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Bei zahlreichen Christopher Street Day-Demos wird für Trans-Rechte demonstriert, wie hier in Erfurt.

© imago/Müller-Stauffenberg

Tendenziöse Beratung von trans Kindern und Jugendlichen: Das steckt hinter der Initiative „Kein Mädchen“

Die Website „Kein Mädchen“ erweckt den Eindruck, trans Kinder zu unterstützen. Allerdings wird Transsein dort als Trend und Kult bezeichnet. Der katholische Trägerverein der Initiative hat zudem Verbindungen in rechte Kreise.

Trans Kinder und Jugendliche haben heute einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Generationen, die vor der Jahrtausendwende aufgewachsen sind: das Internet. Wer nach Informationen oder Kontakt zu anderen trans Menschen sucht, wird hier schnell fündig, erhält im besten Falle Antworten auf die eigenen Fragen und fühlt sich weniger allein als Kids der Prä-Web-Ära.

Doch im Netz ist auch Vorsicht geboten. Nicht alle Angebote sind so unterstützend, wie sie auf den ersten Blick wirken. Da ist zum Beispiel die Initiative „Keine Mädchen“, die sich auf ihrer Website als „Informationsangebot für junge Menschen, die sich in Identitätskrisen befinden“ beschreibt.

Die Website liefert Antworten auf Fragen wie „Bin ich kein richtiges Mädchen?“ oder „Lebe ich im falschen Körper?“ Überdies wird erklärt, was Pubertätsblocker sind und wie man den Geschlechtseintrag ändern lassen kann. Zunächst entsteht der Eindruck, als bekämen trans Kinder und Jugendliche hier wichtige Informationen, die ihnen beim Prozess der Transition helfen.

Doch auf den zweiten Blick wird klar, dass das Gegenteil der Fall ist: So wird trans Personen etwa die Geschlechtsidentität abgesprochen („Geht es um Deine Identität oder darum, wie andere dich sehen?“, „Deine Unsicherheit entsteht in Deiner Selbstwahrnehmung“). Außerdem wird die Existenz von trans und nicht-binären Menschen ins Lächerliche gezogen, indem an einer Stelle von „Unsinn“ die Rede ist .

Transsein wird wiederholt als „Trend“ und „Kult“ bezeichnet, der „vor allem Mädchen in seinen Bann zieht“. Das verkennt die Lebensrealitäten von trans Personen, die häufig lange mit sich ringen, bevor sie ein Coming-out wagen, auch weil sie um die Diskriminierung wissen, denen trans Menschen ausgesetzt sind. Fragen wie „Trans, weil Deine Mutter Borderliner ist?“ stellt Transsein in einen Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen. Transsein selbst wurde im Übrigen von der Weltgesundheitsorganisation 2019 aus dem Katalog der psychischen Erkrankungen gestrichen.

Von Beverfoerde trat bei der „Demo für alle“ als Rednerin auf

Die Initiative „Kein Mädchen“ bezeichnet Transgeschlechtlichkeit als „Verunsicherung“, die dadurch zustande komme, dass eine Person sich „insgeheim nicht in das soziale Schema ,typisch Mädchen’ stecken lassen“ wolle. Dahinter steckt die Idee, dass Personen eine Transition anstreben, um der weiblichen Rolle zu entfliehen und Sexismus-Erfahrungen zu entgehen.

Tatsächlich wird dabei aber Feminismus gegen trans Mädchen und Frauen ausgespielt. Denn gerade trans Personen erleben häufig Diskriminierung und haben ein erhöhtes Suizidrisiko. Der Entschluss zur Transition wird deshalb kaum leichtfertig getroffen.

