zum Hauptinhalt
„Diebe, Diebe!“ Belgrader:innen protestieren am Montagabend vor dem Gebäude der nationalen Wahlkommission.

© REUTERS/MARKO DJURICA

Nach Betrugsvorwürfen gegen die Regierung: Serbiens Opposition tritt in den Hungerstreik

Vor allem in Belgrad wurde wohl massiv gefälscht, die EU zeigt sich empört. Selbst der Staatspräsident denkt öffentlich an Neuwahl. Freilich aus andern Gründen als die Opposition.

Die feuchtkalte Winternacht hielt sie nicht auf. Am Montagabend versammelten sich erst Hunderte, dann Tausende Belgrader:innen vor dem Sitz der nationalen Wahlkommission und empörten sich in Sprechchören über das manipulierte Wahlergebnis: „Diebe, Diebe!“ war zu hören und: „Wir geben unsere Wahl nicht preis!“

Kolonnen von Autobussen und Kleintransportern aus Bosnien und Kosovo nämlich, aber auch aus anderen serbischen Städten waren am Sonntag nach Belgrad gerollt. Die Fahrgäste, Importwähler mit fiktiven Belgrader Meldeadressen, sollten, so internationale und serbische Wahlbeobachter, die Stadtratswahl zu Gunsten der regierenden Partei SNS entscheiden. Die Kommunalwahl fand parallel zu der zum nationalen Parlament statt.

Außer Stimmenkauf und Attacken gegen sich und Kolleg:innen registrierte die unabhängige Wahlbeobachter-Organisation CRTA eine „ungeheure Zahl von vorab ausgefüllten Stimmzetteln“. Ihr Fazit: „Die Wahlergebnisse in Belgrad erhalten nicht den Wahlwillen der Bürger.“

Das „Gerede“ von 40 000 in die Stadt gekarrten Phantomwählern sei eine „Lüge“, beteuerte hingegen Staatschef Aleksandar Vučić zu Wochenbeginn: „Die Wahlen waren anständig. In Serbien regieren Frieden, Ordnung – und die Gesetze.“

Auch OSZE-Mission moniert Fälschungen und „organisierte“ Stimmen

Einen anderen Eindruck hatte nicht nur CRTA, sondern auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die die Wahl begleitete und zahllose Unregelmäßigkeiten monierte: Missbrauch öffentlicher Ressourcen durch die Regierungspartei, ungleiche Wahlbedingungen, Verstöße gegen das Wahlgeheimnis sowie in Gruppen organisierte Abstimmungen. 

Wählereinschüchterung und Stimmenkauf seien „inakzeptabel“ für einen EU-Beitrittskandidat, so das deutsche Außenministerium in einer Erklärung. Andreas Schieder von der Wahlbeobachtermission des Europaparlaments zeigte sich schockiert vor allem über den Einsatz der Phantomwählenden: „Die Serben verdienen Demokratie – und keine Fake-Wahl“, erklärte der österreichische Sozialdemokrat.

Die Wahlen waren anständig. In Serbien regieren Frieden, Ordnung – und die Gesetze.

Aleksandar Vučić, serbischer Staatspräsident

„Ich will meine Stimme zurück!“, „Gestohlene Wahlen“ oder „Ihr widert mich an!“ stand auf den Plakaten der Demonstrierenden, die bis weit nach Mitternacht die Wahlkommission belagerten. Während draußen wütende Jugendliche Eier gegen die Fassade warfen, kündigten drinnen Marinka Tepić und Miroslav Aleksić, die Spitzenkandidaten des Oppositionsbündnisses „Serbien gegen Gewalt“, an, sie würden hungerstreiken, bis die Wahlfarce annulliert werde. Man werde „den Wählerwillen in Belgrad erkämpfen“, so Tepić.

Opposition hofft auf weniger Manipulation bei Wahlwiederholung

Während die Opposition zu neuen Protesten aufruft, schließt selbst Vučić, der sich bisher von der Welle der Kritik unbeeindruckt zeigte, Neuwahlen nicht mehr aus. Sein Motiv ist allerdings ein anderes: Der russophile Impfgegner Branimir Nestorović und seine Wahlliste, die überraschend in den Stadtrat gewählt wurden, haben angekündigt, weder Vučićs SNS noch die Opposition zu unterstützen.

Die Opposition setzt dennoch auf den neuen Start: „Wir hoffen, dass wir bei einer Neuwahl in Belgrad alle unsere Kräfte dafür einsetzen können, die Wahl sicher zu machen und die ihre Manipulation zu begrenzen“, sagte ein Parlamentsmitglied dem Tagesspiegel.

„Außerdem liegt nach diesem Sonntag die internationale Aufmerksamkeit und die der EU auf uns. Die herrschende Mehrheit könnte daher weniger Lust haben, sich der alten Taktiken zu bedienen.“ Die Stellungnahme des Auswärtigen Amts in Deutschland nannte er „stark“. (mit ade)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false