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Ruslana Chicherina, Journalistin aus Kiew

© Ruslana Chicherina

Ukraine-Invasion Tag 301: Trotz Luftangriffen mit der ganzen Familie an der Festtafel

Selenskyj reist nach Bachmut, Putin nennt Lage in besetzten Gebieten schwierig. Der Überblick am Abend.

In wenigen Tagen feiern wir Weihnachten. Wie aber schauen die Ukrainer:innen auf das Fest – mitten im andauernden Krieg? Unsere ukrainischen Kolleginnen haben mit Menschen in ihrer Heimat darüber gesprochen. Die Protokolle der Gespräche wollen wir in dieser Woche in unserem Newsletter abbilden. Heute: So verbringt die 33-jährige Journalistin Ruslana Chicherina aus Kiew (Foto unten) das Fest, protokolliert von Yulia Valova.

Weihnachten steht vor der Tür. Trotz der Luftangriffe wollen wir in einer Woche die ganze Familie in Kiew an der Festtafel versammeln. Aber wir bereiten uns auch darauf vor, in den Bunker zu gehen, wenn es nötig ist. Wir haben großes Glück, denn unser Haus ist nicht von der Stromversorgung abgeschnitten, da es neben einem Gebäude liegt, das zur kritischen Infrastruktur zählt. Es hat Licht, Wasser und Heizung. Das ist ein großer Luxus in Kriegszeiten.

Wir werden insgesamt zehn Personen sein. Eigentlich fast zehneinhalb, schließlich bin ich schwanger. Ich plane, den Tisch mit einer Tischdecke mit ukrainischer Nationalstickerei zu schmücken und die Speisen auf bemaltem Keramikgeschirr zu servieren. Dieses Jahr werden wir keine 12 Fastenspeisen zubereiten. Aber die traditionellen Neujahrsgerichte: Salat Olivier, Salat Schuba mit Hering, Kartoffelknödel werden auf den Tisch kommen. In der Mitte des Tisches steht Kutya - Weihnachtsweizenbrei mit Honig, Mohn und Sultaninen.

Wir treffen uns um 20 Uhr und tauschen sofort Geschenke aus. Dieses Jahr sind es die am meisten benötigten Dinge - Laternen, warme Socken, Mützen und Handschuhe. Wir gehen dieses Mal nicht zu unseren Nachbarn, um Weihnachtslieder zu singen. Es ist gefährlich, die Tür nachts zu öffnen. Wir werden auch keinen Weihnachtsbaum aufstellen. Aber ich werde die Wohnung auf jeden Fall mit Weihnachtszweigen schmücken. Ich möchte die Weihnachtsstimmung in der Wohnung spüren, die ich seit meiner Kindheit mit dem Duft von Tannengrün verbinde.

Wir leben am linken Ufer des Dnjepr in Kiew, nicht weit von einem Wald entfernt. Für mich war der Wald immer ein Ort der Kraft und des Friedens. Ich liebte es, an Heiligabend auf den verschneiten Wegen spazieren zu gehen. Aber das ist jetzt unmöglich, da alle Wälder um Kiew und in der Stadt vom russischen Soldaten vermint wurden. 

Um Mitternacht werden wir unsere Wünsche äußern. Wie alle Ukrainer wünsche ich mir einen baldigen Sieg über die russischen Truppen. Ich wünsche mir auch, dass mein Kind in einer Ukraine geboren wird, die von den Besatzern befreit ist.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • Der russische Präsident Wladimir Putin versucht nach Einschätzung britischer Geheimdienst-Experten, die Verantwortung für die verlustreiche Invasion von sich abzuwälzen. Dazu habe ein Besuch beim Hauptquartier der sogenannten militärischen Spezialoperation in der vergangenen Woche gedient, hieß es. Mehr dazu hier.
  • Die Anweisung der Bundesregierung ist erteilt: Die Raffinerie Schwedt verarbeitet ab Januar kein Rohöl aus Russland mehr. Das floss dort seit 1963 über die Pipeline „Druschba“ aus Sibirien. Mehr hier.
  • Der russische Präsident Wladimir Putin hat von den Sicherheitskräften seines Landes mehr Einsatz in allen Bereichen gefordert. Die Lage in Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja sei schwierig. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den chinesischen Präsidenten Xi Jinping gebeten, Kreml-Chef Wladimir Putin zu einer Beendigung des Ukraine-Krieges zu bewegen. „Er bat Xi, seinen Einfluss auf Russland zu nutzen und in diesem Sinne auf Putin einzuwirken“, teilte das Bundespräsidialamt mit. Mehr in unserem Newsblog.
  • Die UN haben seit Beginn des Angriffskriegs Russlands vor knapp zehn Monaten mehr als 700 militärische Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen in der Ukraine registriert. Dabei seien Personal und Patienten gleichermaßen verletzt und getötet worden, hieß es bei einer Videokonferenz in Genf.
  • In den Beständen der Bundeswehr ist nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung derzeit nur jede dritte Panzerhaubitze 2000 einsatzbereit. Insgesamt gebe es 105 solche Panzerhaubitzen, von denen aktuell 73 im Heer genutzt würden, berichtete die Zeitung unter Berufung auf ein vertrauliches Papier des Verteidigungsministeriums. 
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist überraschend in die seit Monaten zwischen russischen und ukrainischen Truppen hart umkämpfte ostukrainische Stadt Bachmut gereist. „Er hat die vordersten Positionen besucht, Kämpfer mit Orden und wertvollen Geschenken ausgezeichnet“, teilte Selenskyjs Sprecher mit. 
  • Das russische Parlament hat per Gesetz die Entweihung des orange-schwarzen St.-Georgs-Bands unter Strafe gestellt. „Das Georgsband ist eins der Symbole des militärischen Ruhms Russlands“, hieß es in einem veröffentlichten Gesetzestext. Wer das Symbol öffentlich schände, werde daher bestraft. 
  • Trotz ständiger Reparaturen hat die ukrainische Hauptstadt Kiew nach den russischen Drohnenangriffen vom Montag weiter mit Problemen bei der Stromversorgung zu kämpfen. Am Dienstag standen Teile des U-Bahnsystems zeitweise still, wie Bürgermeister Vitali Klitschko im Nachrichtenkanal Telegram mitteilte.
  • Der Internationale Währungsfonds (IWF) genehmigt ein viermonatiges Programm, um weitere Milliarden für die von Russland angegriffene Ukraine einzusammeln. Ziel sei es, für Stabilität zu sorgen und Spendengelder anzulocken, teilte die Finanzorganisation mit.
  • Die russischen Streitkräfte haben seit Beginn der Invasion der Ukraine nach den Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj schon fast 100.000 Soldaten verloren. „Bisher sind es knapp 99.000 Soldaten, in wenigen Tagen erhöhen sich die Verluste der Besatzer auf 100.000“, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache.

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