zum Hauptinhalt
Vor zwei Jahren - hier auf einer Kundgebung 2020 in Rom - arbeiteten Giorgia Meloni und Matteo Salvini noch Hand in Hand. Inzwischen ist daraus ein politisches Armdrücken geworden.

© Foto: imago/Vincenzo Nuzzolese

Regierungsbildung in Italien: Zerbricht das Rechtsbündnis schon vor dem Start?

Salvini und Berlusconi wollten eine Regierungschefin Meloni verhindern. Die will nun die beiden Männer absägen. Und könnte Erfolg haben.

Matteo Renzi hatte es der Wahlsiegerin schon vor dem Erfolg zugerufen: „Liebe Giorgia, denk daran, wie rasch Regierungen bei uns stürzen.“ Auch ihre Regierung werde nicht lange halten.

Renzi kennt sich da aus. Der frühere Chef des sozialdemokratischen PD, heute an der Spitze der Kleinpartei Italia Viva, hat höchstpersönlich schon zwei Regierungen gestürzt: vor zwei Jahren die von Giuseppe Conte und den Fünf Sternen, 2014 sogar die eines Parteifreunds, Enrico Letta.

Doch jetzt sieht es aus, als werde die „rechteste italienische Regierung seit Mussolini“ alle Rekorde einstellen und bereits zerbrechen, bevor sie überhaupt steht. Melonis kleinster Partner Silvio Berlusconi musste schon hinnehmen, dass die Premierskandidatin dem Vorbestraften das Amt des Senatspräsidenten verweigerte.

Jetzt moserte Berlusconi, der am Donnerstag seinen 86. Geburtstag mit Familie und Weggefährten in seinem Schloss bei Mailand zelebrierte, über deren weitere Personalabsichten: Über die Minister seiner Partei entscheide er, nicht sie.

Der Krach zwischen Meloni und Lega-Chef Matteo Salvini, dem größeren der beiden deutlich kleineren Bundesgenossen, wird, von ihm, inzwischen offen ausgetragen. Er sei lediglich am Viminale interessiert, dem Innenministerium, wurde am Freitag aus Salvinis Umfeld kolportiert.

„Andere Posten in anderen Ministerien interessieren mich nicht.“ Vor Tagen wurde bereits bekannt, dass er mit dem Ausstieg aus dem Rechtsbündnis gedroht habe, wenn Meloni ihm nicht gibt, was er will.

Das kann sie aber nicht, selbst wenn sie wollte. Melonis Kabinettsliste muss die Prüfung durch Staatspräsident Mattarella bestehen. Und dass der nicht ein zweites Mal seine Unterschrift unter eine Ernennungsurkunde für Salvini setzen würde, gilt als sicher. Während dessen Amtszeit als Innenminister 2018 bis 2019 hielten seine Hafenblockaden gegen Seenotretter:innen Italien monatelang in den Negativschlagzeilen.

Wegen seines Vorgehens gegen das Schiff „Open Arms“ steht Salvini vor einem Prozess. Der vorsichtige Mattarella dürfte auch das Irrlichternde an Salvini fürchten - vor einem Herbst mit Rezession, Inflation und Energiepreisen, der für Italien und die neue Regierung besonders hart werden wird.

Der Ersatz für die Lega steht schon bereit

Auf Meloni, die rasch umgeschaltet hat von der rechten Einheizerin auf Staatsfrau, werden Salvinis Trotzauftritte wenig Eindruck machen. Schließlich hat er sich damit schon einmal verkalkuliert: 2019 verließ er türenschlagend die Koalition mit den Fünf Sternen - und damit den Job als Minister - weil er auf Neuwahlen hoffte.

Die gab es nicht, und Salvini musste bis zum Antritt der Regierung Draghi Anfang des letzten Jahres warten, bis ihm die Fast-Allparteien-Koalition des Ex-Bankiers wieder einen Platz am Kabinettstisch bot.

