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Plakate in den serbischen Nationalfarben im serbischen Teil der geteilten Stadt Mitrovica

© Thomas Roser

15 Jahre Unabhängigkeit: Das größte Problem des Kosovo heißt weiter Serbien

Vor 15 Jahren Partystimmung, jetzt Ernüchterung: Die Spannungen mit Serbien hören nicht auf. Und immer mehr Menschen verlassen Kosovo, das 2008 seine Unabhängigkeit erklärte.

Nach der Einreise geht es in die Knie. „Unsere Schuld ist das nicht“, versichert am nordkosovarischen Grenzübergang Jarinje ein älterer Zollbeamter. Der Reisende aus Belgrad muss das serbische Wappen auf den Autokennzeichen mit weißer Folie überkleben: „Es sind die Politiker, die die Leute mit solchen Schikanen quälen.“ Es werde Zeit, dass das Nachbarschaftsabkommen zwischen Serbien und Kosovo komme, „und dieser Unsinn endlich endet.“

15 Jahre liegt die Unabhängigkeit von Europas jüngstem Staat jetzt zurück. Voller Stolz hatte der damalige Premier und frühere Rebellenchef Hashim Thaci am 17. Februar 2008 im Parlament in Pristina die endgültige Abnabelung von Serbien verkündet. „Der Tag ist gekommen: Von diesem Moment an ist Kosovo stolz, unabhängig und frei.“

Böllerschüsse und ein vielstimmiger Jubelchor waren der Auftakt für eine tagelange Unabhängigkeitsparty. Doch in Pristina ist die einstige Partystimmung längst verflogen. An Hashim Thaci erinnert noch ein Poster an einer Hausfassade des Mutter-Teresa-Boulevards. Thaci selbst steht wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen in Den Haag vor Gericht.  

Was Rechtsstaat und Demokratie angehe, stehe Kosovo besser da als andere Staaten der Region, sagt der Analyst und frühere Botschafter des Kosovo in Schweden, Lulzim Peci: „Doch das größte Problem für Kosovo bleibt das ungeklärte Verhältnis zu Serbien: Es behindert die volle Integration in die internationale Gemeinschaft.“

„Wir sind nur auf dem Papier gleichberechtigt“

Mit dem Segen der USA und fast aller EU-Staaten, aber gegen den Willen Serbiens hatte der Neuling damals seine Unabhängigkeit erklärt. Seitdem behindert das Ex-Mutterland die Nachbarn auch international nach Kräften, unter anderem mit Hilfe der UN-Vetomächte Russland und China.

Nur noch knapp 100 000 Serben leben nach jüngsten Schätzungen in dem 1,7 Millionen Menschen zählenden Kosovo. Fast die Hälfte von Kosovos größter, aber schwindender Minderheit lebt im serbisch besiedelten Nordwestzipfel des Landes. Der Rest in isolierten Siedlungsenklaven südlich des Ibar. „Nur auf dem Papier sind wir Serben gleichberechtigt,“ seufzt im Cafe „Bebop“ in Mitrovica der Jurist Marko Jaksic: „Doch mit der Realität hat das leider nichts zu tun.“

Mitrovica ist geteilt in einen albanischen und einen serbischen Teil. Am Südufer des Flusses Ibar knattern rote albanische Flaggen und Kosovos Blau-Gelb. Am Nordufer sind Serbiens rot-blau-weiße Farben über die entvölkerte Fußgängerzone gespannt. „Dies ist Serbien“ verkünden vergilbte Plakate trotzig.

Mit Gewalt Patriotismus schaffen

Genauso wie Serbiens Autokrat Slobodan Milosevic in den 90er Jahren die Kosovo-Albaner mit Waffengewalt zur Loyalität mit Belgrad habe nötigen wollen, versuche nun Kosovos Premier Albin Kurti, „die Serben mit Gewalt und der Polizei zur Liebe zum Kosovo zu zwingen“: „Seit Kurti 2021 die Macht übernommen hat, ist die Diskriminierung der Serben zum Alltag geworden.“

So seien beispielsweise in Kosovos Justizsystem zwar Stellen für Serben ausgeschrieben, aber dafür sei ein „in Kosovo gültiger“ Hochschulabschluss vonnöten: „Unsere Studenten, die in Nord-Mitrovica studieren, müssten dafür ihre serbischen Hochschulabschlüsse verifizieren lassen. Aber die Regierung hat die dafür nötige Kommission nie gebildet.“

„Newborn“, „neugeboren“ lautet der Schriftzug auf dem Unbhängigkeitsdenkmal in Kosovos Hauptstadt Pristina.
„Newborn“, „neugeboren“ lautet der Schriftzug auf dem Unbhängigkeitsdenkmal in Kosovos Hauptstadt Pristina.

© Thomas Roser

Die Serben im albanisch dominierten Süden haben sich notgedrungen mit dem neuen Staat arrangiert. Im Norden stößt hingegen selbst die von Pristina forcierte Einführung kosovarischer Autoschilder auf erbitterten Widerstand. Gleichzeitig stockt seit Jahren der Dialog zum Abschluss eines Nachbarschaftabkommens zwischen Belgrad und Pristina, den die EU moderiert. Als zu Jahresbeginn der Autorschilderstreit eskalierte, ließ Serbiens Präsident Aleksandar Vucic gar Truppen an der Grenze aufziehen.

