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Ukraine und Russland sind bedeutende Exporteure auf dem internationalen Weizenmarkt.

© dpa / Arne Dedert

Russland will Getreide-Abkommen nicht verlängern: Moskau setzt Hunger gezielt als Waffe ein

Moskau droht mit dem Ende der ukrainischen Getreideexporte über das Schwarze Meer. Eine Vereinbarung ermöglichte die Verschiffung von nahezu 29 Millionen Tonnen Agrargütern.

Von Jan Dirk Herbermann

Am Dienstag lief das Frachtschiff „Michalakis“ aus dem ukrainischen Hafen Odessa in Richtung Spanien aus. In dem Konfliktland Ukraine hatte das Schiff fast 44.000 Tonnen Weizen geladen.

Die „Michalakis“ gehört zu den Hunderten von Schiffen, die seit Juli vergangenen Jahres mit Agrargütern für den Weltmarkt die Kornkammer Ukraine verlassen haben. Sie alle stachen laut den Vorgaben der Schwarzmeer-Getreide-Initiative in See. UN-Generalsekretär António Guterres nennt die Übereinkunft über einen sicheren Export einen „Hoffnungsträger“.

Tatsächlich dürfte ein vergleichbares Abkommen, an dem sich zwei Kriegsgegner beteiligen, in der Geschichte nicht oft vereinbart worden sein.

Russland droht so scharf wie noch nie

Doch Russland, der Kriegsgegner der Ukraine, droht so scharf wie noch nie, aus der Getreide-Initiative auszusteigen. Die Regierung von Präsident Wladimir Putin setzt somit den Hunger gezielt als Waffe ein. Das Verteidigungsministerium in Moskau warf der Regierung in Kiew vor, die Gewässer um Odessa als Ausgangspunkt für Angriffe auf Russlands Schwarzmeerflotte zu nutzen.

Ein Ende der Schwarzmeer-Getreide-Initiative wäre ein schwerer Schlag für den Welthandel.

Ralph Ossa, der Chefökonom der Welthandelsorganisation

„Terroristische Aktionen des Kiew-Regime gefährden eine weitere Verlängerung der Getreide-Initiative nach dem 18. Mai“, warnte das Ministerium. Russlands Außenminister Sergej Lawrow geht schon seit Wochen auf Distanz zu dem Übereinkommen. Er beschuldigt den Westen, russische Agrarexporte zu behindern.

Mit Wirkung 18. März 2023 hatten die Russen einer Verlängerung der Initiative nach langem Tauziehen noch einmal zugestimmt, um 60 Tage. Davor belief sich die Frist auf zweimal 120 Tage. „Ein Ende der Schwarzmeer-Getreide-Initiative wäre ein schwerer Schlag für den Welthandel“, betont Ralph Ossa, der Chefökonom der Welthandelsorganisation. „Die Initiative ist für die Ernährungssicherheit, vor allem armer Länder, unerlässlich.“ 

Der Lieferausfall von Millionen Tonnen Lebensmitteln pro Monat könnte die Preise stark in die Höhe treiben. Auch die politische Bedeutung der Initiative fällt ins Gewicht. Die Vereinbarung gilt in der hasserfüllten Atmosphäre des russischen Angriffskrieges als Versuch einer vertrauensbildenden Maßnahme. Das Paket gehört zu den wenigen Übereinkommen, dem die Konfliktparteien zustimmten.

Der Ausfall der Lieferungen ist weltweit zu spüren

Tatsächlich hat die Schwarzmeer-Getreide-Initiative bislang die Verschiffung von fast 29 Millionen Tonnen Getreide und anderen Agrargütern aus der Ukraine ermöglicht. Wobei bis Mitte März 55 Prozent der Exporte in Entwicklungsländer gingen.

55
Prozent der Getreideexporte gingen in Entwicklungsländer.

Die Ukraine und Russland zählten vor Beginn der großangelegten Moskauer Invasion am 24. Februar 2022 zu den weltweit größten Agrarexporteuren. Allein die Ukraine lieferte rund 45 Millionen Tonnen Getreide jährlich in andere Volkswirtschaften. Nach dem russischen Einmarsch in das Nachbarland blockierten die Kreml-Streitkräfte die ukrainische Ausfuhr über das Schwarze Meer.

Die Initiative ist für die Ernährungssicherheit, vor allem armer Länder, unerlässlich.

Ralph Ossa, der Chefökonom der Welthandelsorganisation

Weltweit bekamen die Menschen die Teuerungen und den Ausfall der Lieferungen aus der Ukraine zu spüren. Doch „die Schwarzmeer-Getreide-Initiative trug dazu bei, weitere Markt-Beunruhigungen zu reduzieren und die Getreidepreise zu senken“, heißt es in der nüchternen Sprache der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO.

Russland fordert Abschaffung von Exportbarrieren

Im Juli 2022 hatten sich die Ukraine, Russland und die Türkei in Istanbul auf die Initiative geeinigt. Die UN vermittelte. Die Parteien vereinbarten die sichere Ausfuhr von ukrainischem Getreide und anderen landwirtschaftlichen Produkten aus Odessa und zwei weiteren Häfen.

Russland trägt die volle Verantwortung für diese Situation. Wenn es keinen Krieg gäbe, gäbe es auch keine Handelsprobleme.

Die EU in einem Positionspapier

Die Kontrahenten gaben Schutzgarantien und vereinbarten Inspektionen. Somit soll Waffenschmuggel unterbunden werden. Eine zweite Vereinbarung kam in Istanbul zwischen den Vereinten Nationen und Moskau zustande. In einem „Memorandum of Understanding“ willigten die UN ein, sich für die ungehinderte Ausfuhr russischer Lebensmittel und Düngemittel auf die Weltmärkte einzusetzen. Mit dem Memorandum wollten die UN den Russen die Zustimmung zur Schwarzmeer-Getreide-Initiative schmackhaft machen.

Doch bei der Umsetzung des Memorandums sehen die Russen erheblichen Handlungsbedarf. Außenminister Lawrow verlangt insbesondere von den USA, der EU sowie Großbritannien die Abschaffung von Exportbarrieren für russische Güter. „Wenn sie diese Angelegenheit nicht ehrlich angehen wollen, können sie die entsprechenden Produkte auf Autobahnen und Flüssen aus der Ukraine transportieren“, höhnte der russische Außenamtschef.

Lawrow beklagt, dass den Russen und ihren Außenhandelsfirmen aufgrund der westlichen Sanktionspolitik Versicherungshürden im Wege stünden. Sie seien vom Zahlungsverkehr abgeschnürt, Seehäfen ließen ihre Schiffe nicht einlaufen. Falls der Westen weiter die russischen Exporte behindere, werde Moskau im Gegenzug die Schwarzmeer-Getreide-Initiative platzen lassen.

Die EU will die Argumentation Moskaus nicht gelten lassen. Die Sanktionen der Europäer verbieten nicht die Einfuhr, die Ausfuhr, den Kauf oder den Handel mit Lebensmitteln und Düngemitteln aus Russland, schreibt die EU in einem Positionspapier. Und weiter: „Russland trägt die volle Verantwortung für diese Situation. Wenn es keinen Krieg gäbe, gäbe es auch keine Handelsprobleme.“

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