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Das Ensemble von drei Medresen auf dem Registan-Platz in Samarkand. Abends wird der Platz bunt beleuchtet.

© imago images/Julien Garcia

Lonely Planet kürt Usbekistan zum Top-Reiseziel: Sagenhaft schön, dieses Samarkand

Moscheen wie aus 1001 Nacht neben Stalinbauten aus Sowjetzeiten. In der usbekischen Oasenstadt treffen Historie und Moderne aufeinander.

Mubaro Zaitowa Scharipowna hat 32 Enkelkinder. Oder sind es 33? Die 84-jährige Usbekin stellt die Teekanne ab, hält inne und überlegt, scheint in Gedanken nachzuzählen. Die Gäste ihres Restaurants warten, sind amüsiert. Scharipowna lacht und sagt zunächst auf Russisch, dann nochmal für die Gäste auf Deutsch: „Ja, 32 Herzen“. In diesem Jahr werde sie noch fünf Mal Uroma und hoffe, bei allen Festessen dabei sein zu können, was terminlich nicht einfach wird. Teile ihrer Familie leben in den USA, andere helfen ihr im Familienrestaurant in Samarkand, Usbekistan.

Die Oasenstadt mit mehr als einer halben Million Einwohnenden hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt, ist auf dem Weg, eine angesagte Adresse für Touristinnen und Touristen zu werden: Aus Europa, Nordamerika, Asien, Türkei und Russland. Neben der Altstadt mit den wuseligen Basaren und muslimischen Gebetshäusern, zeigt die wachsende Neustadt nachts blinkende Hochhäuser sowie Überbleibsel der Sowjetunion: wuchtige und verzierte ehemalige Arbeiterhäuser, wie man sie aus der Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichshain kennt.

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Auf die ehemalige Sowjetunion, zu der Usbekistan bis 1991 gehörte, ist Scharipowna nicht gut zu sprechen. Denn dass sie Gäste bewirten darf, war nicht immer selbstverständlich. Unter der Sowjetischen Herrschaft war es der muslimischen Familie unter Strafe untersagt. Scharipowna erzählt vom sowjetischen Geheimdienst KGB, der bei ihr vor der Tür gestanden habe und das damals illegale Restaurant schließen ließ.

Mubaro Zaitowa Scharipowna in ihrem Restaurant.
Mubaro Zaitowa Scharipowna in ihrem Restaurant.

© Robert Klages

Nach der Unabhängigkeit Usbekistans war Scharipowna eine der ersten Geschäftsfrauen, die Gäste in ihr Restaurant einlud. Heute steht ihr „Nationalhaus Schahsina“ in der Straße Toron, Hausnummer 16, unter Denkmalschutz. Am Eingang schimmert eine silberne Ehrenplakette der Stadt, das Haus wurde zum nationalen Kulturerbe erklärt. 2001 kam der Bürgermeister von Samarkand zum Essen mit über 150 Personen. „Dafür reichten meine Enkelkinder nicht aus“, erinnert sich Scharipowna. Nachbarn halfen und die Tische wurden auf die Straße gestellt.

Heute ist es organisierter: Die unzähligen jungen Kellnerinnen und Kellner schwirren überall herum und servieren Manti gefüllt mit Kürbis. „Manti-Platte“ scherzt ein Mann, in Anlehnung an die „Manta-Platte“ aus dem Ruhrgebiet: Bratwurst mit Pommes, Ketchup und Majo. Bei der usbekischen „Manti-Platte“ handelt es sich allerdings um gedämpfte gefüllte Teigtaschen. Scharipowna hat das Gemüse selbst geschnitten, wie sie es seit Jahren macht. Sie gießt den Gästen etwas Tee nach und verschwindet wieder in der Küche.

Eine Band betritt den Saal und inszeniert eine Art usbekischen Jazz: Während eine Frau in traditionellen Kleidern tanzt und singt, spielt ein Mann die Saiten einer Dutar und ein anderer wirbelt mit zwei Doiras herum, ein Tamburin-ähnliches Instrument. Er wirft sie in die Luft, lässt eines auf dem Finger kreisen wie einen Basketball und schlägt mit dem anderen im Takt dagegen. Das internationale Publikum ist begeistert, widmet sich dann Manti-Platten, Auberginensalat und Plov, dem usbekischen Nationalgericht. Für das Reisessen mit (oder ohne) Fleisch werden mitunter 16 verschiedene Öle verwendet, darunter Baumwollsamenöl. Der europäische Magen muss hier achtsam sein, diese vielen Öle sind schwer und könnten zu Magenbeschwerden führen. Aber bei Scharipownas ist man darauf eingestellt und bereitet Plov schonend zu, mit weniger Öl – zudem hilft als Absacker natürlich immer ein Wodka.