Die Hälfte der Serben sieht im Land keine Zukunft mehr

Die von Belgrad gerne gezeichnete Gefahr eines zweiten Kosovo-Kriegs scheint zwar gering. Aber der „sich beschleunigende Krisenzyklus“, sagt Miodrag Milicevic von der Bürgerrechtsgruppe „Aktiv“, verfehle seine Wirkung dennoch nicht: Ob im Süden oder im Norden – immer mehr Serben würden den Kosovo verlassen.  

Die Kosovo-Serben sind nur ein Objekt, für Belgrad wie für Pristina.

Marko Jaksic, Jurist aus der serbischen Minderheit

Laut einer Umfrage „sehen über 50 Prozent der Serben ihre Zukunft in den nächsten fünf Jahren nicht mehr im Kosovo“, sagt Milicevic, dessen Gruppe sich für die Teilhabe der Kosovo-Serben einsetzt. Das „sehr geringe Vertrauen“ zu Pristina macht er für deren Abwanderung ins Mutterland oder nach Westeuropa verantwortlich: „Keine einzige Regierung hat in den letzten 15 Jahren das Leben der serbischen Gemeinschaft in irgendeiner Form verbessert.“

Nicht nur für Pristina, sondern auch für Belgrad seien die Kosovo-Serben „nur ein Objekt“, klagt Jaksic: „Wir befinden uns zwischen dem Amboss von Serbiens Präsident Vucic, der hier nur seine eigenen Interessen verfolgt, und dem aggressiven Hammer von Kurti. Und das ist keine gute Position.“  

Die Häuser sind aufgebaut, die Menschen gehen trotzdem

Ein Besuch in Peja, der viertgrößten Stadt des Landes im Westen des Kosovo. Nach dem Kosovo-Krieg sei die Stadt zu 85 Prozent zerstört gewesen, erzählt der Bürgerrechtsaktivist Veton Mujaj. Der Hass auf die Serben sei damals groß gewesen. Erst nach 2004 habe sich die Lage zu beruhigen begonnen, und es seien auch geflüchtete Serben wieder zurückgekehrt.

Fast alle zerstörten Häuser seien mittlerweile wieder aufgebaut – oft mit Hilfe von ins Ausland emigrierten Verwandten. Trotzdem mache auch Peja die Emigration zu schaffen: „Fast jeden Tag ziehen hier Menschen fort, meist jüngere Fachkräfte aus dem Gesundheitssektor.“

Hashim Thaci, Gründerfigur des Kosovo, auf einem Plakat in Pristina. Er steht inzwischen wegen Kriegsverbrechen in Den Haag vor Gericht.
Hashim Thaci, Gründerfigur des Kosovo, auf einem Plakat in Pristina. Er steht inzwischen wegen Kriegsverbrechen in Den Haag vor Gericht.

© Thomas Roser

Und auch in seiner Stadt, sagt Mujaj, sei die ausgebliebene „Klärung“ des Verhältnisses zu Serbien das größte Entwicklungshemmnis. Ausländische Investoren wollten Sicherheit. Kosovos gespannte Beziehungen zu Belgrad bedeuteten aber „Unsicherheit, die langfristige Planungen erschwert“: „Es ist höchste Zeit, dass wir uns mit Serbien verständigen, auch wenn das nicht leicht ist.“

Pristina in Belgrads Falle?

Nur mit einer „Lösung der Sicherheitsfrage“ ließe sich das Umfeld für mehr Investitionen und Arbeitsplätze schaffen, sagt auch Lumir Abdixhiku, der Chef der oppositionellen LDK. Der Ukraine-Krieg habe Kosovo nicht nur die erneute Aufmerksamkeit des Westens, sondern auch „ein historisches Momentum“ für ein Abkommen mit Serbien beschert: „Unsere Regierung nutzt diese Chance leider nicht, sondern tritt mit ihrer populistischen Politik in die Falle von Vucic.“

Wo wird Kosovo in fünf Jahren stehen? Er hoffe, dass die Serben bis dahin „wirklich“ im politischen und sozialen Leben integriert seien, sagt Analyst Peci. Er hoffe, „dass wir in fünf Jahren nicht mehr über potenzielle Konflikte reden, sondern über dieselben Probleme wie alle anderen europäischen Staaten“, sagt der Politiker Abdixhiku. Der serbische Jurist Jaksic fürchtet indes, dass „wir auch in zehn Jahren noch immer dieselben Debatten führen“.

Wenn Kosovo ein idealer Ort für die Serben zum Leben wäre, würde auch niemand wegziehen, sagt Jaksic: „Milosevic hat hier den Krieg geführt, nicht ich. Ich will wie alle Europäer als Serbe in Nordkosovo ein normales Leben führen. Wir müssen eine echte Lösung finden, die sowohl den Interessen der Albaner als auch denen der Serben gerecht wird.“

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