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Ein Deserteur gab in einem Interview Einblicke in das Leben des russischen Staatschefs Wladimir Putin.

© Reuters/Sputnik/Kremlin/Gavriil Grigorov

„Er hat sich von der Welt abgeschottet“: Geflohener Offizier der Präsidentengarde verrät Details über Putin

Kein Handy, vorgetäuschte Reisen, Quarantäne für Kontaktpersonen: Der russische Herrscher soll in einem Informationsvakuum und ständiger Angst leben. Dies behauptet ein Überläufer.

Es soll sich um den bisher höchstrangigen Offizier handeln, der sich in der jüngeren russischen Geschichte in den Westen abgesetzt hat – und dieser hat Einblicke in das Leben und die Ängste des Kremlherrschers Wladimir Putin gegeben. Der russische Präsident lebt nach Angaben des geflohenen Offiziers der Präsidentengarde FSO in einem Informationsvakuum. „Er benutzt kein Mobiltelefon. Jedenfalls habe ich in all meinen Dienstjahren keines gesehen.“

Dies erklärte der Überläufer Gleb Karakulow in einem Interview mit dem Dossier Center (DC), das vom russischen Oppositionellen Michail Chodorkowski finanziert wird. Auch das Internet meidet Putin demnach: „Er bezieht Informationen ausschließlich aus seinem engsten Kreis.“

Karakulow arbeitete nach eigenen Angaben von 2009 bis zu seiner Flucht im Herbst 2022 in der Kommunikationsabteilung des FSO in Moskau. Seinen Aussagen zufolge nutzte er im vergangenen Oktober eine Geschäftsreise für die Flucht mit seiner Frau und Tochter über Kasachstan in die Türkei. Das Interview liegt auch als Youtube-Video auf Russisch mit englischen Untertiteln vor. Nicht alle Angaben von Karakulow lassen sich einzeln auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Das DC gibt an, die Identität des Mannes geprüft zu haben.

Sein Blick auf die Realität hat sich verzerrt.

Gleb Karakulow, ehemaliger Offizier der russischen Präsidentengarde FSO

Zu den Aufgaben von Karakulow gehörte es seinen Angaben zufolge, auf Reisen die Kommunikation Putins und des russischen Premierministers Michail Mischustin zu verschlüsseln – sowohl in Russland als auch im Ausland. „Wenn wir mit dem Premierminister unterwegs waren, ist normalerweise jemand mitgereist, der für das Internet zuständig war. Ein digitales Büro mit Laptop und Zugang zum Netzwerk“, erklärt der geflohene Offizier weiter. „Wenn wir mit Putin unterwegs waren, wurde diese Person nicht gebraucht. Warum auch?“

Als Grund für seine Flucht gibt Karakulow den Angriff auf die Ukraine an. „Mein Vertrag wäre in zwei Jahren ausgelaufen. Ich wollte ihn nicht verlängern, sondern in den Ruhestand gehen“, erzählt er. Dann sei im Februar 2022 der Krieg ausgebrochen. „Ich konnte keine Kompromisse mehr machen und diesem Präsidenten dienen.“

Und weiter: Die „Invasion in das Territorium eines souveränen Staates“ sei „einfach unbegreiflich“. Putin sei für ihn ein „Kriegsverbrecher“, verantwortlich für „Angriffskrieg, Terrorismus und Völkermord am ukrainischen Volk“. Seine Flucht habe er schließlich über mehrere Monate geplant.

Den Kremlchef zeichnet der frühere Offizier als sehr um seine Gesundheit besorgte Person. „Ja“, antwortet Karakulow auf die Frage, ob sich Putin nach wie vor im Lockdown befindet. „Wir haben einen Präsidenten, der sich selbst isoliert. Vor jeder Veranstaltung mit ihm müssen wir uns zwei Wochen in Quarantäne begeben, selbst wenn sie nur 15 Minuten dauert. Nur wer in Quarantäne war, wird als ,sauber’ betrachtet und darf im selben Raum wie Putin arbeiten.“ Enge Mitarbeitende würden sich mehrfach am Tag einem PCR-Test unterziehen.

Putin arbeite viel, gehe nicht vor 2 oder 3 Uhr nachts ins Bett. Von einer Erkrankung Putins sei ihm nichts bekannt. Allem Anschein nach sei er gesundheitlich in einer besseren Verfassung als viele Menschen in seinem Alter.

Karakulow bestätigte Berichte über einen Sonderzug des Präsidenten, den es seit 2014 oder 2015 gebe. Putin nutze diesen nach außen hin „gewöhnlichen Zug“, weil er weniger auffällig sei als Flüge. Regelmäßig werde der Zug erst seit September 2021 genutzt. Der Präsident habe zudem eine eigene sperrige Telefonzelle, die aus Sicherheitsgründen auf jeden Auslandstrip mitgenommen werde.

Niemand soll wissen, wo Putin sich wirklich aufhält

Putins Büros in seinen verschiedenen Residenzen sehen Karakulow zufolge alle gleich aus, sodass man nicht wisse, wo er sich wirklich aufhält. „Egal, ob in Sankt Petersburg, Sotschi oder Nowo-Ogarjowo, alles ist identisch“, sagt Karakulow. Offenbar gibt es gezielte Desinformation, so hätten die Fernsehnachrichten berichtet, der Kremlchef leite eine Sitzung in Nowo-Ogarjowo, dabei sei Putin noch in Sotschi gewesen.

Anders als früher sei bei der Reise nach Kasachstan die Kommunikation, für deren Installation er verantwortlich war, in einem Bunker aufgebaut worden. „Ich denke, er hat einfach Angst“, sagte der Offizier über Putin. Putins Verhalten habe sich seit Beginn der Pandemie stark verändert. „Er hat sich von der Welt abgeschottet mit Barrieren wie der Quarantäne, dem Informationsvakuum. Sein Blick auf die Realität hat sich verzerrt“, so Karakulow.

Er habe versucht, mit seinen Eltern über die Zweifel an Putin und über seine Fluchtpläne zu reden, sagt Karakulow. Doch diese wollten nicht hören, als er leise Zweifel an der Rechtfertigung für den Überfall auf die Ukraine anmeldete. Seine Mutter habe gesagt: „Was ist das denn? Habt ihr vor zu fliehen? Bist du eine Art ausländischer Agent?“ Und: „Wenn du etwas tust, werde ich die Schande nicht ertragen können, ich werde mich umbringen.“ Seit seiner Flucht habe Karakulow keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern.

Seine alten Kollegen seien ebenfalls Putin treu ergeben, sagt Karakulow. Die FSO-Mitarbeiter würden ihn nur „Boss“ nennen, und sie „verehren ihn in jeder Hinsicht“. Zweifel am Ukrainekrieg gebe es nicht. „Sie sind fast zu 100 Prozent für Putin.“ (lem)

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