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Still aus dem Film „Love Lies Bleeding“.

© ANNA KOORIS

Die queeren Berlinale-Filme: Trans in Istanbul, Sex in London und auf der Bühne mit Peaches

Vor allem in der Sektion Panorama laufen viele LGBTIQ-Filme auf der Berlinale 2024, außerdem gibt es Coming-of-Age-Werke in der Generation und Hollywood-Glam mit Kristen Stewart.

Ein merkwürdiges Duo kommt mit dem Bus nach Istanbul: die pensionierte Geschichtslehrerin Lia (Mzia Arabuli) und der ewig hungrige Jungspund Achi (Lucas Kankava). Sie stammen aus dem georgischen Batumi und sind auf der Suche nach Tekla, der Nichte von Lia. Tekla ist trans, wurde von ihrer Familie verstoßen und ist in Istanbul verschwunden. Lia hat ihrer Schwester auf dem Totenbett versprochen, sie zu finden und heimzuholen.

Weil die resolute Dame mit dem stechenden Blick nur Georgisch und Russisch beherrscht, hat sie Achi mitgenommen, der zumindest etwas Englisch kann. Überdies behauptet er, dass Tekla ihm ihre Adresse in Istanbul hinterlassen hat. Also stolpert das ungleiche Paar durch die wuseligen Straßen der türkischen Metropole, befragt trans Sexarbeiterinnen, lernt Straßenkinder kennen und schließlich die trans Frau und Menschenrechtsanwältin Evrim (Deniz Dumanli).

Von ihr erzählt der schwedische Regisseur und Drehbuchautor Levan Akin in seinem vierten Spielfilm „Crossing“ zunächst parallel zu Lia und Achi, wodurch er einen Eindruck davon vermittelt, wie hindernis- und diskriminierungsreich ein trans Leben in Istanbul ist. Allerdings zeichnet er Evrim nicht als Opfer, sondern als widerstandsfähige, witzige Person. So macht sie etwa einem Arzt, der sie beim Ausstellen eines Formulars weder anschaut noch mit ihr redet, beim Rausgehen kurzerhand ein Kompliment für seine fürchterliche Frisur. 

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Dieser liebevolle Blick auf die Selbstbehauptung Evrims erinnert an Levan Akins „Als wir tanzten“ (2019), in dessen Zentrum ein junger schwuler Tänzer am Nationaltheater von Tiflis stand. Wobei es diesmal noch stärker darum geht, was familiäre und gesellschaftliche Ausgrenzung mit queeren Menschen macht. Tekla ist eine große Leerstelle in seinem Film, ihre Abwesenheit repräsentiert die Verwundbarkeit der trans Community.

Weil Lia weiß, dass ihre Familie Tekla Unrecht getan hat, wagt sie in mehrfacher Hinsicht die titelgebende Überquerung. Sie bewegt sich von einem Land ins andere, sogar von einem Kontinent auf den anderen, aber vor allem weg von alten Überzeugungen. Wenn Lia immer wieder auf Brücken und Treppen zu sehen ist, wird ihr „Crossing“ auch ganz unmittelbar anschaulich.

Levan Akins bewegendes Drama eröffnet das Panorama-Programm, das traditionell die Heimat des LGBTIQ-Kinos auf der Berlinale ist – auch diesmal wieder. Auf beiläufige Weise queer ist „Sex“ des norwegischen Regisseurs Dag Johan Haugerud. Darin geht es um zwei befreundete Schornsteinfeger um die 40. Der eine erzählt dem anderen in der Pause von einem Traum, in dem ihm David Bowie erschienen ist.

Sein Kollege berichtet, dass er am Tag zuvor spontan Sex mit einem Kunden hatte. Beide Männer sind heterosexuell verheiratet, leben eigentlich monogam. Doch die begehrenden Blicke anderer Männer – ob im Traum oder in der Realität – verschieben etwas in ihnen, was der Film in langen Dialogsequenzen erkundet. Sexszenen gibt es allerdings nicht.

Szene aus dem Dokumentarfilm „Baldiga  – Entsichertes Herz“ über den schwulen West-Berliner Fotografen.
Szene aus dem Dokumentarfilm „Baldiga  – Entsichertes Herz“ über den schwulen West-Berliner Fotografen.

© Schwules Museum Berlin, Leihgabe Aron Neubert

Jede Menge Sex hat hingegen wie so häufig Berlinale-Stammgast Bruce LaBruce in sein neues Werk „The Visitor“ eingebaut. Es ist eine Interpretation von Pier Paolo Pasolinis Film „Teorema“ von 1968, die der kanadische Regisseur ins London der Gegenwart verlegt hat. Dort wird ein Geflüchteter in einem Koffer am Themseufer angespült und quartiert sich unter einem Vorwand bei einer Oberschichtsfamilie ein, deren Mitglieder er nacheinander verführt.

Ray Yeungs „All Shall Be Well” führt nach Hongkong, wo Pat und Angie seit Jahrzehnten gemeinsam in Pats Eigentumswohnung leben. Das Paar ist wohlhabend und unterstützt seine armen Herkunftsfamilien nicht nur finanziell. Als Pat überraschend stirbt, versuchen ihr Bruder und dessen Frau, Angie aus ihrer Wohnung zu drängen. Da es kein Testament gibt, hat Angie schlechte Karten, dafür aber Unterstützung von lesbischen Freundinnen.

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Außerdem zeigt das Panorama drei dokumentarische Porträts, die wichtige queere Künstler*innen ins Zentrum stellen: „The Teaches of Peaches“ dreht sich um Peaches‘ Jubiläumstour zum gleichnamigen Album. „I’m Not Everything I Want To Be“ folgt der Fotografin Libuše Jarcovjáková in die Tschechoslowakai nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und „Baldiga – Entsichertes Herz“ begibt sich auf die Spuren des schwulen West-Berliner Fotografen Jürgen Baldiga.

Im Wettbewerb und damit im Rennen um den Goldenen Bären sowie den Teddy Award läuft Claire Burgers „Langue Étrangère“ (mit Nina Hoss), in dem sich eine 17-jährige französische Schülerin in ihre deutsche Brieffreundin verliebt. „Huling Palabas“ und „Young Hearts“ sind zwei Coming of Age-Filme aus der Jugendsektion Generation, die schwules Begehren thematisieren. Im Forum läuft das Gefängnis-Musical „Reas“ der argentinischen Regisseurin Lola Arias. Darin spielt ein Kollektiv aus trans und cis Personen eigene Erfahrungen nach.

Und queeren Hollywood-Glam gibt es auch: Kristen Stewart spielt in dem Thriller „Love Lies Bleeding“ die Fitnessstudio-Managerin Lou, die sich in eine durch ihr Städtchen reisende Bodybuilderin verliebt. Bald geraten die beiden in Konflikt mit der kriminellen Familie von Lou. Kristen Stewart war im vergangenen Jahr Jury-Präsidentin und schaute auch bei der Teddy-Party vorbei. Diesmal wird sie zusammen mit Regisseurin Rose Glass ebenfalls in Berlin erwartet.

Mit Hunter Schafer kommt überdies ein US-Newcomer-Star zum Festival. Die aus der Serie „Euphoria“ bekannte Schauspielerin und Trans-Aktivistin stellt hier den Horrorfilm „Cuckoo“ von Tilmann Singer vor. Wie „Love Lies Bleeding“ läuft er im Berlinale Special.

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