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Der Demokratieaktivist Joshua Wong im Lai Chi Kok Reception Centre, einem der größten Gefängnisse Hongkongs.

© Bearbeitung: TSP | Reuters

„Die führenden demokratischen Köpfe werden als Kriminelle verfolgt“: Ist Hongkong noch zu retten?

Im größten Prozess seit Einführung des „Nationalen Sicherheitsgesetz“ stehen 47 Hongkonger Regimekritiker vor Gericht. Wie viel Freiheit bleibt der Stadt in Chinas System? Drei Antworten.

Es ist der bislang größte Prozess seit der Einführung des „Nationalen Sicherheitsgesetzes“ vor zweieinhalb Jahren. Seit dem 6. Februar stehen 47 Mitglieder der Hongkonger Demokratiebewegung vor Gericht, darunter bekannte Gesichter wie der Aktivist Joshua Wong, die Journalistin und Politikerin Claudia Mo und der Juraprofessor Benny Tai. In dem Verfahren, das drei Monate dauern soll, droht ihnen lebenslange Haft in der chinesischen Sonderverwaltungszone.

Was wird aus der Stadt, der Peking unter dem Versprechen „Ein Land, zwei Systeme“ Autonomie bis mindestens 2047 garantierte? Drei Fachleute antworten in einer neuen Folge unserer Serie „3 auf 1“.


Der Willkürprozess wird der Demokratiebewegung neues Gehör verschaffen

Das von Peking 2020 erlassene Nationale Sicherheitsgesetz hat fast alle Pfeiler des semi-autonomen Hongkong zerstört: die unabhängige Justiz, eine Legislative, die echte Oppositionsparteien zulässt, eine lebendige Zivilgesellschaft und freie Medien. Es schuf einen „dualen Staat“, in dem die Regierung Gerichte willkürlich zur Bestrafung Andersdenkender einsetzt. Das zeigt der Prozess gegen 47 pro-demokratische Hongkonger, der diese Woche begonnen hat. Ihnen wird vorgeworfen, durch ihre bloße Teilnahme an einer stadtweiten Abstimmung 2020 Subversion begangen zu haben.

Dabei hat die Opposition faktisch ein starkes populäres Mandat. Jahrzehntelang erreichte das pro-demokratische Lager bei Wahlen mehr als 55 Prozent. Jetzt werden die führenden Köpfe als Kriminelle verfolgt. Die Botschaft: Wer weiter für seine Überzeugungen eintritt, wird einen Preis zahlen.

Trotz der düsteren politischen Aussichten bleibe ich optimistisch, was die Widerstandsfähigkeit der pro-demokratischen Bewegung angeht und erinnere an die Entwicklung Polens oder der DDR am Ende des Kalten Krieges. Im laufenden Verfahren werden prominente Angeklagte entschlossen Zeugnis ablegen, was weithin Gehör finden und die Mehrheit der Hongkonger in ihren Überzeugungen bestärken wird.


Die Hoffnung liegt im Exil

Der Prozess ist ein neuer Tiefpunkt für die Stadt. Er zeigt, dass Pekings Grundwerte denen der westlichen Demokratie diametral entgegenstehen. Einer Generation von Politikern, Anwälten und Akademikern droht wegen der Durchführung einer Vorwahl lebenslange Haft. Der intellektuelle Verlust ist enorm, die Angeklagten gehören zu den am stärksten staatsbürgerlich engagierten Menschen Hongkongs. Die Stadt, die ohnehin unter einem gigantischen Brain-Drain leidet, wird weiter beeinträchtigt. In den letzten zwei Jahren sind 144.000 Hongkonger allein ins Vereinigte Königreich ausgewandert. 

Chris Patten, letzter britischer Gouverneur Hongkongs, 1997 bei der Rückgabe der Kronkolonie an die Volksrepublik China.
Chris Patten, letzter britischer Gouverneur Hongkongs, 1997 bei der Rückgabe der Kronkolonie an die Volksrepublik China.

© Imago/UPI Photo/Uncredited

Das Nationale Sicherheitsgesetz, das Hongkong 2020 auferlegt wurde, hat die Stadt verwandelt und das Bildungswesen, die Justiz, den öffentlichen Dienst und die Medien umgeformt. Mit diesem einen Schritt hat Peking die Freiheiten, die es Hongkong versprochen hatte, zurückgenommen. Begünstigt wurde das vom Fehlen britischer Kontrollmechanismen oder Schutzklauseln. 1984 hatte ein Hongkonger Berater, Sir Sze-Yuen Chung, Großbritannien gewarnt: „Das chinesische Konzept eines Abkommens war wertlos … Dem Haus, das wir bauten, fehlte nicht nur das Dach, sondern auch das Fundament.“

Für mich liegt die Hoffnung für Hongkong jetzt außerhalb der Stadt – bei den Hongkongern in aller Welt, denen staatsbürgerliche Werte so wichtig sind, dass sie für sie ins Exil gehen.


Hongkong verliert seine Freiheit – und langsam auch seine Identität

Hongkong verliert gerade seinen Charakter als Stadt, in der lange mehr kritische Meinungsäußerung möglich war als auf dem chinesischen Festland: Kritische Medien schließen, die Opposition ist weitgehend außer Kraft gesetzt, es wird mehr zensiert. Neue Gesetze sind in Arbeit, die politische und juristische Angleichung wird fortschreiten. In den vergangenen Jahren haben die Regierungen Hongkongs und Chinas unter Verweis auf die nationale Sicherheit die Kontrolle verfestigt. Rechtsstaatlichkeit wurde eingeschränkt, vage formulierte Gesetze schüchtern die Zivilgesellschaft ein und beschränken verbleibende Freiräume.

Der Prozess gegen 47 Demokratie-Unterstützer ist auch als Warnsignal an die Bevölkerung zu lesen. Im Alltag spüren die Menschen stärkere staatliche Überwachung, wenn in Pflichtkursen vom Kindergarten bis in die Universität die von Peking verordnete Linie gelehrt wird. Junge und gut ausgebildete Menschen akzeptieren das oft nicht und wandern ab.

Noch unterscheidet sich Hongkong von anderen chinesischen Städten. Die Menschen sind geprägt durch ihre kantonesische Sprache und Kultur, die Hafen- und Finanzmetropole war zudem immer international ausgerichtet. Der Druck aus Peking wird dieses Bild verändern.

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