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Gershkovich auf dem Weg in ein Gerichtsgebäude in Moskau.

© REUTERS/EVGENIA NOVOZHENINA

Kollege von US-Reporter Gershkovich kritisiert Kreml-Willkür: „Putin hat entschieden, Evan als Geisel zu nehmen“

Wegen angeblicher Spionage sitzt der US-Journalist Evan Gershkovich in russischer Haft. Sein Kollege Anton Trojanowski wähnt dahinter eine perfide Strategie des Moskauer Regimes.

Der Büroleiter der „New York Times“ in Moskau, Anton Trojanowski, hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin bezichtigt, persönlich für die Festnahme und Inhaftierung des US-Journalisten Evan Gershkovich verantwortlich zu sein.

„Das ist klar eine Entscheidung von Wladimir Putin selbst gewesen, Evan als Geisel zu nehmen“, sagte Trojanowski in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am Dienstag.

Als Grund für seine Annahmen nannte der US-Journalist die ungewöhnliche Abfolge der Ereignisse vom vergangenen Donnerstag. So habe Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bereits zwei Stunden nach Bekanntgabe der Verhaftung durch den Geheimdienst FSB erklärt, dass Gershkovich auf frischer Tat ertappt worden sei.

So agiere der Kreml in solchen Fällen normalerweise nicht, erklärte Trojanowski nun. „Es gibt hier klar die Botschaft: Das hat Putin selbst entschieden.“

Anton Trojanowski bei einem Besuch beim Tagesspiegel im Jahr 2020.

© Thilo Rückeis TSP

Trojanowski, der aktuell von Berlin aus arbeitet, vermutet demnach eine hohe Eskalationsbereitschaft des russischen Machthabers: „Putin will, dass die Welt, der Westen, die USA und auch Deutschland Angst haben.“

Bis Ende Mai in U-Haft

Der US-Reporter Gershkovich arbeitete als Korrespondent der US-Zeitung „Wall Street Journal“ (WSJ) in Russland. Am vergangenen Donnerstag wurde er in Jekaterinburg festgenommen.

Nach Angaben des FSB sei der 31-Jährige bei der „Spionage im Interesse der amerikanischen Regierung“ erwischt worden. Sowohl das Weiße Haus als auch das WSJ und Gershkovich selbst wiesen die Anschuldigungen zurück.

Nach Angaben eines Moskauer Gerichts bleibt Gershkovich zunächst bis 29. Mai in Untersuchungshaft. Laut einer Gerichtssprecherin legte er Berufung gegen seine Inhaftierung ein. Der Termin für die Anhörung wird demnach im Laufe der Woche bekannt gegeben.

Renommierter Russland-Korrespondent

Trojanowski, der Gershkovich persönlich kennt, hob in dem Interview auch die Verdienste seines inhaftierten Kollegen hervor. „So viel wie kaum ein anderer Journalist ist er im letzten Jahr durchs Land gereist und hat so viele Geschichten geschrieben über die Stimmung im Land und über die Wagner-Gruppe.“ Das habe vielen anderen Journalisten bei ihrer Arbeit geholfen.

Der US-Journalist Evan Gershkovich.

© privat/privat

Den Fall Gershkovich umschrieb Trojanowski als weitere Zäsur für die Pressefreiheit in Russland. Bisher seien „fast nur russische Journalisten“ von staatlichen Repressionen betroffen gewesen. „Jetzt ist aber klar: Es richtet sich gegen alle Journalisten.“

Demnach sei Gershkovich ein willkürlich ausgewähltes Ziel des russischen Regimes. „Es hätte alle treffen können“, sagte Trojanowski. Allerdings sei sein Kollege „einer der ganz wenigen Amerikaner gewesen, die da waren“.

Die US-Herkunft des inhaftierten Journalisten sei für die russische Regierung strategisch bedeutsam. Mit Blick auf eventuelle Gefangenenaustausche sei „ein amerikanischer Gefangener eine sehr wertvolle Sache für den Kreml“.

Allgemein fürchtet Trojanowski eigenen Angaben zufolge nun um das gegenseitige Verständnis unter den Völkern. So habe etwa Gershkovich „mit Leuten gesprochen, die für Putin waren, die gegen Putin waren“ und anderen in der Mitte. „Wir brauchen solche Leute, um die Welt zu verstehen.“ Andernfalls verstärke sich das Nichtverstehen. „Das ist gar nicht gut.“

Die Hoffnung auf eine baldige Freilassung seines Kollegen habe Trojanowski nicht aufgegeben, da die US-Regierung und auch andere Länder sich dafür einsetzten. „Ich hoffe, dass man auch hier in Deutschland versteht, dass das wirklich ein sehr wichtiger Fall ist, der uns alle betrifft“, sagte er. (Tsp)

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