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Evan Gershkovich, Journalist und Korrespondenten des „Wall Street Journals“ in Russland, in einem Glaskäfig im Moskauer Stadtgericht.

© dpa/AP/ Alexander Zemlianichenko

In Russland inhaftiert: Wie sich Journalisten für ihren US-Kollegen Gershkovich einsetzen

Als Evan Gershkovich in Moskau festgenommen wird, entsteht eine Allianz aus russischen und amerikanischen Journalisten. Gemeinsam kämpfen sie für seine Freilassung.

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Dass Agenten vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB seinen Freund und langjährigen Kollegen festgenommen hatten, erfuhr Joshua Yaffa erst am Morgen danach. Auf Twitter und Telegram las er von einem amerikanischen Journalisten, der in Russland der Spionage beschuldigt wurde. Sein Name: Evan Gershkovich.

„Ich stand unter Schock und schrieb an unsere Chat-Gruppe mit Kollegen: Ist das wirklich wahr?“, sagt Yaffa, der für den „New Yorker“ über Russland und die Ukraine berichtet. Zu diesem Zeitpunkt habe niemand von seinen Freunden die Hintergründe zu Gershkovichs Verhaftung gekannt. „Uns war nur klar, dass wir etwas unternehmen mussten.“

Yaffa und Gershkovich lernten sich in Moskau kennen, so wie viele andere Journalisten aus ihrem Freundeskreis. Gershkovich kam 2017 nach Russland. Als Kind sowjetischer Einwanderer wuchs der 31-Jährige mit der russischen Sprache und Kultur auf.

Er arbeitete für die „Moscow Times“ und die französische Nachrichtenagentur AFP, bevor er im Januar 2022 als Korrespondent zum „Wall Street Journal“ wechselte. Gershkovich ist einer von wenigen westlichen Journalisten, die nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Land geblieben sind. Er hat einen amerikanischen Pass und war beim russischen Außenministerium akkreditiert.

Wir kamen auf die Idee, ihm Briefe ins Gefängnis zu schicken.

Maria Borzunova, russische Journalistin

Umso entsetzter waren Freunde und Familie über seine Festnahme in Jekaterinburg vor rund einem Monat. „Wir überlegten, was ihn trösten könnte und kamen auf die Idee, ihm Briefe ins Gefängnis zu schicken und ihn dort mit den nötigsten Dingen zu versorgen“, sagt die russische Journalistin Maria Borzunova.

Wie Yaffa ist sie mit Gershkovich befreundet, nennt ihn bei seinem russischen Namen „Wanja“.

Auch Borzunova vernetzte sich am Morgen nach der Festnahme ihres Freundes mit Kollegen. So entstand eine Gruppe aus mehr als 20 russischsprachigen Journalisten, darunter Russinnen wie Borzunova und ausländische Korrespondenten wie Yaffa.

Solidarität in zwei Sprachen

Gemeinsam mit Kollegen in den USA und Großbritannien riefen sie eine Kampagne ins Leben – #freegershkovich. Während die englischsprachigen Kollegen Gershkovichs Eltern in den USA unterstützen, organisiert die russischsprachige Gruppe den Briefwechsel ins Moskauer Lefortowo-Gefängnis.

„Wir haben eine Mailadresse eingerichtet, an die seine englischsprachigen Freunde Briefe schreiben können“, sagt Borzunova. Die übersetzen sie dann ins Russische, weil sie vermuten, dass englische Briefe im Gefängnis abgefangen werden.

Auch die Fans von Gershkovichs Lieblings-Fußballclub Arsenal London bekennen sich zum inhaftierten Journalisten.
Auch die Fans von Gershkovichs Lieblings-Fußballclub Arsenal London bekennen sich zum inhaftierten Journalisten.

© Reuters/John Sibley

Bei einer Anhörung vor Gericht am 18. April legten Gershkovichs Anwält:innen Berufung ein. Sie forderten, ihn gegen Kaution freizulassen oder ihn in den Hausarrest zu verlegen.

Noch am selben Tag ging ein Video aus dem Gerichtssaal viral. Es zeigt Gershkovich in einem Glaskäfig, die Arme vor der Brust verschränkt. Er wirkt ruhig, nickt einem russischen Journalisten zu, der ihm „Grüße von allen“ ausrichtet.

„Hallo, du bist ein ausländischer Agent“

Wie erwartet lehnte das Moskauer Stadtgericht eine Freilassung ab. Gershkovich muss weiter im Gefängnis bleiben, erst mal bis zum 29. Mai. Sollte er verurteilt werden, drohen dem Journalisten bis zu 20 Jahre Haft.

Das US-Außenministerium stufte Gershkovichs Verhaftung als „unrechtmäßig“ ein. Der Status legt nahe, dass er als Geisel gehalten wird, was zu einem Gefangenenaustausch zwischen Russland und den USA führen könnte.

Während seine Staatsangehörigkeit für die Politik zentral ist, habe sie für Gershkovichs Kollegen nie eine Rolle gespielt. „Für mich ist Wanja in erster Linie nicht Amerikaner, sondern ein sehr guter Freund“, sagt Borzunova.

Wir müssen so viel wie möglich über Evan schreiben und sprechen.

Sonya Groysman, russische Journalistin und Podcasterin in Riga

Anders als Gershkovich hat sie Russland im vergangenen Jahr aus Sicherheitsgründen verlassen. Heute lebt sie in Berlin, baut einen eigenen Youtube-Kanal auf, wo sie über russische Propaganda aufklärt.

Der Fall Gershkovichs ist politisch, darin sind sich Borzunova und ihre Freunde einig. Er werde vom FSB als Geisel gehalten, seine Freilassung habe höchste Priorität. „Wir müssen so viel wie möglich über Evan schreiben und sprechen – um allen, die daran zweifeln, klarzumachen, dass er unschuldig ist“, sagt Sonya Groysman.

Auch sie ist russische Journalistin, lebt und arbeitet in Riga. Im Podcast „Hallo, du bist ein ausländischer Agent“, den sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Olga Tschurakowa betreibt, widmete Groysman dem Fall ihres Freundes eine ganze Folge.

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Der Titel spielt auf das Label „ausländischer Agent“ an. Damit belegte die russische Regierung schon in der Vergangenheit Journalisten, um ihnen mit juristischen und finanziellen Hürden die Arbeit nahezu unmöglich zu machen.

So erging es beiden von Gershkovichs Kolleginnen: Borzunova im vergangenen Jahr; Groysman als einer der ersten russischen Journalistinnen bereits 2021.

„Evan schrieb mir damals, dass dieser Status mich in keiner Weise definieren würde. Dass ich immer noch eine Journalistin sei und er stolz auf mich wäre. Jetzt schreibe ich ihm das Gleiche in Briefen – nur ist das, was ihm passiert ist, viel schlimmer“, sagt Groysman.

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