Einzige Oppositionspartei seither: Melonis „Fratelli“, jetzt die mit Abstand Stärksten im Rechtsbündnis. Salvini dagegen, der Mann der vielen Volten - von Putins Freund zu seinem Gegner, vom Anti-EU-Einpeitscher zu Draghis Minister und vor allem: vom lombardischen Separatisten zum italienischen Überpatrioten - wurde bei dieser Wahl abgestraft. Von seinen 17 Prozent 2018 stutzte ihn das Wahlvolk am Sonntag auf 8,77 herunter.

Wenn wir die Vorhaben der Regierung Meloni gut finden, werden wir für sie stimmen.

Carlo Calenda, Chef der oppositionellen Partei „Azione“

Knapp acht Prozent, das ist nur ein Prozentpunkt mehr als das, was Matteo Renzi und sein Partner Carlo Calenda diesmal mit ihrem Bündnis erreichten, das sie selbstgewiss „Dritter Pol“ tauften. Tatsächlich kamen die beiden Ex-PD-Politiker, die einst zum rechten Flügel der Sozialdemokraten zählten, zwar nur auf Platz vier hinter dem siegreichen Rechtsbündnis, dem PD und seinen Partner:innen und den Fünf Sternen, die allein antraten.

Aber Renzi und Calenda flirten bereits Richtung Giorgia Meloni - und sind nur zu bereit einzuspringen, sollte Salvini abspringen. Calenda, Chef der kleinen Partei „Azione“, wurde in einem Radio-Interview bereits sehr deutlich: Natürlich werde man die Regierung nicht durch die eigenen Stimmen ins Amt bringen, aber danach?

Da werde man „jedes Vorhaben prüfen, und wenn wir die der Regierung gut finden, stimmen wir dafür“, so Calenda, der das gleich zum guten parlamentarischen Brauch umdeutete: „So macht man das als Opposition in einer Demokratie.“

Ihr kostbarster Helfer: Noch-Premier Mario Draghi

Diese Möglichkeit hat Salvini anscheinend noch nicht auf dem Zettel - dabei hat ihn die extreme Wendigkeit von Calendas Partner Renzi schon 2019 den Weg zur erhofften Neuwahl versperrt.

Und während Salvini nach der Wahlschlappe in den eigenen Reihen immer stärker unter Druck ist und den Parteitag im nächsten Monat fürchten muss, stünde Meloni ohne Salvini eher besser da als jetzt. Mit dem „dritten Pol“ der beiden Ex-Sozialdemokraten an der Seite, die zudem als erstes Wahlziel hatten, Mario Draghi zum Weiterregieren zu bewegen: So könnte Meloni ihre Regierung in den Augen Europas und der Welt etwas Richtung politische Mitte rücken.

Diesen wichtigen Unterstützer hat sie bereits in dieser ersten Woche als künftige Regierungschefin gewonnen: „Der Meloni-Draghi-Pakt“ titelte die römische Tageszeitung „La repubblica“ dieser Tage: Die „in Europa schwache“ FdI-Chefin werde von Noch-Premier Mario Draghi unter die Fittiche genommen, der dafür aber Bedingungen stelle: Treue zur Nato, Unterstützung der Ukraine und Schuldendisziplin.

Der Ton dieser Erzählung ähnelt zwar der deutschen um die spätere Kanzlerin Merkel als „Kohls Mädchen“. Was aber stimmen dürfte: Noch-Premier Mario Draghi , weniger im In- denn im Ausland als Italiens Stabilitätsanker fast kultisch verehrt, hat offenbar die EU- und Nato-Partner beruhigt und sie der fortwährenden Bündnistreue des Landes auch unter Meloni versichert.

Eigentlich ein üblicher Service zwischen scheidendem und neuer Regierungschefin, wenn die Geschäfte übergeben werden. Für die erste postfaschistische Ministerpräsidentin Italiens allerdings von weit höherem Wert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false