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Eine Ehrengarde trägt den Sarg von Wolodymyr Golubnychyi, ukrainischer Oberleutnant der 72. Mechanisierten Brigade, während einer Beerdigungszeremonie.

© dpa/Evgeniy Maloletka

Ukraine-Invasion Tag 740: „Das war der Weg des Todes“ – Soldaten aus Awdijiwka berichten

Debatte um Taurus-Marschflugkörper. Chef der UN-Atomaufsicht reist zu Putin. Der Nachrichtenüberblick am Abend.

Mitte Februar hatte sich die ukrainische Armee nach einem langen Kampf um die Stadt aus Awdijiwka zurückgezogen. Der Abzug der Truppen soll mitunter chaotisch verlaufen sein, wie wir auch hier in unserem Newsletter bereits berichtet hatten (hier nachzulesen). Die „Washington Post“ hat jetzt mit mehreren Soldaten gesprochen, die in der Stadt im Einsatz waren und ihre Eindrücke aus der Zeit dort beschreiben (Quelle hier).

Da ist zum einen der 21-jährige namens Major, der sich lange in einem Studentenwohnheim verschanzt hatte. Er berichtet, wie ihn die Russen schon fast geschnappt hätten und zur Aufgabe zwangen, bis eine andere Einheit die seine unterstützen konnte. Als sich seine Einheit zurückzog, hatte er plötzlich das Kommando - es seien so viele Soldaten verwundet worden, dass „kein höherer Rang mehr übrig“ gewesen sei, sagte er der Zeitung. Beim Rückzug entlang einer Baumgrenze seien sie gezielt von den Russen beschossen worden. „Das war der Weg des Todes“, sagte er, „der allerletzte aus Awdijiwka.“

Der 20-jährige Kavkaz wiederum berichtet, dass rund drei Viertel der Russen, gegen die sie kämpften, über eine militärische Ausbildung zu verfügen schienen, aber nur etwas mehr als die Hälfte seiner Truppe hätte selbst Kampferfahrung gehabt. Als seine Einheit den Rückzugsbefehl erhielt, kamen Soldaten einer anderen Einheit, die jegliche Kommunikation mit ihren Kommandanten verloren hatten. Sie wurden miteinbezogen in die Evakuierungspläne, was den ohnehin schon zeitlich knapp bemessenen Rückzug gefährlich gemacht hätte. „Ich glaube, dass der Befehl früher hätte ergehen sollen“, sagte er der „Washington Post“. „Selbst fünf Stunden früher hätten einen Unterschied gemacht.“

Der 27-jährige namens Bandit berichtet wiederum vom Tag, als er in die Stadt zum Kampfeinsatz kam. Das war der 8. Februar. Was er da gesehen habe, sei „eine Höllenlandschaft“ gewesen: Streunende Hunde wanderten zwischen zerstörten Häusern umher, überall lagen Trümmerhaufen. Auch ihm und seiner Einheit gelang es, aus der Stadt zu fliehen. Als der Beschuss anfing, sagte der Leiter seiner Einheit, sie sollten nicht auf Fahrzeuge warten, sondern zu Fuß gehen. Offenbar die richtige Entscheidung, denn als sie zurückgeblickt hätten, hätten sie gesehen, wie 500 Meter hinter ihnen Phosphorgranaten einschlugen.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick:

  • Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält trotz aller Kritik auch aus der eigenen Koalition an seinem Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine fest. „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das“, sagte er in einer Fragerunde an einem beruflichen Schulzentrum im baden-württembergischen Sindelfingen. Den innenpolitischen Streit über Taurus bezeichnete er als „merkwürdige Debatte über einzelne Waffensysteme“. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine hat sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dafür ausgesprochen, „alle Mittel“ genau zu prüfen, die Kiew bei der Selbstverteidigung gegen Russland helfen könnten. Der russische Präsident Wladimir Putin habe den Krieg „auf Zermürbung angelegt“, sagte Baerbock bei einem Besuch in Montenegro. Daher müsse Deutschland alle Materialien prüfen, die „auf Grundlage des Völkerrechts“ zur Verfügung gestellt werden könnten.
  • Die Bundesregierung mahnt mit Blick auf die Taurus-Abhöraffäre zur Besonnenheit. Zwar betonten Sprecher der Regierung am Montag in Berlin, die Aufklärung des Vorfalls werde weiter vorangetrieben - man dürfe jedoch „nicht das Spiel Putins spielen“, sagte Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner. Auch dürfe sich die Regierung nicht von Äußerungen aus dem Kreml einschüchtern lassen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts.
  • Der deutsche Botschafter in Russland, Alexander Graf Lambsdorff, ist nach Darstellung der Bundesregierung nicht wegen der Taurus-Abhöraffäre ins russische Außenministerium einbestellt worden. „Das kann ich mit Nein beantworten“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Montag in Berlin auf eine entsprechende Frage. Das Außenamt trat damit anderslautenden Darstellungen von russischen Medien entgegen, die sich auf das durch Russland abgehörte Gespräch von Bundeswehr-Offizieren beziehen. Mehr dazu hier.
  • Polens Regierungschef Donald Tusk hat die Treffen der Außenminister Ungarns und der Slowakei, Peter Szijjarto und Juraj Blanar, mit deren russischem Amtskollegen Sergej Lawrow kritisiert. Die Zusammenkünfte am Rande eines Diplomatie-Forums am Wochenende im türkischen Antalya seien „nicht nur ein Ausdruck des guten oder schlechten Geschmacks. Dies ist ein weiteres Zeichen der ungarischen Regierung, das wir aus moralischen und politischen Gründen nur schwer akzeptieren können“, sagte Tusk.
  • Der Chef der UN-Atomaufsicht IAEA will noch diese Woche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die prekäre Situation im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja sprechen. Er wolle wissen, was Russland mit dem AKW vorhabe, sagte Rafael Grossi. Auch über die extrem brüchigen externen Stromversorgungsleitungen müsse gesprochen werden.
  • Der russische Ex-Präsident und stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, hat die Ukraine als Teil Russlands bezeichnet. Es sei zwar nicht möglich, die UdSSR wiederzubeleben, sagt er laut der Nachrichtenagentur Ria Novosti bei einer öffentlichen Rede in Sotschi im Rahmen eines Jugendfestivals. „Historische Teile“ Russlands sollten aber „nach Hause zurückkehren“. Mehr dazu hier.
  • In der südwestrussischen Region Samara ist der Eisenbahnverkehr nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen nach einer „Explosion“ auf einer Eisenbahnbrücke am Montag eingestellt worden. Der Vorfall sei durch „das Eingreifen nicht autorisierter Personen“ verursacht worden, erklärte die regionale Eisenbahngesellschaft. Der ukrainische Militärgeheimdienst HUR erklärte später, eine Eisenbahnbrücke in der Region durch eine Detonation „unbrauchbar“ gemacht zu haben, da diese für den Transport „militärischer Güter“ genutzt worden sei. Mehr dazu hier.
  • Nach dem Tod des prominenten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny in einem russischen Straflager haben mehr als 40 Staaten eine unabhängige internationale Untersuchung gefordert. Russland müsse eine „unabhängige und transparente internationale Untersuchung seines plötzlichen Todes zulassen“, erklärte EU-Botschafterin Lotte Knudsen vor dem UN-Menschenrechtsrat. Mehr dazu hier.

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