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Alexej Nawalny (2.v.l), Oppositionspolitiker aus Russland, ist in einem von der russischen Strafvollzugsbehörde zur Verfügung gestellten Videolink auf einem Bildschirm zu sehen.

© dpa/AP/Alexander Zemlianichenko

Putins innenpolitischer Feind Nummer eins: „Das Vorgehen gegen Nawalny folgt einer Eskalationslogik“

Der russische Dissident Alexej Nawalny verbüßt in der Strafkolonie Melechowo derzeit eine Haftstrafe. Nun wurde eine weitere gegen ihn verhängt.

Wegen Extremismusvorwürfen hat ein russisches Gericht am Freitagnachmittag den bereits inhaftierten Kremlkritiker Alexej Nawalny zu einer neuen Haftstrafe von insgesamt 19 Jahren verurteilt. Der Prozess wurde international als politische Inszenierung kritisiert. Die Urteilsverkündung gegen den 47-Jährigen erfolgte in dem Straflager Melechowo 250 Kilometer östlich von Moskau, in dem Nawalny derzeit inhaftiert ist.

Nawalny reagiert gelassen

Der schärfste Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin nahm das Urteil sichtlich gelassen auf. Nawalny sei wie ein „König“ lächelnd ohne Fesseln allein in den Saal gekommen, kommentierten seine Mitarbeiter, die sich im Exil in der EU aufhalten, bei einer Livesendung auf Youtube. Sein Bruder Oleg Nawalny, der selbst bereits inhaftiert war, sagte, dass Alexej in guter „moralischer und physischer Verfassung“ sei.

Die Staatsanwaltschaft hatte 20 Jahre Straflager gefordert und Nawalny unter anderem bezichtigt, eine extremistische Organisation gegründet und finanziert zu haben. Er selbst weist die Vorwürfe zurück.

Das Vorgehen gegen Nawalny folgt einer Eskalationslogik.

Alexey Yusupov, Leiter des Russlandprogramms der Friedrich-Ebert-Stiftung

Nawalnys Team im Exil erklärte, dass die Strafe in einem Lager unter besonderen Haftbedingungen abgesessen werden solle, die noch strenger seien als die in der bisherigen Kolonie. Bereits jetzt werde Nawalny durch unmenschliche Haftbedingen und Dauerisolation gefoltert.

Vor der Urteilsverkündung hatte Nawalny das zu erwartende Strafmaß über sein Team auf Twitter als „stalinistisch“ bezeichnet. Das neue Urteil gegen ihn diene der gesellschaftlichen Einschüchterung. Es solle die kritischen Teile der russischen Bevölkerung davon abhalten, sich öffentlich gegen Putin und Russlands Krieg in der Ukraine zu stellen. Er rief dazu auf, Solidarität mit ihm und anderen politischen Gefangenen zu zeigen.

Das Vorgehen gegen Nawalny sei präzedenzlos harsch, sagte Alexey Yusupov, der das Russlandprogramm der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) leitet, dem Tagesspiegel. „Es ist ein politischer Prozess, der nichts mehr mit Recht zu tun hat,“ führt er aus. Die Bekämpfung Nawalnys sei „Staatsräson“. Nawalny hebe sich gegenüber den anderen Dissidenten durch seinen Bekanntheitsgrad und seine Strategien ab.

Strategie der Einschüchterung

Aktuell werde gegen Nawalny noch ein weiteres Verfahren wegen Terrorismus vorbereitet. „Das Ganze folgt einer Eskalationslogik und ist eine Strategie der Einschüchterung der russischen Bevölkerung“, erläutert Yusupov.

Dass die Verlesung des Urteils nicht in Moskau, also am Ort der vorgeworfenen Straftat, stattgefunden habe, sondern im weit entfernten Straflager, ist aus Yusupovs Sicht nicht zu rechtfertigen. Man wollte das Verfahren damit so fern wie möglich von der russischen Öffentlichkeit halten.

Hätte die Urteilsverkündigung in Moskau stattgefunden, seien zwar keine Massenproteste zu erwarten gewesen, erläutert Yusupov, aber mit Sicherheit „kreative Aktionen“, um Aufmerksamkeit auf das Verfahren zu lenken. In Melechowo versammelten sich vereinzelt Aktivisten, um den Oppositionsführer zu unterstützen.

 Der russische Dissident Alexej Nawalny.
Der russische Dissident Alexej Nawalny.

© dpa/Alexander Zemlianichenko

Das Urteil vom Freitag ist das insgesamt fünfte gegen den Dissidenten. Die Prozesse gegen ihn werden weithin als Versuch des Kremls gewertet, den entschlossenen Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin mundtot zu machen. Nawalny hatte in der Vergangenheit Fälle von Korruption in Russland öffentlich gemacht und Demonstrationen gegen Putin organisiert.

Derzeit leistet Nawalny in der Strafkolonie Melechowo eine neunjährige Haftstrafe wegen Betrugs und Missachtung der Justiz ab, oftmals in Isolationshaft. 2021 wurde er zudem wegen eines angeblichen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen verurteilt.

Die Vorwürfe im neuesten Prozess gegen Nawalny bezogen sich unter anderem auf seine Anti-Korruptionsstiftung. Nach Angaben seiner Mitstreiter sollen damit rückwirkend alle Aktivitäten der Stiftung als strafbare Handlungen eingestuft werden.

Menschenrechtsaktivisten weisen regelmäßig auf die angeschlagene Gesundheit Nawalnys hin, der im Sommer 2020 nur knapp einen Nervengiftanschlag überlebte. Nawalny wirft dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB und Präsident Wladimir Putin vor, hinter dem Mordanschlag auf ihn vor drei Jahren zu stecken. Der Kreml dementiert das. Nach einer Behandlung in Deutschland kehrte Nawalny damals in seine Heimat zurück. Noch am Flughafen wurde er festgenommen.

Neben Nawalny sind in russischen Straflagern noch zahlreiche weitere Oppositionelle inhaftiert, die international als politische Gefangene eingestuft werden. Erst vor wenigen Tagen etwa wurde gegen Wladimir Kara-Mursa das harte Urteil von 25 Jahren Straflagerhaft bestätigt. Es ist die bisher höchste Haftstrafe gegen einen Regierungskritiker in Russland. (mit dpa)

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