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Wahl nach seinem Maß: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić ruft seine Partei am Sonntag in Belgrad zur Siegerin aus.

© REUTERS/ZORANA JEVTIC

Stimmenkauf bei Wahl in Serbien: Der Demokrator triumphiert

Mit seiner Medienübermacht, Verleumdungen und Stimmenkauf hat Serbiens Präsident die Parlamentswahl erneut für sich gedreht. Die Opposition erkennt diesen Sieg nicht an.

Ein zufriedenes Lächeln ging über die vollen Lippen von Serbiens starkem Mann. Er sei „unendlich glücklich“, bekannte Aleksandar Vučić, als er bei der Wahlparty seiner nationalpopulistischen SNS in der Nacht unter tosendem Beifall zum Rednerpult schritt: „Es gibt keinen Wahlkreis, in dem wir nicht zugelegt haben. Wir werden die absolute Mehrheit im Parlament haben. Wir sind die ersten, die Siegerliste!“

Statt der erwarteten Verluste gab es Zugewinne: Ungeachtet der hohen Inflation, der endlosen Korruptionsskandale und einer monatelangen Protestwelle nach zwei Amokläufen im Mai, die unter anderem acht Kinder das Leben kosteten, verkündet Vučić einen neuen Sieg für seine Partei: Mit vermutlich 46,2 Prozent der Stimmen hat die SNS gegenüber der Wahl im letzten Jahr um knapp vier Prozentpunkte zugelegt und ist im neuen Fünfparteienparlament nicht einmal mehr auf Koalitionspartner angewiesen.

Die Zuwächse der SNS gingen auf Kosten ihres bisherigen Partners: Die von der SNS im Wahlkampf ungekannt hart attackierten Sozialisten (SPS) von Außenminister Ivica Dacić verloren fast die Hälfte ihrer Wähler. Außer der Verbannung in die Opposition droht ihnen jetzt der Verlust einträglicher Posten in den Vorstandsetagen der Staatsbetriebe. Der konsternierte Dacić bot noch in der Wahlnacht seinen Rücktritt an.

Wahlbeteiligung kaum gestiegen

Zweistärkste Parlamentskraft ist mit 23,6 Prozent das proeuropäische Wahlbündnis „Serbien gegen die Gewalt“ (SPN), dem es allerdings nicht gelang, wie beabsichtigt mehr Wähler zu mobilisieren: Die Wahlbeteiligung lag mit rund 59 Prozent nur wenig über der des Vorjahres.

Von den zahlreichen rechten Oppositionsparteien, die sich nicht auf eine gemeinsame Liste einigen konnten, glückte nur der NADA (4,9 Prozent) des prorussischen Impfgegners Branimir Nestorović der Sprung über die Dreiprozenthürde.

Ihrem Wahlglück hat die SNS beim Kampf um das Belgrader Rathaus mit Importwählern aus Bosnien, Montenegro, Nordmazedonien und Kosovo mit fiktiven Meldeadressen allerdings kräftig nachgeholfen. Auf 40.000 beziffert das proeuropäische Oppositionsbündnis SPN die Zahl der Personalausweise, die in den letzten Wochen für solche Phantomwähler ausgestellt wurden.

Regierungschefin Ana Brnabić, die nur noch geschäftsführend im Amt ist, spricht von „nur“ 12000 mehr und gibt sich unschuldig: „Menschen unserer Staatsangehörigkeit und eingetragen im Wählerregister reisen organisiert an, um zu wählen – was soll daran ungesetzlich sein?“

Pattsituation im Belgrader Rathaus

Die generalstabsmäßig vorbereitete Lenkung des Wählerwillens gefährde die Legitimität dieser Wahl voller Unregelmäßigkeiten, sagt dagegen der Analyst Dragan Popović: „Dies waren weder freie noch faire Wahlen.“ Die Opposition kündigte an, gegen das Kommunalwahlergebnis vorzugehen: Von einem Wahlsieg der SNS könne in Belgrad „keine Rede“ sein, so Miroslav Aleksić, der Spitzenkandidat von SPN.

Diese Wahlen waren nicht frei, nicht fair, und definitiv genügten sie nicht EU-Standards.

Natan Albahari, liberaler Oppositionspolitiker

Tatsächlich kommt die SNS trotz der herangekarrten Hilfstruppen aus den Nachbarstaaten in Belgrad vorläufig nur auf 38,7 Prozent: Selbst mit ihrem bisherigen Koalitionspartner SPS ist dies für eine Mehrheit im Stadtrat zu wenig. Umgekehrt dürfte auch der Opposition die Wahl eines Bürgermeisters nicht glücken.

Für sie ist gerade dies schmerzhaft. In der Metropole, in der ein Viertel der serbischen Bevölkerung lebt und über 40 Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaftet werden, hoffte man, Vučić eine symbolisch wichtige Niederlage beizubringen und ihn vor allem von einem Teil seiner Ressourcen für Korruption und Repression abzuschneiden.

„Diese Wahlen waren nicht frei, nicht fair, und definitiv genügten sie nicht EU-Standards“, sagt Natan Albahari, Abgeordneter im serbischen Parlament, dem Tagesspiegel am Montag. Die betrügerischen Methoden des Regimes hätten auch das Ergebnis in Belgrad verfälscht.

Ein eigenes Logistikzentrum für den Wahlbetrug

Das sei im Grunde nichts Neues, sagt der liberale Politiker, aber: „Uns hat wirklich überrascht, wie intensiv und wie ausgefuchst die Methoden diesmal vor allem in Belgrad waren. Und das half der Regierung natürlich auch beim nationalen Wahlergebnis.“

Das Vučić-Regime habe ein eigenes Logistikzentrum aufgebaut, wo die herangekarrten Phantomwähler:innen Instruktionen erhielten, wie und wo in der Stadt sie die Stimme abgeben sollten. „Das ist alles aufgezeichnet und ging durch die sozialen Medien. Unsere und die internationalen Wahlbeobachter:innen schafften es auch, dass dieses Zentrum schließlich geschlossen wurde. Aber da war der Schaden schon angerichtet.“

Auch der berüchtigte „bulgarische Zug“ sei wieder eingesetzt worden. Wählenden wird dabei ein bereits ausgefüllter Stimmzettel mitgegeben, ihren eigentlichen bringen sie aus dem Wahllokal zurück, wo ihn die Stimmenkäufer den nächsten Stimmberechtigten, wieder wunschgemäß ausgefüllt, weitergeben. Dafür gibt es zehn bis zwanzig Euro.

Selbst das Elend an den sozialen Rand gedrängter Minderheiten beute das Regime aus, sagt Albahari: Vorzugsweise Roma, die in extremer Armut lebten, würden aufgefordert, zusammen mit ihrem Personalausweis zu fotografieren, wo sie ihr Kreuz gesetzt haben. Die Belohnung: „Man versichert ihnen dafür, dass sie weiter Sozialhilfe oder irgendwelche Vergünstigungen bekämen.“

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