Stolz präsentiert Scharipowna die ausgebauten Räumlichkeiten. In ihrem Land gilt sie als Pionierin der Gastronomie und unterrichtet viele andere Restaurantbesitzer:innen darin, wie man internationale Gäste empfängt: So sollten zum Beispiel immer mehr vegetarische Speisen angeboten werden, das Plov muss verträglich sein, und es sollte Alkohol geben. Die von Scharipowna geprägten „Nationalhäuser“ gibt es unterdessen in zahlreichen usbekischen Städten.

Dabei ist Scharipowna eigentlich Lehrerin von Beruf. Als sie 20 Jahre alt war, wurde sie zum Physik-Studium in den Iran geschickt. In der islamischen Republik haben damals bereits Frauen studiert – allerdings getrennt von den Männern, zudem waren die Bedingungen für Frauen schlechter. Scharipowna lernte im Iran etwas Deutsch, mochte aber weder dort leben noch Physikerin sein: „Ich wollte immer schon Gäste in meinem Haus in Usbekistan empfangen“, sagt sie und winkt zum Abschied freundlich, bringt ihre Gäste zur Tür: „Schauen Sie sich unbedingt noch die Bibi-Khanum-Moschee an“, ruft sie hinterher.

Kamele sind schon lange kein Fortbewegungsmittel, sondern dienen der Belustigung von Touristen: Aufsteigen für 1 Dollar.
Kamele sind schon lange kein Fortbewegungsmittel, sondern dienen der Belustigung von Touristen: Aufsteigen für 1 Dollar.

© Robert Klages

Usbekistan ist im Begriff, sich weiter zu öffnen, in erster Linie für den immer stärker werdenden, Arbeit und Geld bringenden Tourismus. Auf den Basaren wird beim Handel mit Seide, Silber und Baumwolle gerne um jede tausend Som (einheimische Währung) oder jeden Dollar und Euro gefeilscht. Dabei geht es überraschend ruhig und unbedrängt zur Sache, in den Innenstädten sorgt die „Touristen Polizei“ für Ordnung. Frauen müssen sich nur in Gebetshäusern bedecken. Allerdings steht Homosexualität unter Strafe und gerade im ländlichen Raum werden noch fundamentale Lebensweisen praktiziert.

Da es im Sommer bis zu 45 Grad wird und im Winter schon mal Minus 20, sind Herbst und Frühling die besten Reisezeiten. Amtssprache ist Usbekisch, viele Ältere beherrschen Russisch, die Jugend lernt Englisch. In einem Park sprechen Studierende einer Language School kichernd Touristen an, als Sprachübung, eine Art Hausaufgabe.

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Wir befinden uns in einer der ältesten Städte der Welt: Die Oasenstadt Samarkand ist als „Afrasiabad“ etwa 750 v. Chr. in der Wüste entstanden und wurde zu einem wichtigen Handelspunkt der Seidenstraße. Der mongolische Herrscher Timur gab ihr im 14. Jahrhundert ihren heutigen Namen als Hauptstadt seines Timuridenreiches von Syrien bis Indien. Die Bibi-Khanum-Moschee sollte sein religiöses Machtzentrum werden, die Fertigstellung erlebte er selbst allerdings nicht mehr. Die Fassaden der gigantischen Anlage waren zu Timurs Zeit über 70 Meter hoch. Heute sind die türkisfarbenen und blauen Säulen zwar nur noch 40 Meter hoch, aber weiterhin imposant. Die bis ins Detail ausgearbeiteten Verzierungen auf den unzähligen Majolika-Kacheln wirken fast hypnotisierend.

Auch die teuren und aufwändigen Restaurierungen der zahlreichen historischen Anlagen wie Moscheen und Mausoleen führten zu wachsendem Tourismus. Nachdem die Bibi-Khanum-Moschee lange Zeit verfiel, wurde sie zunächst von den Sowjets und später der usbekischen Regierung prunkvoll wieder hergerichtet. Wenn sich eine Taube auf dem Kuppelbau niederlässt, zeigen fast alle Guides im Innenhof der Anlage nach oben, wie auf Knopfdruck erzählen sie die Legende von Timurs Hauptfrau Sarai-Molk Chanum. Eine dieser amüsanten und oftmals sexistischen Geschichten, wie sie aus dem Buch „1001 Nacht“ stammen könnte: Herrscher Timur war auf seinen Feldzügen und der oberste Bauherr verliebte sich in Chanum. Er wollte die Moschee nur fertigstellen, wenn er diese küssen dürfe.

