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Millionen Afghanen hungern. Viele Familien wissen nicht, woher sie die nächste Mahlzeit nehmen sollen.

© IMAGO/ABACAPRESS/Zerah Oriane

Hunger und Not in Afghanistan: „Vor den Bäckereien betteln die Menschen um Brot“

Die humanitäre Lage in Afghanistan ist katastrophal. Ein Gespräch mit Elke Gottschalk von der Welthungerhilfe über Millionen Bedürftige, Freiräume für Frauen und gesprächsbereite Taliban.

Frau Gottschalk, Sie waren schon oft in Afghanistan und sind gerade aus Kabul zurückgekehrt. Was hat die fast zweijährige Herrschaft der Taliban aus dem Land gemacht?
Gleich nach meiner Ankunft fiel mir auf, wie ruhig und entspannt alles wirkte. Der Krieg ist vorbei, zumindest in Kabul. Das ist schon zu spüren, sobald man den Flughafen verlässt. Bei meinen zurückliegenden Besuchen war das ganz anders.

Inwiefern?
Früher prägten kampfbereite Soldaten das Stadtbild, Hubschrauber flogen über der Stadt. Jetzt waren keine Schwerbewaffneten zu sehen, keine Militärfahrzeuge. Sogar die Taliban winken einem mit dem Handy in der Hand freundlich zu.

Was ich ebenfalls nicht erwartet hatte: Es sind viele Frauen auf der Straße. Ich hatte damit gerechnet, dass alle Burka tragen. Viele haben jedoch einfach dunkle Mäntel und ein Kopftuch an, einige sogar bunte Kleidung.

Wie das? Die Taliban unterdrücken Frauen doch, erlegen ihnen strenge Verhaltensregeln auf.
Keine Frage: Mädchen und Frauen sollen aus dem öffentlichen Leben herausgehalten werden. Sie dürfen nur wenige Jahre zur Schule gehen, können sich nicht öffentlich äußern und sollen nicht arbeiten. Dennoch: Die Afghaninnen schauen schon ganz genau, wo Freiräume existieren, die es ihnen ermöglichen, zum Beispiel arbeiten gehen zu können.

Zu den Folgen der Taliban-Herrschaft gehört, dass sich die Versorgungslage dramatisch verschlechtert hat. Nach UN-Schätzungen 17 Millionen von Hunger bedroht. Wie macht sich das bemerkbar?
Ein umfassendes Bild konnte ich mir in der Kürze der Zeit nicht machen. Allerdings habe ich in Kabul eine Gemeinschaft der ethnischen Minderheit der Hazara besucht und sie gefragt, wie unsere Bargeldhilfe genutzt wird.

Sie erzählten, dass sie das Geld brauchen, um ihre Schulden in den Läden zu begleichen, Medikamente zu bezahlen und Lebensmittel einzukaufen. Denn Einkünfte gibt es bestenfalls durch Gelegenheitsjobs. Aber klar ist: Das reicht bei weitem nicht. Die Not wird immer größer, die finanziellen Mittel immer weniger.

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Millionen Afghaninnen und Afghanen sind von Hunger bedroht.

Wo wird sichtbar, dass immer mehr Menschen verarmen?
Zum Beispiel am Abend vor Bäckereien. Frisches Brot ist ja ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Vor den Backstuben bilden sich lange Schlangen mit Menschen, die um Brot betteln. Und es sind in den Parks deutlich mehr Drogenabhängige zu sehen.

Die Taliban untersagen es Frauen, für internationale Organisationen wie die Welthungerhilfe zu arbeiten. Wie sehr schränkt das die notwendige Unterstützung ein?
Das macht unsere Arbeit viel schwieriger. Dennoch: 44 Frauen sind nach wie vor für die Welthungerhilfe tätig, wenn auch von zu Hause aus. Es gibt schon Spielräume bei Verhandlungen mit den Taliban.

Etwa, wenn es um Verteilungen von Hilfe von Frauen für Frauen geht. Mal bekommen wir eine Zustimmung, mal nicht. Oft sind mehrere Verhandlungsrunden notwendig, bis wir für uns akzeptable Bedingungen erreichen. Für uns hat sich der Aufwand damit deutlich erhöht. Aber letztendlich erreichen wir jene Frauen, die dringend Hilfe benötigen. Wir können die Afghaninnen keinesfalls im Stich lassen.

Die Taliban beschneiten massiv die Rechte der Frauen. Doch zumindest in Kabul versuchen Frauen, es nicht so ganz genau mit dem Verschleierungsgebot.
Die Taliban beschneiten massiv die Rechte der Frauen. Doch zumindest in Kabul versuchen Frauen, es nicht so ganz genau mit dem Verschleierungsgebot.

© dpa/Ebrahim Noroozi

Wie weit reicht die Gesprächsbereitschaft der Taliban?
Die Islamisten wissen genau: Sie werden von der Bevölkerung in die Pflicht genommen, sind verantwortlich für die Menschen. Gerade auf lokaler Ebene wollen die Taliban etwas tun. Viele haben uns sogar gefragt, ob wir nicht wieder unsere Arbeit intensivieren wollen.

Wirtschaftskrise, Klimawandel, Armut: Viele Beobachter gehen davon aus, dass sich die Lage in Afghanistan noch weiter verschlechtern wird. Sie auch?
Die wirtschaftliche Lage hat sich zumindest auf einem niedrigen Niveau stabilisiert. Weil die UN viel Geld zur Verfügung gestellt haben. Die Mittel flossen nicht direkt an die Taliban-Regierung, sondern wurden direkt für lokale Projekte eingesetzt, etwa in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Lebensmittelversorgung.

Dieses Geld hat einen stabilisierenden Effekt gehabt. Doch nach eigenen Angaben geht etwa dem Welternährungsprogramm das Geld aus, sodass bereits in den vergangenen beiden Monaten vier Millionen Menschen weniger geholfen werden konnte.

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