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Menschen in einem Flüchtlingslager in der Provinz Luapula in Sambia.

© care/www.care.de

512 Artikel über Sambia, mehr als 300.000 zu Harry und Meghan: Krisenländer bekommen oft wenig Aufmerksamkeit

Immer mehr Menschen leiden unter Konflikten und Klimakatastrophen. Trotzdem gibt es weniger Artikel über sie - mit unmittelbaren Folgen.

Hunger, Dürre, Heuschreckenplage – Sambia ist im Dauerkrisenmodus. 60 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, 1,2 Millionen der knapp 18,4 Millionen Einwohner haben nicht genug zu essen. Doch über das große Leid in dem Land wird nur wenig berichtet: Von 1,8 Millionen Onlineartikeln in arabischer, englischer, deutscher, französischer und spanischer Sprache, die zwischen Januar und September 2021 veröffentlicht wurden, handelten nur 512 von Sambia.

Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum wurden 362.522 Artikel zum Interview des britischen Prinzen Harry und seiner Frau Meghan mit der amerikanischen Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey publiziert. Das geht aus einer Zusammenstellung des Medienbeobachtungsdienstes Meltwater hervor.

Sambia steht damit ganz oben auf einer Liste, die über die blinden Flecken der globalen Medienlandschaft informiert. Die Hilfsorganisation Care hat sie zusammengestellt und stützt sich dabei auf die Analyse von Meltwater. Dafür wurden jene Länder der Welt identifiziert, in denen mindestens eine Million Menschen von Naturkatastrophen, Konflikten oder anderen Krisen betroffen sind. Anschließend wurden die Onlineartikel daraufhin untersucht, wie oft sie diese Länder zum Thema hatten.

Neben Sambia stehen auch Länder wie Malawi und Simbabwe sowie Guatemala und Honduras in dem Report „Suffering in Silence“ auf der Liste der vergessenen Krisenstaaten. „Durch Unterernährung oder Klimakatastrophen verursachtes menschliches Leid hat keine Priorität, weil es für weniger Onlineklicks sorgt“, sagt Chikondi Chabvuta, Klimaexpertin bei Care und politische Beraterin für das südliche Afrika.

Schatten der Corona-Pandemie

Aktuell läge zudem über allem der Schatten der Corona-Pandemie, die einen Großteil der Aufmerksamkeit für sich beanspruche. „Mit der Studie wollen wir nicht die Medien kritisieren, sondern dazu ermuntern, über die wenig bekannten Krisen zu lernen.“ Unter den zehn betroffenen Ländern, über die am wenigsten berichtet wurde, haben sieben eine Gemeinsamkeit: Sie alle erleben bereits die direkten Auswirkungen des Klimawandels.

Im ostafrikanischen Burundi etwa traten während der Regenzeit im Frühjahr 2021 Seen und Flüsse über die Ufer – 20.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. 90 Prozent der Bevölkerung leben von kleinbäuerlicher Landwirtschaft. 2,3 Millionen der Einwohner:innen Burundis benötigten 2021 humanitäre Hilfe.

[Lesen Sie auch unsere Serie über Klimaaktivistinnen aus Afrika: A Female Fight for the Future]

Chikondi Chabvuta, Klimaexpertin bei Care und politische Beraterin für das südliche Afrika

© care/www.care.de

Frauen leiden besonders: Jede dritte Frau in Burundi hat im vergangenen Jahr Gewalt durch einen Partner erlebt, heißt es in der Studie. „Häusliche Gewalt nimmt zu, wenn Nahrungsknappheit herrscht, weil dann die Stimmung in den Familien angespannt ist“, sagt Expertin Chabvuta. Burundi ist kein Einzelfall. Die Studie zeigt, dass Frauen in den meisten Krisenregionen einem höheren Risiko ausgesetzt sind.

„In vielen Ländern wie etwa Sambia und Malawi führen patriarchale Normen zu strukturellen Nachteilen für Frauen“, sagt Chabvuta. Auch Frauen im mittelamerikanischen Honduras betrifft das. Dort wird alle 29 Stunden eine Frau aufgrund ihres Geschlechts ermordet. Chabvuta plädiert dafür, dass Geschlechtergerechtigkeit im Vordergrund der Geschichten über humanitäre Krisen stehen sollte.

Stieß auf viel Interesse: Das Interview von Harry und Meghan mit Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey.

© Joe Pugliese/dpa

Als Beispiel kann auch die Ukraine dienen, die auf Platz 2 in der Studie über die vergessenen Krisen genannt wird. Der bewaffnete Konflikt im Osten des Landes steht aktuell zwar wieder deutlich im Fokus, bis Ende September widmeten sich aber nur knapp über 800 der 1,8 Millionen untersuchten Artikel der Auseinandersetzung. Dabei sind in der Ukraine Frauen ebenfalls besonders betroffen, werden häufiger Opfer von Ausbeutung und Diskriminierung.

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„Es ist wichtig, unterschiedliche Perspektiven zu zeigen, um globale Solidarität zu erzeugen“, sagt Chabvuta. Mehr Klicks und Aufmerksamkeit würden helfen, weil sich die Menschen mit ihren Problemen wahrgenommen fühlten und Geldgeber besser priorisieren könnten, an welchen Orten ihre Unterstützung am meisten gebraucht werde. Und Geld wird dringend benötigt: Dem Bericht zufolge ist die humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen 2021 mit rund 16 Milliarden Euro nicht einmal zur Hälfte finanziert worden.

„Je mehr Berichte über diese Konflikte geschrieben und gelesen werden, desto mehr Humanität wird geteilt“, sagt Chabvuta. Sie verweist auf Madagaskar als Beispiel: Im Report vom Vorjahr stand das von Dürre und Trockenheit geplagte Land noch, in der aktuellen Liste wird es aber nicht mehr aufgeführt. Die Berichte haben zugenommen - und mit ihnen die internationale Hilfe für Madagaskar.

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