Wenn Mäppchen und Pausenbrot fehlen: Lehrkräfte berichten von zunehmender Kinderarmut
Jede dritte Lehrkraft gibt an, dass sich Kinder häufiger Sorgen um die finanzielle Lage ihrer Familien machen als im Vorjahr. Doch die Bildungsministerin gibt sich optimistisch.
Die Folgen von Kinderarmut machen sich in Schulen laut einer aktuellen Umfrage immer stärker bemerkbar.
So gab jede dritte Lehrkraft (33 Prozent) an, dass sich Kinder und Jugendliche häufiger Sorgen um die finanzielle Lage ihrer Familien machten, wie es in einer am Mittwoch zum Weltkindertag vorgestellten Studie unter Lehrkräften im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung heißt.
An Schulen in sozial benachteiligter Lage machte fast jeder zweite Lehrer (48 Prozent) solche Beobachtungen.
Das Schulbarometer zeigt: Kinderarmut ist aus Sicht der Lehrkräfte in allen sozialen Lagen präsenter als im Jahr zuvor.
Ein „dramatisches Ergebnis“ sei das, sagt Dagmar Wolf, die den Bereich Bildung der Robert Bosch Stiftung leitet.
Armut ist für Betroffene äußerst schambehaftet.
Dagmar Wolf, Bildungsexpertin der Robert-Bosch-Stiftung
Eltern, Kinder und Jugendliche haben laut Wolf Strategien, um die eigene prekäre finanzielle Lage nicht öffentlich sichtbar werden zu lassen.
„Sie empfangen beispielsweise keinen Besuch zu Hause oder reichen bei außerschulischen und mit Kosten verbundenen Aktivitäten kurzfristig eine Krankmeldung ein.“
Wolf warnt zudem vor den Folgen der Armut:
Arme Kinder werden zu oft zu armen Erwachsenen.
Dagmar Wolf, Bildungsexpertin der Robert-Bosch-Stiftung
„Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden“, forderte Wolf. „Fehlendes Geld im Elternhaus verhindert die Teilhabe junger Menschen am sozialen und kulturellen Leben. Das hat auch Auswirkungen auf die psychosoziale Gesundheit.“
Pädagogen müssten „armutssensibel“ werden und sich bewusst sein, dass es Familien mit begrenzten finanziellen Mitteln gebe. „Sie müssen wissen, wo es zu Hause Schwierigkeiten gibt, um sensibel vorgehen zu können.“
Besonders betroffen sind die Kinder von Alleinerziehenden
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes können knapp 2,2 Millionen der etwa 14,3 Millionen Kinder und Jugendlichen in Deutschland unter 18 Jahren als armutsgefährdet gelten.
Betroffen sind vor allem Jungen und Mädchen in alleinerziehenden Familien oder in Familien mit drei und mehr Heranwachsenden.
Bei 1250 Euro netto im Monat wird es heikel
Weil Armut relativ ist und sich nicht allein am Geld bemessen lässt, wird in Deutschland meist der Begriff „Armutsgefährdung“ verwendet.
Wenn jemand weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung hat, gilt er als „armutsgefährdet“ – Kinder und Jugendliche aus solchen Haushalten ebenfalls.
Die Schwelle lag laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr für eine alleinlebende Person bei etwa 1250 Euro netto im Monat.
Über 1000 Lehrer:innen beantwortete die Fragen der Forscher
Für ihr „Schulbarometer“ lässt die Robert-Bosch-Stiftung seit 2019 regelmäßig repräsentative Umfragen zur aktuellen Situation der Schulen in Deutschland vornehmen.
Gezielte Sozialarbeit könnte armen Kindern helfen
Einen Hebel sieht Sabine Walper, Direktorin des Deutschen Jugendinstituts (München), in der gezielten Sozialarbeit, die aus ihrer Sicht noch deutlich stärker ausgebaut werden muss.
Dass es eine Not gibt und den dringenden Bedarf, die Unterstützung für Schulen in sozial schwachen Lagen auszubauen, wird sehr, sehr deutlich
Sabine Walper, Direktorin des Deutschen Jugendinstituts
„Wir sehen, wie stark Armut verbreitet ist und wie sehr sie hineinragt in die Verhaltensentwicklung“, sagt Walper
Die Bildungsministerin gibt sich optimistisch
Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) geht unterdessen nach eigenen Worten davon aus, dass sich die Lage ärmerer Schulkinder ab dem Schuljahr 2024/25 verbessern werde.
Dazu werde das sogenannte „Startchancen-Programm“ beitragen, sagte Stark-Watzinger im rbb24-Inforadio. Profitieren sollen davon rund 4.000 Schulen in Deutschland, die einen hohen Anteil an sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern haben.
Ein erstes Konzept hatte Stark-Watzinger bereits Anfang Mai vorgelegt. (KNA, dpa)
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