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© ZDF/Gordon Mühle

Politik: Verwende deine Jugend

Politikverdrossenheit? Davon ist bei Jacob Schrot, 19, nichts zu spüren. Er wollte Kanzler werden

Von so einem Wahlergebnis können Politiker nur träumen: Als Jacob Schrot, 19, vor drei Monaten im Finale der ZDF-Castingshow „Ich kann Kanzler“ stand, da wählten ihn 72 Prozent der Zuschauer per Telefonanruf zum Sieger. In der Sendung ging es darum, zu zeigen, dass die sogenannte Jugend von heute eben doch nicht so politikverdrossen ist, wie man gemeinhin denkt. Vor den Juroren Günther Jauch, Anke Engelke und dem ehemaligen Bremer Bürgermeister Henning Scherf forderte Jacob mehr Chancengleichheit für alle, insbesondere was die Bildung betrifft. Und gewann damit ein Praktikum im Bundeskanzleramt sowie ein Nettomonatsgehalt von Angela Merkel – 18 500 Euro.

Kein schlechtes Ergebnis für jemanden, der gerade erst sein Abitur gemacht hat. Und der eher spontan und zufällig an der TV-Show teilgenommen hat. Eigentlich recherchierte Jacob im Internet für ein Referat über Altkanzler Helmut Schmidt, als er auf den Bewerbungsaufruf stieß. „Mir hat der Ansatz gefallen: zu zeigen, dass junge Menschen mehr können als Komasaufen.“

Wir sind mit Jacob am Berliner Hauptbahnhof verabredet. Er kommt aus Brandenburg an der Havel, wo er bei seinen Eltern wohnt, mit seiner elfjährigen Schwester. Wir treffen uns am Ausgang Richtung Bundeskanzleramt, logisch. Auch wenn man sein Gesicht noch nicht aus dem Fernsehen kennen würde, fällt Jacob Schrot auf: ein baumhoher Schlacks, dessen Haare sich wild um den Kopf legen, der einen dunklen Anzug trägt und in der Hand eine große schwarze Tasche. Gleich zur Begrüßung entschuldigt er sich für seinen Zweiteiler, so laufe er nicht immer herum. Am Morgen stand ein Treffen mit dem CDU-Ortsverband an, dem er seit zwei Jahren angehört. Deshalb der Anzug.

Jacobs Interesse für Politik begann vor acht Jahren. An das Datum kann er sich genau erinnern, es war der 11. September 2001, und Jacob saß vor dem Fernseher, als das zweite Flugzeug ins World Trade Center krachte. Er schrieb daraufhin einen Aufsatz, den die Lehrerin der Klasse vorlas. Später wurde er dann Schülersprecher, Unicef-Jugendbotschafter und Mitglied im Landesschülerrat. Irgendwann fing er an, sich die Programme der Parteien durchzulesen. Sein Fazit: „Die perfekte Partei gibt es nicht, man muss immer Kompromisse machen.“

Das Praktikum im Bundeskanzleramt steht noch bevor. Was daran liegt, dass Jacob gerade erst von einem zweimonatigen Auslandsaufenthalt zurückgekehrt ist. Wir spazieren in Richtung Bundeskanzleramt, während er von seinem Entwicklungsdienst in Uganda erzählt, Dort arbeitete er in einem Heim für HIV-Waisen. Und gab an einer Schule Deutschunterricht. Als er dort anfing, gab es nicht einmal Wörterbücher. Die kaufte Jacob von seiner „Kanzler“-Siegprämie. Er erzählt von einem Erlebnis an seinem letzten Aufenthaltstag, das ihn, den Sohn zweier Ärzte aus gutbürgerlichem Hause, tief erschüttert hat. Er lief durch die Stadt, als wenige Meter entfernt von ihm zwei Männer mit einem Sarg über die Straße liefen. Plötzlich hallte ein dumpfes Geräusch zu ihm herüber. Weil das Holz des Sarges so morsch war, brach der Boden durch. Eine tote Frau fiel auf die Straße. Und mehrere Autofahrer überrollten sie, hielten nicht mal an. Weil der Tod allgegenwärtig ist in dem Land, weil er niemanden schockiert. „Da ist mir erst richtig bewusst geworden, in welchem Reichtum und Wohlstand wir hier in Deutschland leben, und dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen.“

Wenn man ihm so zuhört, dann fällt es schwer, an die ganzen Statistiken zu glauben, die man über unsere Generation liest. Mangelndes soziales und gesellschaftliches Engagement. Sinkendes politisches Interesse. Rückläufige Wahlbeteiligung. An der letzten Bundestagswahl 2005 haben sich laut statistischem Bundesamt gerade mal 69 Prozent der Unter-30-Jährigen beteiligt. Das liege vor allem daran, dass es heutzutage keine Identifikationspersonen mehr für uns gebe, glaubt Jacob. „Es fehlen Klarheit und Authentizität.“

In wenigen Wochen zieht Jacob nach Dresden, er will dort – klar – Politikwissenschaften studieren. „Der Studiengang dort ist sehr international ausgerichtet, das gefällt mir.“ Denn obwohl er die TV-Show gewonnen hat und ihn die Menschen, die ihn auf der Straße erkennen, mit den Worten „Hallo, Herr Kanzler!“ ansprechen – tatsächlich im Bundestag zu arbeiten, kann sich Jacob nicht vorstellen. Er will lieber Botschafter werden.

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