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Am 16. September jährt sich erstmals der Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini, der im vergangenen Jahr im Iran die schwersten Proteste seit Jahrzehnten auslöste.

© Bearbeitung: Tagesspiegel/dpa/Uncredited

Ein Jahr nach Beginn des Aufstands im Iran: Wird die Revolution weitergehen?

Der Tod von Mahsa Amini Mitte September 2022 hat den Iran schwer erschüttert. Viele Menschen sagten dem Regime den Kampf an. Drei Experten analysieren, wie stark die Freiheitsbewegung aktuell ist.

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Es ist einer der tiefsten Einschnitte in der Geschichte Irans. Am 16. September jährt sich der Tag, an dem die junge Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gewaltsam ums Leben kam. Damals begannen monatelange Proteste, die die Machthaber mit massiver Gewalt zu ersticken versuchten. Es gab mehrere Hundert Tote und Zehntausende Festnahmen.

Werden nun die Menschen im Iran wieder massenhaft auf die Straße gehen, um ein Ende der Islamischen Republik und der Unterdrückung der Frauen zu fordern?

In unserer Serie „3 auf 1“ erklären drei Expert:innen, was sie davon halten. Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.


Der Widerstand wird heftiger

Die revolutionäre Welle im Iran rollt – und das nicht erst seit September 2022. Der Widerstand der Menschen im Land gegen ein korruptes, gewalttätiges und diktatorisches Regime wächst spätestens seit Winter 2017 stetig. Die Abstände zwischen den Protesten wurden immer kürzer, der Widerstand heftiger – bis zum Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini am 16. September 2016. Seitdem ist die Welle unaufhaltbar.

Mit jedem Ermordeten, mit jedem Bericht über Folterungen von Kindern und Frauen gewinnt der Widerstand an Wut und an Kraft. Gleichzeitig steigt die Gewalt vonseiten des Regimes – das einzige Mittel, das dieser Staat kennt. Genau das ist seine Schwäche: Die Menschen, die er verloren hat, wird er nie wieder zurückgewinnen.

Wo der revolutionäre Prozess endet, wieviel Gewalt die Menschen noch werden erleiden müssen – diese Frage ist nicht zu beantworten. Nur eines ist sicher: Die Menschen werden weder vergessen noch vergeben. Die Islamische Republik hat ihre Legitimität unwiderruflich verloren.


Ein Kulturwandel, keine Revolution

„Revolution“ – ein großes Wort, mit dem es besonders im Iran seine eigene Bewandtnis hat. Seit 1979 propagiert die Islamische Republik ihren revolutionären Charakter. Sie rechtfertigt Gewalt mit dem Argument, die Islamische Revolution sei ja noch voll im Gange. Dabei schwindet ihr Rückhalt. Die Strukturen des Systems sind allerdings trainiert in der Abwehr von Bedrohungen.

Manche seiner Gegner sprechen nun ebenfalls von Revolution, sind jedoch weder willens noch in der Lage, drastische Mittel anzuwenden. Was wir aber im Iran sehen, ist ein Kulturwandel, der große Teile des Volkes erfasst, verbunden mit lokalen, regionalen Protesten gegen Missstände. Keine Revolution. Ein Kulturwandel in Richtung Freiheit und Selbstbestimmung ist wahrscheinlich, aber eine langfristige Wette.

Wer hingegen Revolution propagiert und nicht zu denselben Mitteln greift wie die herrschenden „Revolutionäre“, muss damit rechnen, von diesen überrollt zu werden. So erklärt sich, dass viele Menschen im Iran auf einen Kulturwandel setzen, aber nicht auf einen gewalttätigen Umsturz.


Die Freiheitsbewegung ist im Alltag verankert

Für mich ist der revolutionärste Moment der Freiheitsbewegung, dass endlich über die Gräueltaten des Regimes gesprochen wird, die ja schon seit 44 Jahren tagtäglich verübt werden. Zwar sind die Menschenmassen nicht mehr sichtbar, die wir in den ersten Monaten nach Jina Mahsa Aminis Ermordung gesehen haben. Aber der Geist der revolutionären Freiheitsbewegung ist fest im Alltag verankert.

Jede Frau, die morgens die Entscheidung trifft, nicht das Kopftuch zu tragen, ist Teil einer individuellen Revolution. Die Wut der Menschen ist auch nach einem Jahr nicht verschwunden. Das ganze Land ist im Widerstand gegen das Regime. Das hat auch mit der sich drastisch verschlechternden Wirtschaftslage zu tun.

Und die Machthaber sind nervös. Das zeigt sich schon daran, dass es mit allen Mitteln versucht, neue Proteste anlässlich des Todestages von Mahsa Amini am 16. September zu verhindern. Doch viele sind bereit, für den Freiheitskampf weiter auf die Straße zu gehen und ihr Leben zu riskieren. Wenn das nicht ein Zeichen dafür ist, dass diese Revolution weitergeht, was dann?

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