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Beerdigung des  19-jährigen Qusai Jamal Maatan, der von radikalen israelischen Siedlern erschossen wurde.

© AFP/JAAFAR ASHTIYEH

Gewalt jüdischer Siedler: Radikale israelische Minister loben mutmaßliche Täter

Israels Geheimdienstchef sieht „strategische Gefahr“ durch Siedlergewalt für Israel – und wird beschimpft. Wie sich der Diskurs verschoben hat.

Israelis und Palästinenser haben ein weiteres blutiges Wochenende hinter sich. Doch von trauriger Routine kann keine Rede sein: Die Reaktionen mancher israelischen Politiker zeigen, wie sehr sich der Diskurs unter der rechts-religiösen Regierung radikalisiert hat.

Gewalttätige Siedler werden gelobt, der Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes wird attackiert, weil er die Gewalt radikaler Siedler als „strategische Gefahr„ für den israelischen Staat einstuft.

Das jüngste Blutvergießen begann am Freitag: Bei dem palästinensischen Dorf Burqa östlich von Ramallah erschoss offenbar ein israelischer Siedler einen 19-jährigen Mann. Drei weitere Palästinenser wurden verletzt. Laut einer vorläufigen Untersuchung der israelischen Armee, die sich wiederum auf palästinensische Berichte und Augenzeugen stützte, hatte sich zuvor eine Gruppe von radikalen Siedlern mit ihren Schafen dem Dorf genähert, woraufhin palästinensische Anwohner versucht hatten, die Israelis mit Steinen zu vertreiben.

Israelischer Verdächtiger wurde vom Geheimdienst beobachtet

Die israelische Polizei nahm am Samstag zwei Verdächtige fest. Bei einem, Elisha Yered, handelt es sich um einen früheren Sprecher der Abgeordneten Limor Son Har-Melech von der rechtsextremen Partei Jüdische Stärke. Wegen seiner radikalen Ansichten wird Yered israelischen Medienberichten zufolge bereits seit Längerem vom israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet beobachtet.

Am Samstag kam es zu einem tödlichen Anschlag in Tel Aviv: Ein Palästinenser erschoss einen 42-jährigen Sicherheitsmann von der Stadtverwaltung. Der Kollege des Opfers erschoss den Attentäter, der Polizeiangaben zufolge aus Jenin stammt.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu veröffentlichte am Samstagabend ein kurzes Statement, in dem er die Sicherheitskräfte lobte. Die Tötung des jungen Palästinensers durch Siedler in Burqa vom Vortag erwähnte er nicht.

Minister bezeichnet Tatverdächtigen als Helden

Einer seiner Minister dagegen tat das – und zwar, um die Tatverdächtigen zu preisen. „Die israelischen Medien haben es (schon wieder) verwechselt“, schrieb Itamar Ben-Gvir, Minister für nationale Sicherheit und Chef der rechtsextremen „Jüdischen Stärke“, am Sonntag auf Twitter.

„Ein Jude, der sich selbst und andere vor dem Mord durch Palästinenser beschützt, ist kein Mordverdächtiger, sondern ein Held, der meine volle Unterstützung erhält.“ Ben-Gvir, der selbst wegen anti-arabischer Hetze und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorbestraft ist, hatte als Anwalt früher oft Siedler vertreten, denen Gewalt gegen Palästinenser vorgeworfen wurde.

Israels Oppositionsführer und früherer Regierungschef Yair Lapid dagegen verurteilte die Gewalttat vom Freitag und nannte die Täter auf Twitter „jüdische Terroristen“. Auch das US-Außenministerium bezeichnete sowohl die Tat der Siedler als auch den Anschlag des Palästinensers als „Terroranschlag“.

Netanjahu schweigt zu Angriffen auf Geheimdienstchef

Wie das israelische Nachrichtenportal Ynet am Sonntag berichtete, hatte Shin-Bet-Chef Ronen Bar die Regierung schon vor dem Wochenende vor der Gefahr gewarnt, die radikale Siedler aus seiner Sicht darstellten. Demnach provoziere deren Gewalt weitere palästinensische Terroranschläge und stelle eine „strategische Gefahr“ für den Jüdischen Staat dar.

Angesichts der offenen Sympathie, die Teile der Koalition für die radikalen Siedler hegen, ist ein entschlosseneres Durchgreifen von dieser Regierung jedoch kaum zu erwarten. Stattdessen fand Bar sich am Sonntag im Kreuzfeuer verbaler Attacken wieder. „Die Ideologie der Linken hat die höchsten Führungsriegen des Shin Bet erreicht“, behauptete etwa die für ihre schrillen Äußerungen bekannte Abgeordnete Tali Gottlieb von der rechten Likud-Partei Netanjahus. 

Auch die Jüdische-Stärke-Frau Limor Son Har Melech griff Bar hart an. Einzig Verteidigungsminister Yoav Gallant stand dem Geheimdienstchef öffentlich bei. Von Netanjahu war bis Sonntagnachmittag nichts zu diesem außergewöhnlichen Streit zu hören – eine Zurückhaltung, die wohl taktischen Motiven entspringt: Will er seine Koalition und damit seine Macht erhalten, darf er ihre radikalen Elemente nicht allzu sehr verärgern.

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