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Israels Parlament hat für die umstrittene Justizreform gestimmt.

© action press/Chen Junqing

Justizreform vom Parlament verabschiedet: Israels Oberstes Gericht büßt einen Teil seiner Macht ein

Das israelische Parlament hat die umstrittene Justizreform verabschiedet und das Vetorecht des Obersten Gerichts abgeschafft. Kritiker des Gesetzes sehen Israels Demokratie in Gefahr.

Trotz drastischer Warnungen und heftiger Proteste hat Israels Parlament am Montag das erste Element der hochumstrittenen Justizreform verabschiedet: die Abschaffung der sogenannten Angemessenheitsklausel. Zwar hatten Vertreter von Regierung und Opposition hinter den Kulissen noch bis zum Mittag nach einer Kompromisslösung gesucht. Die Gespräche scheiterten jedoch, ebenso wie frühere Versuche dieser Art.

Oppositionsführer Yair Lapid machte der Regierung in einer Rede vor dem Parlament anschließend schwere Vorwürfe: Sie wolle „den Staat auseinanderreißen, die Demokratie zerstören, die Sicherheit Israels, die Einheit des Volkes Israel und unsere internationalen Beziehungen zerstören“.

Auf der nun abgeschafften Angemessenheitsklausel konnte das Oberste Gericht sich bislang berufen, um die Entscheidungen einzelner Minister zu prüfen und im Zweifelsfall für unangemessen zu erklären. Befürworter der Reform werfen dem Gericht übermäßige Einmischung in politische Prozesse vor, während Kritiker das Gericht als einzige Kontrolle einer ohnehin mächtigen Exekutive darstellen.

Der Streit um das Reformpaket hat Israel in eine der tiefsten Krisen seit seiner Gründung geführt. Gegen die Pläne hat sich eine gewaltige Protestbewegung formiert.

Schon jetzt kostet die Krise den Staat: Ausländische Investitionen in die israelische Hightech-Industrie, der Motor der israelischen Wirtschaft, sind dramatisch eingebrochen; und wie eine aktuelle Umfrage der Nichtregierungsorganisation Start-up Nation Central zeigt, haben fast 70 Prozent aller Start-ups erste Schritte unternommen, um ihre Firma ins Ausland zu verlegen.

Für noch dramatischer halten viele Beobachter die potenziellen Folgen für die nationale Sicherheit. Denn die Proteste spalten auch Israels Armee, die IDF, die in der Vergangenheit stets von innenpolitischen Disputen ausgenommen wurde.

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Abgeordnete der Regierungskoalition stimmten geschlossen für das Gesetz

In den vergangenen Tagen haben über 10.000 Reservisten gedroht, vom Reservedienst fernzubleiben, sollte das Parlament die Abschaffung der Klausel beschließen. Bei über Tausend von ihnen handelt es sich um Piloten, deren Dienst für die nationale Sicherheit eine besondere Bedeutung trägt.

Verteidigungsminister Yoav Gallant hatte deshalb in den vergangenen Tagen darauf gedrängt, eine Kompromisslösung zu finden. Schon im März waren es vorrangig die Boykottdrohungen der Reservisten gewesen, die Netanjahu dazu bewegt hatten, die Gesetzgebung vorübergehend einzufrieren.

Dieses Mal scheint die Lage noch ernster. „Wenn wir keine starken und vereinten Verteidigungskräfte haben“, heißt es in einem offenen Brief, den Armeechef Herzi Halevi am Sonntag veröffentlichte, „wenn die Besten des Staates Israel nicht in der IDF dienen, dann werden wir nicht länger in der Lage sein, als unabhängiges Land in der Region zu existieren.“

Sicherheitsexperten schlagen Alarm

Auch Experten schlagen Alarm. Das Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv veröffentlichte ebenfalls am Sonntag eine „dringende Mitteilung”. Die aktuelle Krise könnte die Armee schwächen, heißt es darin, ausgerechnet zu einer Zeit „eskalierender Bedrohungen an mehreren Fronten“. Die Experten rufen daher zu einem „sofortigen Stopp unilateraler Gesetzgebung“ und der Suche nach einem „breiten Kompromiss“ auf.

Wie israelische Medien mit Verweis auf ungenannte Regierungsquellen berichteten, lehnten Justizminister Yariv Levin von der rechten Likudpartei des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sowie Itamar Ben-Gvir, der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, die Forderung ihres Kollegen Gallant nach einem Kompromiss jedoch ab.

Zudem drohten sie sogar, die Koalition aufzulösen, sollte der Gesetzesentwurf nicht in seiner ursprünglichen Form verabschiedet werden.

Netanjahu hatte seinerseits schon Mitte Juli deutlich gemacht, wo seine Prioritäten liegen. Seine Regierung zu erhalten sei wichtiger, als den Protest der Reservisten zu berücksichtigen, sagte er israelischen Medien zufolge in vertrauter Runde. Israel könne auch „ohne ein paar Geschwader“ überleben.

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