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Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan in Deutschland (Archivbild von 2017)

© dpa/Boris Roessler

Machtwechsel in der Türkei?: „Mit jeder gewonnenen Wahl ist Erdogan autoritärer geworden“

Im Falle eines Regierungswechsels könnte die Türkei einen Wandel erleben. Im Interview spricht der SPD-Politiker Macit Karaahmetoğlu über den Einfluss der Deutschtürken auf den Wahlausgang.

Herr Karaahmetoğlu, wen unterstützen Sie bei den Wahlen in der Türkei?
Ich bin natürlich für die Opposition. Kein Türke, der dieses Land liebt, kann für Erdoğan stimmen.

Unterstützen Sie auch den Aufruf der Grünen, Erdoğan abzuwählen?
Nein. Dass eine Partei so einen Aufruf macht, finde ich blödsinnig. Es ist kontraproduktiv, weil man damit niemanden dazu bewegt, die Opposition zu wählen, der es nicht ohnehin getan hätte. Die Grünen mobilisieren so die AKP-Wähler. Die sehen dann die von Erdoğan verbreitete These bestätigt, dass ausländische Mächte die Opposition steuern.

Wie nehmen Sie in der Woche vor der Wahl die Stimmung bei den Türken in Deutschland wahr?
Es gibt mehr Interesse als letztes Mal. Ich gehe von einer höheren Wahlbeteiligung aus und von einem Zuwachs für die Opposition. Ich glaube zwar, dass Erdoğan in Deutschland zahlenmäßig wieder vorne sein wird, aber nicht mehr mit rund 65 Prozent wie 2018.

Warum glauben Sie das?
Weil auch die Türken in Deutschland sehen, dass das Land wirtschaftlich am Abgrund steht. Seit mindestens fünf Jahren geht es abwärts. Das merkt selbst der Dümmste.

Und was ist mit den Klugen, die Erdoğan wählen?
Das Ganze ist natürlich keine Frage von Intelligenz. Die Türken in Deutschland stammen mehrheitlich aus Anatolien und vom Schwarzmeer, da wo ich herkomme. Das sind islamisch-konservativ geprägte Regionen, klassisches Erdoğan-Land. Sie konsumieren fast nur regierungsnahe Mainstreammedien. Ein anderer Faktor ist die Diskriminierung, die Türken in Deutschland erleben. Das macht sie anfällig für Erdoğans Propaganda.

Die türkische Regierung übt auch über den Verband Ditib viel Einfluss auf die Moscheen in Deutschland aus. Wird das aufhören, sollte Erdoğan abgewählt werden?
Die Ditib ist eine wichtige Organisation, zu der ich einen guten Kontakt pflege. Dort gibt es null Toleranz gegenüber islamistischem Extremismus. Erdoğan instrumentalisiert Ditib zwar, aber das macht er zum Beispiel auch mit der Zentralbank. Ich kenne viele Ditib-Moscheen, die sich dagegen wehren.

Sollte Erdoğan tatsächlich verlieren – was bedeutet das für den Einfluss der AKP auf das Leben der Deutschtürken?
Der Einfluss wird stark abnehmen, davon bin ich überzeugt.

Warum?
Die Türken sind grundsätzlich ein staatstragendes Volk. Sie achten das gewählte Staatsoberhaupt. Das gilt auch für Kılıçdaroğlu im Fall eines Wahlsieges.

Und wenn Erdoğan Präsident bleibt – was bedeutet das für die türkische Community in Deutschland?
Dann befürchte ich eine weiter zunehmende Spaltung in der Community. Mit jeder gewonnenen Wahl ist Erdoğan autoritärer geworden. Auch sein Wirken in die deutsch-türkische Community, insbesondere mit Blick auf politische Gegner, wird noch radikaler werden.

Der Oppositionskandidat Kemal Kılıçdaroğlu ist ebenso nationalistisch eingestellt wie Erdoğan. Er hat mehrfach mit rassistischen Untertönen Stimmung gegen syrische Flüchtlinge gemacht. Steht er wirklich für einen echten Kurswechsel?
Ich glaube nicht, dass Kılıçdaroğlu mit rassistischen Ressentiments Stimmung gemacht hat, das wird teilweise überzogen berichtet. Er sagte, dass man Wege und Mittel suchen muss, wie man Syrer zur Rückkehr in ihre Heimat bewegen kann. 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei stellen die Gesellschaft vor Herausforderungen. Das mag Kılıçdaroğlu vielleicht populistisch angehen. Aber er ist kein Mann der Gewalt.

Er hat Erdoğans Kriegspolitik in Nordsyrien stets unterstützt. Wird die Gewalt unter einem Präsidenten Kılıçdaroğlu unvermindert weiter gehen?
Auch Kılıçdaroğlu wird die Terrororganisation PKK bekämpfen. Er wird aber – im Gegensatz zu Erdoğan – keine militärischen Aktionen durchführen, um innenpolitisch zu punkten. Hätte er die Einsätze in Syrien offen kritisiert, wäre er von Erdoğan als Verräter hingestellt worden. Da musste er pragmatisch handeln.

Immer wieder bombardiert die Türkei Zivilisten, sogar kurz nach den Erdbeben Anfang Februar in den kurdischen Gebieten. Muss man das nicht kritisieren?
Wenn der Ableger der PKK in Nordsyrien etwas behauptet, dann würde ich den Wahrheitsgehalt bezweifeln. Aber klar, nach einer Katastrophe wie den Erdbeben sind solche militärischen Aktionen keine Geste des Humanismus.

Erstmals in der Geschichte der Türkei tritt ein Bündnis aus linken Kurden, Sozialdemokraten und Ultranationalisten zur Wahl an. Hält diese ungewöhnliche Allianz über den Wahltag hinaus?
Das Wort Ultranationalisten lasse ich für die IYI-Partei nicht gelten. Die ist patriotisch, nicht ultranationalistisch. Im Übrigen gehört die kurdische HDP nicht zum Bündnis. Aber zu Ihrer Frage: Ja, die verschiedenen Parteien in dem Bündnis sind sehr unterschiedlich. Ich bin aber guter Dinge, dass sich alle Beteiligten im Falle eines Wahlsiegs zumindest für eine Übergangszeit der Verantwortung bewusst sein werden.

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