„Wir brauchen Europa nicht“: Die größte Wahl in Indonesiens Geschichte wird zur Herausforderung für die EU
Mit Indonesien wählt die drittgrößte Demokratie eine neue Regierung und einen Präsidenten. Die Politik von Amtsinhaber Widodo wird wohl fortgeführt. Doch sonst ist so gut wie alles offen.
Indonesien steht vor der größten Wahl seiner Geschichte. Mehr als 204 Millionen Menschen sind aufgefordert, nicht nur einen neuen Präsidenten und das nationale Parlament zu bestimmen, sondern auch sämtliche Gouverneure und Regionalparlamente, Landräte und Bürgermeister des Landes.
Der Fokus liegt dabei auf der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in der drittgrößten Demokratie der Welt am 14. Februar. Schließlich kommt dem Amt im politischen System Indonesiens eine herausragende Rolle ein. Joko Widodo, genannt Jokowi, darf nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten.
Aufgrund von Zustimmungswerten von mehr als 70 Prozent spielt er im Wahlkampf allerdings weiterhin eine herausragende Rolle. Die Frage, welchen der drei Kandidaten Jokowi unterstützt, kann wahlentscheidend sein.
Die Kandidaten
Die beiden aus demselben Regierungslager stammenden Kandidaten, Verteidigungsminister Prabowo Subianto und Ganjar Pranowo, Gouverneur der Provinz Zentral Java, versuchen mit dem Versprechen zu punkten, die erfolgreiche, auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ausgerichtete Politik des Präsidenten fortzuführen.
Selbst Anies Baswedan, Ex-Gouverneur von Jakarta, ehemaliger Bildungsminister und der einzige Oppositionskandidat im Rennen um das Präsidentenamt, verspricht zwar eine Rekalibrierung der Politik, hält sich aber mit offener Kritik am Amtsinhaber zurück.
Wer auch immer die Wahlen gewinnt, ein echter Politikwechsel ist also nicht zu erwarten. Verteidigungsminister Prabowo führt in den Umfragen derzeit deutlich vor seinen beiden Mitbewerbern.
Spätestens seit Prabowo Jokowis Sohn Gibran Rakabuming als mögliche Vizepräsidenten nominiert hat, gilt er als Favorit des Staatschefs und hat enorm an Zustimmung gewonnen.
Wahlkampf auf TikTok
Derzeit lautet die zentrale Frage, ob Prabowo sogar im ersten Wahlgang gewinnen und so eine Stichwahl am 26. Juni vermeiden könnte. Der 72-jährige Ex-General nimmt inzwischen sogar die jüngere Generation für sich ein – die Plattform TikTok macht’s möglich.
Geschaffen wurde eine Zeichentrick-Version mit Rehaugen des früher als Hardliner gefürchteten Kandidaten. In sozialen Medien formt Prabowos Avatar mit seinen Fingern ein Herz oder streichelt seine geliebte Katze Bobby. Unterstützer können sich in Videos hineinkopieren und beispielsweise mit ihrem Idol durch den Dschungel wandern, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.
Auf der Kurzvideo-Plattform TikTok wurden dem Bericht zufolge Clips mit dem Hashtag #Prabowo bereits mehr als 19 Milliarden Mal geklickt. „Ich werde für ihn stimmen, weil er ‘gemoy’ ist“, kündigt die Erstwählerin Putri an. Auf Indonesisch bedeutet das umgangssprachlich „süß und knuddelig“.
Außenpolitische Strategie: Bloß neutral bleiben
Auch außenpolitisch stehen die Zeichen in Indonesien auf Kontinuität. Indonesien strotzt angesichts seiner wirtschaftlichen Entwicklung, seiner erfolgreichen G20-Präsidentschaft 2022 und seiner Führungsrolle innerhalb der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean vor Selbstbewusstsein.
Dank seiner traditionell neutralen außenpolitischen Position und einer aktiven Wirtschaftsdiplomatie wird das Land immer mehr zum gefragten ökonomischen Partner weltweit.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
China, die USA, aber auch zahlreiche asiatische Staaten wie Singapur, Japan, Südkorea oder Australien stärken derzeit ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu dem Land. Mit Blick auf die Rivalität zwischen China und den USA setzt Indonesien auf eine Diversifizierung seiner weltweiten Handelspartner.
Das Image der EU ist beschädigt
Für die EU kann Indonesien mit Blick auf eine Diversifizierung der Standorte und wirtschaftlichen Kooperationspartner eine wichtige Rolle spielen. Hier ist das Potenzial noch nicht ausgeschöpft: Zwar ist Indonesien die mit Abstand größte Volkswirtschaft Südostasiens, doch lediglich der fünftgrößte Handelspartner der EU innerhalb der Asean-Staaten.
Ein Grund dafür ist, dass Brüssels Image in den vergangenen Jahren deutlich Schaden genommen hat: Die EU-Klage vor der Welthandelsorganisation gegen das indonesische Nickelexportverbot sowie die europäischen Einschränkungen der Einfuhr von Palmöl werden als Angriff auf die indonesischen Interessen bewertet.
Auch mit Blick auf die sich schon seit Jahren hinziehenden Verhandlungen zu einem Handelsabkommen wachsen in Indonesien die Ungeduld mit der EU und das Unverständnis über manche europäischen Forderungen.
Der führende Präsidentschaftskandidat Prabowo hat in einer viel beachteten außenpolitischen Grundsatzrede denn auch betont: „Wir brauchen Europa nicht.“ Damit nimmt er eine sich verstärkende politische Stimmung auf, die die europäische Politik des erhobenen Zeigefingers gegenüber Indonesiens zunehmend als Zumutung betrachtet.
Ein selbstbewusster Partner
Indonesien erwartet von der EU eine Politik auf Augenhöhe und dass Brüssel die indonesischen Interessen ernst nimmt. Zu hoffen, dass das Land am Ende schlicht den Vorstellungen der Europäischen Union etwa in der Handels- oder Klimapolitik folgt, wäre naiv. Stattdessen muss die Zusammenarbeit mit Indonesien endlich als wichtiges Instrument der Geopolitik verstehen.
Ein schneller und erfolgreicher Abschluss der Handelsverhandlungen würde nicht nur die Rolle Europas in der Region deutlich stärken, sondern wäre ein wichtiger Schritt im Rahmen der europäischen Strategie eines De-Risiking von China.
Nach der Wahl könnten ein neuer Präsident und eine neue Regierung eine gute Gelegenheit für einen „Reset“ in den europäisch-indonesischen Beziehungen sein. Hier gilt: weniger Zeigefinger und mehr ausgestreckte Hand. Denn Indonesien wartet nicht auf Europa – hinter Deutschland und der EU stehen genug andere Partner Schlange.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false
- showPaywallPiano:
- false