zum Hauptinhalt
Syrische Frauen in der Stadt Adana in der südlichen Türkei, wo viele syrische Geflüchtete leben.

© AFP/Can Erok

Folgen des türkischen Wahlkampfes: Syrische Flüchtlinge leben in Angst

In einem Punkt waren sich Erdogan und sein Herausforderer einig: Die Migrationspolitik muss restriktiver werden. Das bekommen die Syrer in der Türkei bereits zu spüren.

Ein Gastbeitrag von Aya Ibrahim

Hilflosigkeit. Das empfinden die syrischen Flüchtlinge und Einwanderer, mit denen ich in der Türkei gesprochen habe, derzeit.

Hilflosigkeit angesichts des anhaltenden Konflikts in ihrem Heimatland, den sie nicht kontrollieren können. Hilflosigkeit angesichts einer nationalistischen Wahlkampagne, die ihnen weitgehend die Schuld an den Problemen der Türkei gegeben hat, auf die sie ebenfalls keinen Einfluss haben.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks sind die meisten Flüchtlinge in der Türkei Syrer und leben dort mit einem „vorübergehenden Schutzstatus“. Laut den türkischen Behörden haben seit Ausbruch des Krieges im Jahr 2011 etwa 200.000 Syrer die Staatsbürgerschaft erhalten.

Drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien im Land

Bayan Agha ist vor dem Krieg in Syrien in die Türkei geflohen. Sie ist jetzt türkische Staatsbürgerin und besitzt ein Geschäft in Istanbul. Sie sagte mir: „Man baut etwas auf und hat jeden Tag das Gefühl, dass die Wahrscheinlichkeit wächst, dass es zusammenbricht.“

Schon vor der Wahl wurde in der Türkei gegen Flüchtlinge Stimmung gemacht. Nach Ausbruch des Krieges lief die Aufnahme der über drei Millionen syrischen Flüchtlinge im Land zunächst gut an.

Doch dann ging es mit der Wirtschaft bergab. In den Medien wurden die Syrer dafür zum Sündenbock gemacht. Es kam vermehrt zu Berichten über Gewalt gegen Syrer.

Während des Wahlkampfes plakatierte der Kandidat der Opposition, Kemal Kılıçdaroğlu, mit dem Slogan „Alle Syrer werden gehen!“.
Während des Wahlkampfes plakatierte der Kandidat der Opposition, Kemal Kılıçdaroğlu, mit dem Slogan „Alle Syrer werden gehen!“.

© AFP/Can Erok

Dann kam der Wahlkampf. In der ersten Runde der Wahl war die Migration omnipräsent. Recep Tayyib Erdoğans warb mit der „freiwilligen Rückkehr“ der Geflüchteten in der Türkei. Oppositionskandidat Kemal Kılıçdaroğlu versprach, alle Flüchtlinge abzuschieben. Der rechtsnationalistische Sinan Oğan war in seiner Abschiebungsrhetorik sogar noch aggressiver.

Oğan erhielt rund fünf Prozent der Stimmen und unterstützte Erdoğan im zweiten Wahlgang. In einem Versuch, die Wähler von Oğan zu umwerben, ohne ihn zu unterstützen, verstärkte Kılıçdaroğlu seine flüchtlingsfeindliche Haltung. Sein Wahlkampfteam plakatierte mit dem Slogan „Alle Syrer werden gehen!“.

Kinder werden in der Schule schikaniert

Syrische Flüchtlinge berichteten mir, dass dies bei ihnen unermessliche Ängste auslöste. Einige sagten, dass ihre Kinder deswegen in der Schule schikaniert wurden.

„Unabhängig von meinem rechtlichen Status werde ich immer noch als Syrerin betrachtet“, sagt Bayan Agha. Sie berichtet, immer wieder zum Ziel von Hass uns Hetze zu werden. „Und doch denke ich mir, dass es besser ist, hier in der Türkei zu sein, denn wenn ich in Syrien geblieben wäre, wäre ich vielleicht nicht mehr am Leben. Ich denke so, damit ich weitermachen kann, um mich zu motivieren.“

Jetzt, da sich Präsident Erdoğan eine weitere fünfjährige Amtszeit gesichert hat, ist es unwahrscheinlich, dass die Flüchtlinge sofort abgeschoben werden. Das ist ein unrealistisches Szenario. Aber die syrischen Flüchtlinge, mit denen ich gesprochen habe, sind der Meinung, dass der Schaden bereits angerichtet ist.

„Die Spannungen, die einige dieser Aussagen und Versprechen in der türkischen Gesellschaft verursacht haben, werden bestehen bleiben und das Verhältnis zwischen Türken und syrischen Flüchtlingen weiter belasten“, sagte mir ein Syrer und Journalist, der anonym bleiben wollte. „Und bei uns wird weiter Angst vor zunehmender Gewalt und drohender Zwangsabschiebung herrschen.“

Kein Arabisch in der Öffentlichkeit sprechen

Er hat eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die jedes Jahr erneuert werden muss. Ihn sorgt, wie es im Juli weitergehen wird, wenn seine derzeitige Genehmigung ausläuft. Schon jetzt vermeidet er es, in der Öffentlichkeit arabisch zu sprechen, weil er deswegen schon einmal angefeindet wurde.

„Ich habe das Gefühl, dass ich, wenn mich jemand angreift, keinen rechtlichen Schutz habe und niemand für meine Rechte eintritt“, beklagt er. „Als syrischer Flüchtling in der türkischen Gesellschaft habe ich das Gefühl, dass ich keinen Wert habe.“

Die Rückkehr nach Syrien ist für Menschen wie ihn keine Option. Dort würde er sofort vom Assad-Regime verfolgt werden, befürchtet er. Und das würde seinen sicheren Tod bedeuten. Da die Chancen, nach Europa zu gelangen, immer geringer würden, sei der Aufenthalt in der Türkei seine einzige Option.

Nachdem sie meine Fernsehberichterstattung zu diesem Thema gesehen hatten, meldeten sich viele Türken in den sozialen Medien bei mir. Sie sagten, es sei höchste Zeit, dass auch Europa mehr für Flüchtlinge tue.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false