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Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Bundeskanzler Olaf Scholz: Die Ausgangslage ist nicht leicht.

© imago/Chris Emil Janßen/IMAGO/Chris Emil Janssen

Internationale Beziehungen: Das deutsch-brasilianische Verhältnis ist von großer Bedeutung

An diesem Montag beginnen die deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen. Dabei geht es um viel mehr als die Differenzen zur Ukraine und der Lage in Israel und Gaza.

Ein Gastbeitrag von
  • Alisa Vogt
  • Julia Ganter

Als sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva Anfang des Jahres in Brasilia trafen, blieb vor allem eines hängen: das Scheitern von Scholz, Lula eine pro-westliche Kurskorrektur gegenüber Russland und Unterstützung für die Ukraine abzuringen.

Kommentare zur brasilianischen „kalten Schulter“ , zu „Scholz‘ Schiffbruch“ oder einer „kalten Dusche“ dominierten die Berichterstattung. Die deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen am 4. und 5. Dezember sind deswegen eine Chance für positivere Schlagzeilen und handfeste Ergebnisse, die genutzt werden muss.

Einfacher geworden ist die Ausgangslage nicht. Nach vier Jahren Rückzug von der globalen Bühne unter dem rechtsradikalen Jair Bolsonaro, sollte Brasilien eigentlich sein internationales Comeback feiern. Doch das fiel nicht so aus, wie man es sich in Berlin erhofft hatte.

Zwar war das Aufatmen förmlich zu hören, als Brasilien Ende Februar in den Vereinten Nationen für einen „unverzüglichen, vollständigen und bedingungslosen” Rückzug aller militärischen Streitkräfte aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine stimmte.

Bei seinem China-Besuch im April forderte Lula dann aber die USA auf, den Krieg in der Ukraine nicht weiter zu befördern , sondern anzufangen, gemeinsam mit Europa über Frieden zu reden. Der Ukraine empfahl er, auf die von Russland annektierte Halbinsel Krim zu verzichten. Hinzu kommt Lulas Vorwurf, dass nicht nur die Hamas, sondern auch Israel terroristische Akte in Gaza begehe.

Auch wenn eine repräsentative Umfrage der Körber-Stiftung zeigt, dass 66 Prozent der Deutschen nachvollziehen können, warum Staaten in Afrika, Lateinamerika oder Asien die westlichen Gegenmaßnahmen gegenüber Russland nicht mittragen, sind die Beweggründe des brasilianischen Präsidenten teils schwer verständlich. Sie sind jedoch auf drei Faktoren zurückzuführen.

Erstens eine außenpolitische Tradition, in der die lateinamerikanische Regionalmacht seit jeher versucht, die gleiche Distanz zu allen Mächten zu wahren.

Zweitens wirtschaftliche Abhängigkeiten, unter anderem des Agrarsektors zu Russland und zu China als größtem Handelspartner und wichtigem Investor.

Drittens ein Selbstverständnis als Friedensnation, mit dem sich Waffenlieferungen in Konfliktgebiete nur schwer vereinen lassen und durch das Sanktionen als Hindernis für friedliche Konfliktlösungen gesehen werden, auch weil sie vor allem die Bevölkerung treffen.

66
Prozent der Deutschen können nachvollziehen, warum Staaten in Afrika, Lateinamerika oder Asien die westlichen Gegenmaßnahmen gegenüber Russland nicht mittragen.

Ein unermüdliches Ringen Deutschlands für die Unterstützung der Ukraine ist auch für die Regierungskonsultationen zentral. Kriegen und der deutschen Zeitenwende zum Trotz sollten die hier bestehenden Differenzen jedoch nicht zur alleinigen Messlatte für die bilateralen Beziehungen werden. In vielen anderen Bereichen können Deutschland und Brasilien gemeinsam viel bewegen.

Das dringlichste Kooperationsprojekt mit Brasilien ist der Kampf gegen den Klimawandel. Durch die Beteiligung am Amazonasfond unterstützt Deutschland Brasilien bereits maßgeblich, auf dessen Staatsgebiet sich 60 Prozent des Amazonas-Regenwaldes befinden. Seit dem Regierungswechsel sind die Rodungen stark zurückgegangen.

Brasiliens globale Gestaltungsmacht wächst

Darüber hinaus gibt es Kooperationsideen beim Biodiversitätsschutz, im Bereich der erneuerbaren Energien, bei Gesundheit, Mobilität und dem Kampf gegen Hassrede im Internet. Die deutsche Wirtschaft hofft zudem, dass die Regierungskonsultationen zu einer intensiveren Zusammenarbeit beim Rohstoffhandel, der Digitalisierung und dem Fachkräftemangel führen.

In Zeiten zunehmender Blockbildung kann Brasilien für Deutschland ein Brückenbauer sein, der sich einerseits lautstark zur liberalen Weltordnung bekennt und sich für Reformen des multilateralen Systems einsetzt, andererseits engen Kontakt mit unterschiedlichen, offen anti-westlichen Staaten der Welt pflegt. Mit der Präsidentschaft der G20 seit dem 1. Dezember und als Gastgeber der Klimakonferenz COP30 im Jahr 2025 besitzt Brasilia in den nächsten zwei Jahren zudem globale Gestaltungsmacht.

Dieses Momentum gilt es zu nutzen. Die frühzeitigen und zahlreichen hochrangigen Besuche aus Deutschland waren ein guter Anfang, den es fortzusetzen gilt. Brasilien und Deutschland sind seit 2008 strategische Partner.

Durch eine verlässliche, und vor allem kontinuierliche Zusammenarbeit statt punktueller Charmeoffensiven kann diese Partnerschaft aller Differenzen zum Trotz wieder mit Leben gefüllt werden.

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