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Marsch der Hoffnung. An die 500.000 Menschen demonstrieren mit Flaggen Polens, der EU und der USA für mehr Freiheit.

© action press/ZUMA Press Wire / Zuma Press

Update

Marsch der Hoffnung vor der Wahl im Herbst: Noch ist Polens Opposition nicht verloren

Eine halbe Million Menschen demonstrieren in Warschau gegen die PiS-Regierung. Die Chancen auf Machtwechsel steigen, aber mehrere Fragezeichen bleiben.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

| Update:

Polen ist auf den Beinen. Hunderttausende haben sich am Wochenende am „Marsch der Hoffnung“ nach Warschau gegen die regierende PiS beteiligt. Die Stadtverwaltung spricht von einer halben Million Menschen.

Sie sangen die Nationalhymne „Noch ist Polen nicht verloren.“ Es herrschte Volksfeststimmung. Auch in anderen Städten in In- und im Ausland demonstrierten Zentausende, darunter Berlin, Brüssel, Genf, London, Paris und Rom.

Das ist ein Paukenschlag wenige Monate vor der Parlamentswahl. Es gibt also noch eine mächtige Opposition. Um die Dimension des Geschehens zu begreifen: Die Mobilisierung ist weit höher als bei den größten Kundgebungen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Auch da versammelten sich an die 500.000 Menschen. Polen hat aber nur halb so viele Einwohner.

Am Tag der ersten freien Wahl 1989

Oppositionsführer Donald Tusk hatte ein symbolträchtiges Datum gewählt: Der 4. Juni 1989 markierte die erste halbwegs freie Wahl in Osteuropa nach Jahrzehnten der Diktatur. Die hatte die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc erzwungen. Fünf Monate später fiel die Berliner Mauer.

Auch jetzt marschiert der Held von damals mit: Friedensnobelpreisträger Lech Walesa. Auch jetzt geht es um Freiheit und den Protest gegen eine missliebige Regierung, die Demokratie, Rechtsstaat und Medienvielfalt untergräbt.

Doch reicht die Kraft dieser Opposition, um die nationalpopulistische PiS zu besiegen? Die machtvolle Demonstration hat den Machtwechsel ein Stück wahrscheinlicher werden lassen. Aber da liegen noch einige Hindernisse auf dem Weg zu diesem Ziel.

Die aktuelle Lage nach den Umfragen: Die von der PiS geführte Vereinigte Rechte liegt um die 32 Prozent, deutlich weniger als die 43,6 Prozent bei der Wahl 2019. Allein kann sie nicht regieren, auch für eine Koalition mit der rechtsextremen Konfederacja (zehn Prozent) reicht es nicht.

Die Bürgerkoalition (KO), die zu der Demonstration aufgerufen hatte, ist mit annähernd 27 Prozent die stärkste Oppositionskraft, liegt aber klar hinter der PiS und bleibt unter den 27,4 Prozent von 2019. Vom Unmut über die Regierenden und deren Skandale kann sie nicht profitieren.

Wie bei der Wende 1989: Lech Walesa, Gründer der Gewerkschaft Solidarnosc und Friedensnobelpreisträger, marschiert an der Spitze mit.

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Der Machtwechsel wird nur gelingen, wenn sich alle Oppositionskräfte mit der KO gegen die PiS zusammentun, voran die Wahlliste „Dritter Weg“ (14 Prozent) aus der Bauernpartei PSL und der zentristischen Bewegung Polska 2050 des Publizisten Szymon Holownia sowie die Vereinigte Linke (zehn Prozent).

Andere Oppositionsführer bleiben der Demo fern

Doch Holownia und andere Galionsfiguren der Opposition folgten Tusks Einladung nicht, geschlossen aufzutreten. Einige ihrer Anhänger marschierten mit, aber sie selbst traten nicht mit Tusk ans Mikrofon. Das hebt der staatliche Rundfunk hervor. Er betätigt sich auch jetzt wieder als Propagandaarm der PiS-Regierung.

Aus den Nachrichten im populären Radioprogramm „Trójka“ war nicht zu erfahren, dass Polen die größte Kundgebung seit Jahrzehnten erlebt. Der staatliche TV-Sender TVP stellte den „Marsch der Hoffnung“ als „Marsch des Hasses“ dar. Es habe Beschimpfungen, Verleumdungen und vulgäre Worte gegen die PiS gehagelt.

Tusk und der Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski, der unterlegene Oppositionskandidat bei der Präsidentschaftswahl 2020, hatten die umgekehrte Parole ausgegeben. Es gehe um Zeichen „der Kraft und der Hoffnung, nicht der ratlosen Wut“, sagte Tusk. Trzaskowski rief dazu auf, den Zorn über die Regierung „in positive Energie umzuwandeln“.

So bleibt Polen in der Wahrnehmung gespalten. Wer Oppositionsmedien nutzt, sah Szenen der Massenbegeisterung und des Aufbruchs. Für jene, die sich über staatliche Sender informieren, hat sich nichts Besonderes ereignet, nur der übliche Lagerstreit.

Die PiS zeigt allerdings Zeichen der Panik. Vor zehn Tagen hat sie mit ihrer Parlamentsmehrheit ein Gesetz verabschiedet, das es der PiS nach Lesart der meisten Beobachter erlauben würde, Oppositionsführer Donald Tusk wegen angeblicher „Russlandfreundlichkeit“ von öffentlichen Ämtern auszuschließen. Eine Sonderkommission, deren Mitglieder die PiS auswählen würde, soll Verdächtige beurteilen. Eine Berufung vor ordentlichen Gerichten gegen ein drohendes Politikverbot ist nicht vorgesehen.

Die Verleumdungskampagnen der PiS gegen Tusk verfangen. Er war von 2007 bis 2014 Regierungschef, von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rats in Brüssel und kehrte 2021 in die Innenpolitik zurück. Tusk rangiert am Ende der Umfragen, zu wem die Polen Vertrauen haben – gemeinsam mit PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski und Justizminister Zbigniew Ziobro.

Das meiste Vertrauen haben die Polen zu Präsident Andrzej Duda (54 Prozent), zu Warschaus Bürgermeister Rafal Trzaskowski (45 Prozent) und zu Oppositionspolitiker Szymon Holownia (38 Prozent).

So bietet Polen ein gemischtes Bild. Der Machtwechsel, der die Grundbedingung für eine Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen und für eine Beilegung der Konflikte mit der EU um Rechtsstaat und Medienvielfalt wäre, ist möglich. Freilich nur, wenn die Oppositionskräfte zusammenfinden. Und so den Glauben der Bürger an Veränderung von diesem Junitag bis in den Herbst hinein tragen.

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