4000
Menschen pro Jahr wollen nach Schätzungen der Bundesregierung ihren Geschlechtseintrag ändern.

Hinter der Initiative „Kein Mädchen“ steht der katholische Trägerverein „Ehe-Familie-Leben“, der zum Netzwerk der AfD-Politikerin Beatrix von Storch gehört. Vorstandsvorsitzende ist Hedwig von Beverfoerde, die in einem Interview mit dem rechten und verschwörungsideologischen Portal „Auf 1“ kürzlich sagte: „Früher gab es viele Geschichten, dass Mädels magersüchtig waren, dann kam die Welle mit dem Ritzen und jetzt gibt es die Möglichkeit – weil das so ein großer Hype ist – dass man trans ist. Dann ist man hip, interessant und etwas Besonderes.“

Von Beverfoerde ist überdies Gründerin der „Initiative Familienschutz“ und Sprecherin der sogenannten „Demo für Alle“. Dabei handelt es sich um ein Aktionsbündnis, das seit mehreren Jahren gegen eine angebliche „Frühsexualisierung von Kindern“ und die „Gender-Ideologie“ mobil macht. Auf der Instagram-Seite der „Demo für alle“ wurden trans Frauen kürzlich als „verkleidete Männer“ diffamiert. Immer wieder wird Stimmung gegen Abtreibung gemacht.

Hedwig von Beverfoerde bei einer „Demo für alle“ in Stuttgart 2018
Hedwig von Beverfoerde bei einer „Demo für alle“ in Stuttgart 2018

© imago/Arnulf Hettrich

Von Beverfoerde trat bei der „Demo für alle“ in den vergangenen Jahren mehrmals als Rednerin auf. Bei einer Rede in Stuttgart 2016 sagte sie: „Grün-Rot ist fest in der Hand von Ideologen, die ihre Gender- und Sex-Agenda rücksichtslos weiter vorantreiben werden.“ Im Januar protestiert sie vor dem Roten Rathaus in Berlin unter dem Slogan „Schützt unsere Kinder vor der LSBTI-Gehirnwäsche“ gegen die geplanten queeren Kindertagesstätten der Schwulenberatung.

Zuerst hatte das Berliner Bündnis „What the fuck?!“ über „Kein Mädchen“ berichtet und der Initiative vorgeworfen, „gezielt Falschinformationen“ zu verbreiten und die „Unsicherheit junger Menschen“ zu missbrauchen. Das Bündnis hatte die Initiative per Mail kontaktiert und sich als 15-jähriger trans Junge Kai ausgegeben. Beim Mailkontakt und in mehreren Telefonaten sei Transsein von Martin, Mitarbeiter bei „Kein Mädchen“, immer wieder pathologisiert worden, berichtet das Bündnis.

Martin habe sich „besonders problematisch“ zur Einnahme von Hormonen geäußert, sogenannten Pubertätsblockern, und sie in einen Zusammenhang mit Pädophilie gestellt. Außerdem habe er Kai ein schlechtes Gewissen eingeredet, „dass seine Eltern sich mit einem etwaigen Coming-out schlecht fühlen könnten“.

Die Vorwürfe des Berliner Bündnisses weist von Beverfoerde in einer anwaltlichen Stellungnahme an den Tagesspiegel „als unzutreffend“ zurück. Sie schreibt, dass „zahlreiche Ratgeber-Tools einschlägiger Trans-Communities“ den Weg der Geschlechtsangleichung, „einseitig positiv und unproblematisch darstellen“ würden, ohne über gesundheitliche Risiken angemessen aufzuklären. Diese „Aufklärunglücke“ möchte die Initiative „Kein Mädchen“ füllen.

Trans Personen sind kein „Massenphänomen“

Auf die Frage, ob Transgeschlechtlichkeit aus ihrer Sicht existiere, antwortet von Beverfoerde dass es „bei manchen Menschen eine tiefsitzende Störung der Geschlechtsidentität (Geschlechtsdysphorie)“ gäbe. Es falle auf, dass Transgeschlechtlichkeit bis vor einigen Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle gespielt habe. „Seit jedoch die Genderideologie, die behauptet, das Geschlecht sei sozial konstruiert und daher beliebig definierbar und veränderbar, staatlicherseits durchgesetzt wird, ist aus dem Nischenthema Trans ein regelrechter Hype geworden“. Auch an anderer Stelle ist die Rede von der „Sogwirkung eines medialen regelrechten Trans-Hypes“.

