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Da war die Welt noch in Ordnung: Viktor Orban und die Amtskollegen der Visegrad-Gruppe im Juni 2023

© imago/CTK Photo/Vaclav Salek

Viktor Orbán verprellt alte Freunde: Droht die Višegrad-Gruppe zu zerbrechen?

Die vier Regierungen im EU-Osten waren einst ein Herz und eine Seele. Doch Ungarns selbstherrlicher Premier Viktor Orbán verärgert die alten Freunde immer häufiger.

Sind die Beziehungen ohnehin ruiniert, poltert es sich völlig ungeniert. Gewohnt hämisch zog Ungarns Premier Viktor Orban bei seinem alljährlichen Ausflug zur „Sommeruniversität“ der ungarischen Minderheit im rumänischen Baile Tusnad (Bad Tuschnad) gegen das Gastland vom Leder.

Rumäniens neuer Premier Marcel Ciolacu, der ihn kurz zuvor privat empfangen hatte, sei bereits der 20. Kollege in Bukarest, den er seit seinem eigenen Amtsantritt kennengelernt habe, lästerte Orbán: „Gott segne ihn! Ein neuer Premier, eine neue Chance. So hoffen wir auf Erfolg beim 20. Mal!“

Launig umging Orbán bei seinem Auftritt in der Hochburg von Rumäniens ungarischer Minderheit auch die Bitte seiner Gastgeber: Bukarest hatte diskret um „Zurückhaltung“ bei Äußerungen zu Grenzstreitigkeiten zwischen beiden Ländern gebeten.

Er habe nie behauptet, dass Siebenbürgen und das Szeklerland rumänische Verwaltungsgebiete seien, verkündete er unter dem schallenden Gelächter seines Publikums. Beide Regionen gehörten bis zum Ersten Weltkrieg zu Ungarn, Budapest erhebt Ansprüche auf sie.

Rumänien und die Slowakei bestellten Orbáns Botschafter ein

Nicht nur in Bukarest, sondern auch in der slowakischen Hauptstadt Bratislava wurde nach Orbáns undiplomatischen Breitseiten gegen fast alle Nachbarn der ungarische Botschafter ins Außenministerium einbestellt. Der Grund: Die slowakische Regierung war nicht amüsiert, dass Orbán „vom Land abgeschnittene Teile“ erwähnte und damit die Nachfolgestaaten der 1918 zerfallenen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn meinte.

Noch ärgerlicher wurde man in Prag. Orbán wütete auch gegen Tschechien, es habe „die Seite gewechselt“, und die Slowakei sei „am Flattern“. Gemeint war der Richtungskampf zwischen den EU-Ländern, den „Föderalisten“ unter Führung von Frankreich und Deutschland und den „Souveränisten“, die auf nationale Interessen bedacht sind. Das sind vor allem die vier Staaten der sogenannten Višegrad-Gruppe, Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei.

„Nur die Polen und Ungarn halten aus“, polterte Orbán. Von einer „absurden Stigmatisierung“ sprach hernach verärgert der tschechische Premier Petr Fiala: Sein Land bestimme seine Positionen in EU-Fragen mit Blick auf die eigenen Interessen selbst.

Tschechien hat die Seiten gewechselt, die Slowakei flattert.

Ungarns Premier Viktor Orbán über alte Weggefährten

Tatsächlich bröckelt die einstige Einheit der Višegrad-Staaten schon länger: Das Zweckbündnis der mitteleuropäischen Staaten wurde 1991 gegründet, aber zuletzt setzte ihm der Ukraine-Krieg stark zu - wozu nicht zuletzt die Orbáns Sololäufe und seine offene Neigung Richtung Russland beitrugen.

Sogar die Beziehungen zu Polens nationalpopulistischer PiS-Partei sind wegen Orbáns Unterwürfigkeit gegen Moskau stark abgekühlt. PiS war lange Orbáns engste Verbündete im Kampf gegen angebliche Bevormundung durch die EU und eine behauptete Überfremdung. Laut einer Umfrage des Warschauer Meinungsforschungsinstitut CBOS ist der lange sehr hohe Anteil von Polen, die gegenüber Ungarn eine positive Einstellung haben, innerhalb eines Jahres von 57 auf 36 Prozent geschrumpft. Grund ist demnach der Ukrainekrieg.

Risse im Bündnis durch den Ukrainekrieg

Die Risse im Višegrad-Bündnis wurden Ende Juni auch beim Brüsseler EU-Gipfel deutlich. Tschechien und die Slowakei erklärten sich bereit, den von der EU-Mehrheit im Juni ausgedachten Asyl- und Migrationspakt mitzutragen. In Warschau und Budapest stieß er auf resolute Ablehnung.

Tschechiens Premier Fiala, der den Višegrad-Vorsitz Anfang Juli turnusgemäß übernahm, will nun erst nach den Parlamentswahlen in Polen und der Slowakei im Herbst das übliche Treffen der Regierungschefs anberaumen. „Niemand will ein Ende der V4-Kooperation“, versichert er pflichtschuldig: Die Zusammenarbeit werde „in vielen Bereichen fortgesetzt“.

Die Višegrad-Kooperation stehe zwar „weniger im Scheinwerferlicht als zuvor“, aber sei noch immer „wichtig“, beteuert sein slowakischer Amtskollege Ludovit Odor: Doch viele der gemeinsamen Probleme, mit denen sich die Višegrad-Staaten einst konfrontiert sahen, seien inzwischen „gelöst“.

Nur an persönlicher Leibesfülle hat der einstige Višegrad-Wortführer Orbán kräftig zugelegt. In der EU ist das politische Gewicht des immer stärker Isolierten bereits seit dem Rauswurf seiner Fidesz-Partei aus der christdemokratischen EVP 2021 merklich geschrumpft. Derzeit ist er in der Region nur im ebenfalls russophilen Serbien ein gerne gesehener Nachbar und Gast.   

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