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Innenminister Arie Deri (links) und Premierminister Benjamin Netanjahu (mitte).

© dpa/picture alliance/AP/Sebastian Scheiner

Netanjahus Regierung und die Justiz: Wie in Israel ums Recht gekämpft wird

Das höchste Gericht hält den vorbestraften Ari Derie als Minister für ungeeignet. Die Regierung spricht von einer „politischen“ Entscheidung – und verschärft das Kräftemessen mit der Justiz.

Von Steffi Hentschke

In einer Demokratie sollte das Verhältnis zwischen Regierung und Justiz nicht allzu stark belastet sein – in Israel steigt dieser Tage jedoch die Spannung zwischen den Gewalten. Am Mittwoch hatte Israels höchstes Gericht den wegen Steuerflucht verurteilten Innenminister und Vorsitzenden der ultraorthodoxen Schas-Partei, Arie Deri, für sein Amt gesperrt. Die Entscheidung geht zurück auf eine Beschwerde von Bürgerrechtlern gegen die Ernennung von Deri.

Am Donnerstag setzte die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara nach und forderte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf, Deri umgehend zu entlassen. Rechtlich betrachtet bleibt Netanjahu und seiner rechtsreligiösen Koalition nun keine Wahl: Die Regierung muss dem Urteil des Gerichts folgen.

Bestechlichkeit, Korruption und Untreue

„Wenn sie uns die Tür vor der Nase zuschlagen, dann kommen wir durch das Fenster“, sagte der gesperrte Minister Deri am Mittwochabend in einer Stellungnahme. Der strengreligiöse Politiker war 2000 wegen Bestechlichkeit, Korruption und Untreue – auch während seiner Zeit als Innenminister – zu insgesamt drei Jahren Haft verurteilt worden.

2021, mittlerweile als Abgeordneter zurück im Parlament, musste er wegen neuer Steuervergehen sein Amt niederlegen und wurde im Rahmen eines Vergleichs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Am vergangenen Samstag hatten in Tel Aviv, Jerusalem und Haifa Zehntausende gegen die Justizreform demonstriert.
Am vergangenen Samstag hatten in Tel Aviv, Jerusalem und Haifa Zehntausende gegen die Justizreform demonstriert.

© IMAGO/ZUMA Wire / IMAGO/Saeed Qaq

Deris Schas-Partei nannte die Entscheidung „politisch“ und Justizminister Yariv Levin, Mitglied von Netanjahus Likud-Partei, kündigte an, er werde „alles Notwendige tun, um die Ungerechtigkeit, die Deri, Schas und der israelischen Demokratie angetan wurde, vollständig zu revidieren“.

Israel steht eine Umwälzung des Justizsystems bevor

Levin ist zuständig für die umfassende Umwälzung des Justizwesens, durch die die Regierung maximalen Einfluss auf die Entscheidung des höchsten Gerichts haben und es stark schwächen will.

Die Entwürfe zur Reform werden in diesen Tagen in Israels Parlament, der Knesset, diskutiert und könnten mit der dafür notwendigen einfachen Mehrheit innerhalb der kommenden Wochen verabschiedet werden.

Es gibt jetzt nur zwei Möglichkeiten, und beide machen mir als Bürgerin und Juristin Sorgen.

Tamar Hostovsky Brandes, Verfassungswissenschaftlerin.

Israel befindet sich damit in einem historisch kritischen Moment: die Unabhängigkeit der Justiz, die Gewaltenteilung, die demokratischen Prinzipien sind Gefahr.

Tief gespaltene Gesellschaft

Das Gericht brachte der neuen Regierung zum Start nun eine empfindliche Niederlage bei. Jedoch kämpft es nicht für sich, sondern für den Rechtsstaat und der kann nur gewinnen, wenn er auch von denen respektiert wird, die sich ihm geschlagen geben müssen.

„Es gibt jetzt nur zwei Möglichkeiten, und beide machen mir als Bürgerin und Juristin Sorgen“, sagt die Verfassungswissenschaftlerin Tamar Hostovsky Brandes. „Entweder ignoriert die Regierung die Anweisung oder sie nutzt das Urteil, um in der Öffentlichkeit Stimmung gegen das höchste Gericht zu machen.“

Wenn sie uns die Tür vor der Nase zu schlagen, dann kommen wir durch das Fenster.

Innenminister Arie Deri in einer Stellungnahme zu seiner Sperrung.

Israels Gesellschaft ist tief gespalten und genau diese Spaltung könnte sich durch das Urteil noch verschärfen, fürchtet Hostovsky Brandes. Laut einer Umfrage des Israel Democracy Institutes, Israels größtem unabhängigen Thinktank, lehnen über 70 Prozent der Israelis die Justizreform ab.

Auf der anderen Seite: Nicht zuletzt Benjamin Netanjahu persönlich wirft, seit gegen ihn ein Verfahren unter anderem wegen Korruption und Bestechung laugt, politisch motivierte Entscheidung vor – und wurde mit seiner Likud-Partei bei den Parlamentswahlen im November dennoch zur stärksten Kraft gewählt.

Egal, wie sich die Regierung also verhalten wird, die Verfassungskrise wird sich verschärfen. Und ganz gleich, ob man mit Rechts- oder Sicherheitsexperten spricht, alle sagen, dass sie erstens schwer besorgt und zweitens selbst überfragt sind.

Helfen könnte der Druck der Öffentlichkeit. Am vergangenen Samstag hatten in Tel Aviv, Jerusalem und Haifa Zehntausende gegen die Justizreform demonstriert. Für dieses Wochenende sind weitere Proteste angekündigt.

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