Tatsächlich nimmt die Zahl der Menschen, die offen mit ihrem Transsein umgehen, seit einigen Jahren zu. Dies dürfte maßgeblich damit zusammenhängen, dass auch die gesellschaftliche Akzeptanz gestiegen ist. Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer, die selbst trans ist, führt den Anstieg der Zahl derjenigen, die sich outen, auf ebenjenen Aspekt zurück. „Wir tauchen nicht aus dunklen Löchern auf, bloß weil wir bei der amtlichen Personenstandsänderung würdevoll behandelt werden. Wir existieren, wir leben in dieser Gesellschaft“, sagte sie in einem Interview mit der Taz.

Die aufgeheizte Debatte hängt auch mit der geplanten Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes zusammen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hatte das Bundeskabinett kürzlich verabschiedet. Demnach dürfen erwachsene trans Personen künftig per Selbstauskunft beim Standesamt ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern lassen. Kinder und Jugendliche brauchen das Einverständnis der Eltern.

Besonders in einigen US-Bundesstaaten stehen die Rechte von trans Kindern und Jugendlichen unter Beschuss.
Besonders in einigen US-Bundesstaaten stehen die Rechte von trans Kindern und Jugendlichen unter Beschuss.

© IMAGO/NurPhoto

Körperliche Maßnahmen wie geschlechtsangleichende Operationen oder die Einnahme von Hormonen sind im Gesetzentwurf nicht geregelt. Genau dieses Thema greift aber die Initiative „Kein Mädchen“ auf. Überschriften wie „Arzt warnt vor Krebs nach Transgender-Hormontherapie“ dürfte Ängste bei Kindern und Eltern befördern. Überdies ist die Rede von einem „Massenphänomen“ in Bezug auf Teenager, die eine Transition anstreben und Hormone einnehmen.

Zwar gibt es keine konkreten Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland trans sind. Die Bundesregierung rechnet aber damit, dass nach Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes rund 4000 Menschen pro Jahr ihren Geschlechtseintrag ändern wollen, das sind 0,005 Prozent der Bevölkerung. Von einem „Massenphänomen“ kann daher kaum die Rede sein.

Hormontherapien können das Suizidrisiko senken

Zahlreiche trans Personen beschreiben es als lebensnotwendig, dass sie ihren Geschlechtseintrag und Personenstand niedrigschwellig ändern können. Auch geschlechtsangleichenden Maßnahmen wird häufig eine wichtige Bedeutung zugeschrieben. Eine Studie aus den USA zeigt, dass Hormonbehandlungen bei trans Kindern und Jugendlichen positive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit haben können, also beispielsweise das Suizidrisiko senken.

Ich finde es erschreckend, wie rechtskonservative und ultrareligiöse Gruppen ständig versuchen, der Gesellschaft ihre Ideologie aufzuzwingen.

Julia Monro, Leiterin einer Beratungsstelle für trans Jugendliche

Der Tagesspiegel hat van Beverfoerde gebeten, dazu Stellung zu beziehen. Sie verweist diesbezüglich auf gesundheitliche Schäden und auf den offenen Brief der Psychologin Stefanie Bode, der 2020 in der Zeitung „Emma“ veröffentlicht wurde. Darin prangern Bode und andere Unterzeichnerinnen wie Inge Bell, Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, nicht nur gesundheitliche Schäden an. Sie rufen überdies die Bundesregierung dazu auf, die Geschlechtsidentität vom „Konversionsverbot“ auszunehmen.

Das Verbot wurde 2020 beschlossen und untersagt sogenannte „Konversionstherapien“, die die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität einer Person ändern sollen, etwa durch indoktrinierende Gespräche, Salbungen oder sogar Elektroschocks. Die Aufhebung dieses Verbots wäre für trans Personen ein gefährlicher Rückschritt und wurde daher von zahlreichen queeren Organisationen scharf kritisiert.

Julia Monro leitet eine Beratungsstelle für trans Jugendliche und Angehörige in der Nähe von Koblenz. Sie weiß, wie wichtig Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche sind, damit sie Unterstützung erhalten und nicht weiter verunsichert werden. „Ich finde es erschreckend, wie rechtskonservative und ultrareligiöse Gruppen ständig versuchen, der Gesellschaft ihre Ideologie aufzuzwingen“, sagt sie und rät daher dazu, Websites genau zu prüfen und sich bei Bedarf mehrere Meinungen einzuholen.

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