zum Hauptinhalt
Anisschnaps hat Tradition. Schon Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk war dem Raki sehr zugetan. Viele in dem muslimischen Land folgen seinem Vorbild.

© picture alliance / dpa

Türkei: Ayran fürs Volk, Raki für die VIP-Loge

Die Türkei will die Alkoholverbote verschärfen – auch die Werbung soll verboten werden. Doch die Pläne der Regierung stoßen auf Kritik.

Nicht der hochprozentige Anisschnaps Raki, sondern der islamisch unbedenkliche Joghurtdrink Ayran sei das Nationalgetränk der Türkei, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kürzlich. Jetzt macht Erdogans Regierungspartei AKP mit einem Gesetzentwurf ernst. Demnach soll jede Art von Werbung für Alkohol und jedes Sponsoring von Alkoholfirmen verboten werden, Kneipen und Restaurants in der Umgebung von Schulen und Moscheen erhalten keine Schanklizenz mehr.

Die Novelle stieß auf so heftige Kritik, dass die AKP nachbessern will, besonders mit Blick auf den Wirtschaftsfaktor Alkohol und die hohen Steuereinnahmen. Der Streit zeigt den Zwiespalt der AKP zwischen islamischer Frömmigkeit und wirtschaftspolitischen Prioritäten. Trotz aller Warnungen des frommen Moslems Erdogan ist der Pro-Kopf-Verbrauch reinen Alkohols in der Türkei laut OECD seit Regierungsantritt der AKP im Jahr 2002 von 1,4 Litern pro Jahr auf 1,5 Liter gestiegen. Das ist nur etwa ein Zehntel des Konsums in Deutschland, doch islamisch-fromme Trinkgewohnheiten sprechen nicht daraus. Allein 2012 nahm der Alkoholkonsum im Vergleich zum Vorjahr um satte 6,3 Prozent zu, wobei die 30 Millionen Touristen kräftig mithalfen.

Diese Bierseligkeit ist einigen AKP-Politikern ein Dorn im Auge. Nach ihrem Gesetzentwurf müssen Alkoholflaschen und -büchsen künftig mit gesundheitlichen Warnhinweisen bedruckt werden. Das geplante Werbeverbot betrifft auch Logos von Alkoholmarken auf Kneipenschildern sowie auf Weingläsern oder Tischdecken: Der Alkohol soll aus dem türkischen Alltag verschwinden. Begründet wird all dies mit Gesundheitsgefahren und Jugendschutz.

Im Eifer des Gefechts wollten die Autoren des Gesetzentwurfs auch die Regel einführen, dass im Umkreis von hundert Metern um Gotteshäuser oder Schulen kein Alkohol verkauft mehr werden darf. Damit würden allein im Istanbuler Vergnügungsviertel Beyoglu, das jährlich Millionensummen an Steuereinnahmen produziert, drei von vier Bars und Restaurants mit einem Schlag trockengelegt, denn dort gibt es Schulen und Moscheen an jeder Ecke. Nun will die AKP die Branche – und die Steuereinnahmen – durch den Hinweis retten, dass die Hundert-Meter-Regel nur für künftige Kneipen gilt, nicht für bereits bestehende. Auch verzichtet die AKP auf ein Alkoholverbot für Kneipentische auf der Straße.

Dennoch sind Kritiker entsetzt. Erdogan-Gegner sehen einen Versuch der Regierung, gegen unislamische Lebensstile vorzugehen. Erdogan wolle den Leuten den Spaß am Alkohol verderben, hieß es in der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“.

Dieser Vorwurf ist so alt wie die AKP-Regierung selbst. Bisher provozierten vor allem die ständig steigenden Steuern auf Bier, Wein und Schnaps Ärger. Außerdem machten immer wieder AKP-Lokalfürsten mit örtlichen Alkoholverboten Schlagzeilen. Einige besonders fromme Gegenden Anatoliens sind ohnehin beinahe alkoholfrei, weil die Nachfrage fehlt. Dem trotzdem insgesamt steigenden Alkoholkonsum im Land konnte – oder wollte – die AKP bisher nicht beikommen. Vor einiger Zeit kündigte das Gesundheitsministerium jedoch an, mehr gegen den Alkohol tun zu wollen. Gesundheitsminister Mehmet Müezzinoglu bezeichnete Veranstaltungen wie das „Oktober-Bierfest“ in Antalya öffentlich als „besorgniserregend“.

Doch einfach ist der Kampf gegen Bier, Wein und Schnaps nicht, denn der Alkoholkonsum hat in der muslimischen Türkei eine lange Tradition. Der dem Raki zugetane Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk starb 1938 an einer Leberzirrhose. Ausgerechnet unter der AKP-Regierung hat sich in der Türkei in den vergangenen Jahren eine sehr lebendige Weinkultur entwickelt.

Nun hatte die AKP möglicherweise gehofft, die neuen Trinkvorschriften ohne viel Aufhebens in die Gesetzbücher schmuggeln zu können. Die Alkoholverbote finden sich nicht in einem eigenen Gesetz, sondern sind in einem Sammelentwurf von 32 Paragrafen versteckt, der Regelungen von der Landwirtschaft bis zu den Menschenrechten enthält. Für Erdogans Gegner steht längst fest, wohin die Reise gehen soll. Oppositionspolitiker sprachen von Zuständen wie unter dem Osmanensultan Murat IV., der im 17. Jahrhundert den Alkoholkonsum mit der Todesstrafe verfolgte. Dabei habe der Sultan insgeheim selbst gepichelt, erklärte die Opposition – ein Hinweis darauf, dass nicht alle AKP-Politiker so fromm sind, wie sie wegen ihrer konservativen Wählerschaft in der Öffentlichkeit tun.

Auch das internationale Spirituosenunternehmen Diageo, das vor zwei Jahren den türkischen Rakihersteller Mey für zwei Milliarden Dollar kaufte und große Hoffnungen in den türkischen Markt setzt, kritisierte die Erdogan-Regierung. Diese habe eine „ausgeglichene“ Neuregelung versprochen, was von der jetzt bekannt gewordenen Version kaum gesagt werden könne. Marktriese Diageo will nun erneut mit der Regierung sprechen.

Aus Sicht türkischer Alkoholliebhaber ist das ein Hoffnungszeichen, denn für die Interessen großer Unternehmen hat die AKP so häufig ein offenes Ohr, dass sie mitunter als Partei der Bosse kritisiert wird. Diese Unternehmernähe zeigt sich auch beim neuen Alkoholgesetz: Obwohl in Sportstadien generell ein striktes Alkoholverbot gelten soll, darf in den VIP-Logen der großen Firmen und der reichen Geschäftsleute weiter gebechert werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false