten, immer weiter breitet sich eine dicke rote Schicht aus. Hinter den Sperren werden „hohe Konzentrationen von Petroleumprodukten“ nachgewiesen, gab die Umweltbehörde der Region Krasnojarsk zu Wochenanfang bekannt.

Der Sumpfboden in der baumlosen Tundra an den Ufern des Flusses ist über mehrere Quadratkilometer vergiftet. Langsam wird das ganze Ausmaß deutlich: Es ist die bisher größte Umweltkatastrophe in der russischen Arktis, einer ökologisch außerordentlich verletzlichen Region.

Ende Mai waren aus dem Tank eines Kraftwerkes nördlich der Stadt Norilsk rund 20.000 Tonnen Treibstoff ausgetreten. Zum Vergleich: Das entspricht einer Menge von etwa 350 Kesselwagen bei der Eisenbahn. 

Die Ursache ist noch nicht offiziell bestätigt, aber wahrscheinlich war der Dauerfrostboden unter dem Tank aufgetaut und die Anlage sackte daraufhin ab. Experten vermuten eine direkte Folge des Klimawandels. Seitdem kämpfen Einheiten des russischen Katastrophenschutzes gegen die Folgen der Havarie – bisher mit wenig Erfolg.

Für arktische Verhältnisse ist der Unglücksort nicht aus der Welt. Nach russischen Maßstäben liegt die Großstadt Norilsk in der Nähe. Der Ort war bislang für andere Umweltsünden bekannt. Hier gewinnt und verarbeitet der Konzern Nornickel, der dem Putin-Vertrauten und Multimilliardär Wladimir Potanin gehört, Nickelerz ohne Rücksicht auf die Natur. Die Luftverschmutzung ist eine der höchsten in Russland. Das Kraftwerk gehört zum Konzern.

Schwer zu erreichendes Katastrophengebiet

Das Katastrophengebiet ist im Sommer nur schwer zu erreichen. Schon kurz hinter der Stadtgrenze von Norilsk beginnt, was auf russisch „Besdoroshje“ heißt und in den Sümpfen des Nordens auch eine Jahreszeit benennt: „Wegelosigkeit“.

Zunächst waren örtliche Behördenvertreter auf die Idee gekommen, den Treibstoff einfach in Brand zu setzen – mit unabsehbaren Folgen. Jetzt soll das vergiftete Wasser gesammelt und der Boden, mehrere hunderttausend Kubikmeter, abgetragen und gesammelt werden. Wegbringen kann man alles aber erst im nächsten Winter, wenn der Boden gefroren ist. „Sehr viel länger wird es dauern, bis sich die Natur regeneriert“, sagt der Umweltschützer Alexander Kolotow.

1994, nach einer vergleichsweise kleinen Havarie an einer Bohrstelle habe es sechs Jahre gedauert, bis der Boden abgetragen war. Noch ein Vierteljahrhundert später seien Schadstoffe nachgewiesen worden.

Die Katastrophe wurde erstmal zu den Akten gelegt

Die Katastrophe in Norilsk liefert auch Anschauungsmaterial, wie Katastrophenmanagement in Russland funktioniert. Mit überraschender Offenheit berichten Medien über das Versagen und die Hilflosigkeit von Verantwortlichen. Sie zeigen einen fassungslosen Wladimir Putin in einer Krisenkonferenz vor einem Bildschirm. 

Alexander Uss, der Gouverneur der Region Krasnojarsk, erstattet ihm zwei Tage nach der gewaltigen Katastrophe in drei, vier dürren Sätzen Bericht und schweigt dann. „Sie sind fertig?“, fragt Putin konsterniert. „Aber was muss getan werden? Sie sind doch der Gouverneur?“ 

Warum die Behörden erst aus den sozialen Netzwerken von dem Vorfall erfahren, herrscht Putin den Gouverneur an. Doch damit nicht genug: „Ist mit ihrer Gesundheit alles in Ordnung?“, fragt Putin und macht eine Geste, als zweifle er am mentalen Zustand des immerhin von ihm selbst bestallten Provinzfürsten.

Aber die Lage ist noch schlimmer. Der Betreiber des Kraftwerkes kann nachweisen, dass er die Havarie bereits eine halbe Stunde später nach Moskau an das Energieministerium gemeldet hat. Dort legte man den Vorfall jedoch wohl erst einmal ordnungsgemäß zu den Akten. Weil die regionale Führung die Vorgänge dann weiter herunterzuspielen versucht, wird der Präsident aktiv.

Immer, wenn sich Moskau Vorgängen in der Provinz zuwendet, führt das bei den lokalen Behörden zu einer Mischung aus Erleichterung und Furcht. Erleichterung, weil die Funktionsträger am Ort die Verantwortung an eine höhere Instanz los sind – und Furcht, weil dann meist Köpfe rollen. Die russische Generalstaatsanwaltschaft ermittelt inzwischen in mehreren Fällen.

Viele Chemiefabriken stehen auf unsicherem Grund

Sie ist ohnehin in der Region gut beschäftigt. Hunderte Fälle sind nach den großflächigen Waldbränden im vergangenen Jahr noch anhängig, wo es auch um Brandstiftung geht. Uss hatte schon damals keine gute Figur gemacht. Die Taiga brennt inzwischen schon wieder.

Russland müsse jetzt seine gesamte Konzeption zur Erschließung der Arktis rasch und grundsätzlich ändern, sagt Umweltschützer Kolotow. Ein beträchtlicher Teil des russischen Erdgases wird in der Arktis westlich von Norilsk gefördert. Nicht nur die Bohrtürme, sondern ganze Chemiefabriken stehen hier auf zunehmend unsicherem Grund.

Das meteorologische Institut stellte fest, dass die Temperaturen im russischen Teil der Arktis beträchtlich schneller steigen als im weltweiten Durchschnitt. Moskau sah darin bislang vor allem wirtschaftliche Vorteile. Die Öl- und Gasförderung in Nordsibirien wird technisch einfacher und billiger, hieß es bislang.

Nun kommen ernsthafte Zweifel auf. Gerade erst hat der Staatskonzern Rosneft eine Investition von umgerechnet 144 Milliarden Euro im Norden der Region Krasnojarsk vorgestellt, ein ganz neues Ölfeld wird erschlossen. Der Bau von 15 Städten ist geplant, 800 Kilometer Pipelines sollen durch die wegelosen Sümpfe in die Häfen an der Küste führen. Durch ein Gebiet, das im Sommer nur mit dem Hubschrauber zugänglich ist. Es ist dann „Besdoroshje“, weglos.

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