Wie ein Tor in eine andere Welt: im 14. Jahrhundert wurden in der Shohizinda die Adligen bestattet. Eine der bekanntesten Nekropolen Zentralasiens.
Wie ein Tor in eine andere Welt: im 14. Jahrhundert wurden in der Shohizinda die Adligen bestattet. Eine der bekanntesten Nekropolen Zentralasiens.

© Robert Klages

Timurs Hauptfrau lehnte ab und sagte, er könne doch besser eine der Dienerinnen küssen, es sei „gleich, aus welchem Becher er seinen Durst stillt.“ Doch der Architekt ließ nicht locker und die Frau gab nach, auch wenn sie im letzten Moment ihre Wange mit einem Seidentuch bedeckte. Als Timur zurückkam, ließ er beide vom höchsten Minarett stoßen. Allerdings flog Chanum in ihrem Seidenkleid davon und der Architekt verwandelte sich in eine Taube – so erzählt es jedenfalls die Legende.

Solche Hofgeschichten von Herrschenden mit ihren Frauen und Untertanen, die oftmals in Metamorphosen zu Tieren enden, erzählt auch der Kalligraf Davron Toschew in seinen Bildern. Sein Anwesen liegt zwischen Samarkand und der Stadt Bukhara, eine etwa dreistündige Fahrt entlang der ehemaligen Seidenstraße durch die Wüste, die heute eine mehrspurige Schnellstraße ist mit hupenden Taxis, rumpelnden Bussen und gelegentlich einer Kuh oder einem Kamel auf der Fahrbahn. Neben der Straße liegt viel Müll, zerfallene Häuser, Basare, Restaurants und Tankstellen. Immer noch leben viele Familien vom Verkauf an der Straße. Nüsse, Obst, Fleisch oder Getränke.

Der Kalligraf Davron Toschew bei der Arbeit.
Der Kalligraf Davron Toschew bei der Arbeit.

© Robert Klages

Toschew empfängt gerne Reisegruppen auf seinem abgelegenen Anwesen. Im meditativ eingerichteten Inneren sitzt er in einem Raum mit vier Schüler:innen, die sich ebenfalls der Kunst der Miniaturmalerei hingeben. Mit prallen Goldfarben arbeitet Toschew derzeit an einem Bild für seine Serie aus den Palästen von den usbekischen Städten Bukhara und Chiwa: Emire auf ihren Thronen, im Harem und im Garten. „Man muss den Pinsel führen, wie man eine Frau streichelt“, sagte der Meister. „Wenn man sie nicht liebt, wird das Bild zerfließen.“ Viele Gemälde sind Gleichnisse: Tiere symbolisieren zum Beispiel entweder das Böse oder das Gute, können Einheiten bilden, sowie die Vergänglichkeit und das Zurückkommende darstellen.

Toschews Werke werden nicht nur in eigenen Geschäften verkauft, sondern finden sich in zahlreichen europäischen Galerien von Paris bis Bonn. Die Kunst der Kalligrafie ist uralt, sie geht, laut Toschew, auf die Semaniden-Dynastie aus dem zehnten Jahrhundert zurück. Auf Toschews Anwesen wird auch das wertvolle Zeichenpapier hergestellt: Die schmalen Zweige des Maulbeerbaums werden zu einer breiigen Masse plattgeklopft, wozu viel Wasser benötigt wird und mehrere Stunden Handarbeit. Je nachdem, wie stark das Papier sein soll, müssen mehrere Schichten übereinandergelegt und anschließend in der Sonne getrocknet werden.

Zum Kalligraphieren wird noch eine Eiweißmasse eingestrichen, wozu in der Werkstatt von Toschew ein Brocken Lapislazuli verwendet wird. Das soll der Arbeit nicht nur eine gewisse Mystik verleihen, der wertvolle Edelstein ist auch schwer und glatt. Meister Toschew demonstriert den Vorgang, er streicht meditativ-gleichmäßig von oben nach unten. Ein kleines Blatt kostet 25 Euro. Zum Abschied gibt es auch bei ihm einen Wodka, diese Tradition hat man von den Sowjets gerne übernommen in Usbekistan. Toschew lacht und sagt „Nastrovje“.

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