zum Hauptinhalt
Die Charité in Berlin

© imago images/McPHOTO/Ingo Schulz

Anschläge auf Putin-Gegnerinnen?: „Es gibt den Verdacht, dass ich vergiftet wurde“

Eine Kreml-Kritikerin erkrankte während eines Besuchs in Prag – und die Symptome könnten auf eine Vergiftung hindeuten. Zuvor war sie in Berlin. Auch hier wird nun ermittelt.

Als die russische Oppositionelle Natalia Arno an einem Abend Anfang Mai in ihr Hotel in Prag zurückkehrt, steht die Tür zu ihrem Zimmer leicht offen. Den Gedanken, wer da vielleicht auf sie warten könne, tut sie als Paranoia ab.

Sicher hat das Zimmermädchen die Tür nicht richtig geschlossen. Im Zimmer scheint alles in Ordnung. Aber sie nimmt einen starken, fremden Geruch war, sagt Arno später, wie nach einem „billigen Parfüm“. Sie muss zu einem weiteren Termin, bei der Rückkehr ist der Geruch verflogen.

„Um 5 Uhr morgens wachte ich von starken Schmerzen und seltsamen Symptomen auf.“ So schildert die Präsidentin der Free Russia Foundation es später auf Facebook. Noch denkt Arno nicht an eine Vergiftung, sie glaubt, ein Besuch beim Zahnarzt werde das Problem lösen. Sie bucht ihren Flug um, reist in die USA zurück, ihre Wahlheimat.

Während des Fluges seien die Symptome sehr seltsam geworden und durch den ganzen Körper gewandert, Arno spricht von einem starken Taubheitsgefühl. Nach der Ankunft geht sie in die Notaufnahme, doch die Ärzte finden nichts. Im Krankenhaus werden Blutproben genommen.

Natalia Arno ist Präsidentin der Free Russia Foundation, die ihren Sitz in den USA hat.
Natalia Arno ist Präsidentin der Free Russia Foundation, die ihren Sitz in den USA hat.

© Free Russia Foundation

„Es gibt den Verdacht, dass ich kürzlich während meiner Reise in Europa vergiftet wurde, möglicherweise mit irgendeinem nerve agent“, schreibt Arno auf ihrer Facebook-Seite. Gemeint ist ein Nervengift, ein chemischer Kampfstoff. Mit den Ermittlungen sei ein - oder mindestens ein - westlicher Nachrichtendienst befasst. Das Gefühl der Taubheit sei noch da, aber es gehe ihr insgesamt deutlich besser, betont sie zwei Wochen nach dem Vorfall.

Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny war 2020 in Russland mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet worden.

Erst als das unabhängige russische Medium „Agentstvo“ ihren Fall öffentlich macht, äußert sie sich auf Facebook. Jetzt will sie das Ergebnis der Ermittlungen abwarten und vorerst nicht weiter darüber reden.

„Erste seltsame Symptome“ schon in Berlin

Vor ihrem Besuch in Prag war Arno Ende April in Berlin. „Gewisse erste seltsame Symptome traten schon in der ersten Stadt auf, aber ich schob sie auf den Jetlag, die Schlaflosigkeit und die grundsätzliche Müdigkeit.“ Auch in Deutschland wird nun ermittelt, ob Putin-Gegnerinnen Opfer einer Vergiftung geworden sein könnten.

An jenem Aprilwochenende findet in Berlin eine Menschenrechtskonferenz mit dem Kreml-Gegner Michail Chodorkowski statt, sie soll an seinen verstorbenen Anwalt Juri Schmidt erinnern.

Der russische Oppositionelle Michail Chodorkowski brachte Ende April Kreml-Kritiker in Berlin zusammen.
Der russische Oppositionelle Michail Chodorkowski brachte Ende April Kreml-Kritiker in Berlin zusammen.

© PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS/Matt Dunham

Als der offizielle Programmteil in dem holzvertäfelten Saal in der Friedrichstraße vorbei ist, gibt es ein weiteres, ungleich wichtigeres Treffen: Hinter verschlossenen Türen verständigen sich die in Berlin versammelten russischen Oppositionellen über gemeinsame Haltungen und Strategien. Am Ende unterzeichnen sie eine „Erklärung der russischen demokratischen Kräfte“, in der Moskaus Krieg gegen die Ukraine und das Putin-Regime als verbrecherisch bezeichnet werden und sich die Opposition zur Geschlossenheit verpflichtet.

Anderer möglicher Fall bleibt sehr vage

An diesem Wochenende habe es eine „gewisse Unruhe“ gegeben, es sei das Gerücht umgegangen, jemand fühle sich aus irgendwelchen Gründen nicht wohl, sagte ein Teilnehmer dem Tagesspiegel. Eine russische Journalistin soll dem „Agentstvo“-Bericht zufolge über gesundheitliche Probleme geklagt haben und in der Charité behandelt worden sein.

Doch was über diesen Fall bekannt ist, bleibt bisher sehr vage: Die Journalistin wollte offenbar nicht, dass ihr Name öffentlich wird, selbst über ihre Symptome gab sie keine Auskunft. Sie habe gesagt, die Symptome könnten auch vor der Berliner Konferenz begonnen haben.

Belastbare Hinweise auf eine mögliche Vergiftung russischer Regime-Gegnerinnen in Deutschland gibt es nach Tagesspiegel-Informationen bisher nicht. Derzeit beschäftigen sich die Sicherheitsbehörden in mehreren Ländern mit dem Thema.

In Deutschland ist der polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts Berlin zuständig. „Es gibt ein laufendes Ermittlungsverfahren“, bestätigte ein Polizeisprecher am Samstag. Zuerst hatte die „Welt am Sonntag“ über die Ermittlungen berichtet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false